Ein Urteil über das Zschopauthal

Durch Zufall kam mir das der Familie und den Freunden des Hauses Spamer Weihnachten 1880 gewidmete Schriftchen: „Ein deutsches Buchhändlerheim“ von K. Michael in die Hände. Dasselbe zerfällt in 2 Teile: Ein Besuch in „Spamer’s Hof“ und ein Besuch in „Maxenstein“. Obschon auch der erste Teil recht lesenswert ist, so dürfte doch die Beschreibung des „Maxenstein“, eine dem bekannten Verlagsbuchhändler Otto Spamer in Leipzig gehörige Villa mit Garten und Parkanlagen in Wolkenstein, die Freunde unseres Gebirgs besonders interessieren. Bei der Ankunft auf dem Bahnhofe Wolkenstein schreibt die Verfasserin: „In anmutigen Windungen schlängelt sich vor mir ein klarer Gebirgsstrom, die Zschopau, vorüber an romantischen dicht bewaldeten Bergen und Felsengruppen, an deren Fuße, malerisch zerstreut, bald größere Industriestätten, bald einzelne Häuschen und kleinere Ortschaften wechseln, deren Mittelpunkt das Bergstädtchen Wolkenstein bildet, das seinen Namen gar wohl verdient. Liegt es doch schier näher den „Wolken“ als dem tief schattigen Thalgrund; am äußersten Punkte der Felsenpartie vor uns thront, so recht eigentlich ein „Wolkensitz“, Villa Maxenstein.“ Und weiter heißt es: „Ich hätte nie gedacht, daß unser Erzgebirge so reich an Naturschönheiten sei. Was für ein Aufhebens macht man von den Thälern der sächsischen Schweiz — ich glaube kaum, daß dieses Zschopauthal ihnen nachsteht! Dabei hat es aber vor jenen Gegenden einen großen Vorzug, den der fast unberührten, unentweihten Natur; die Einsamkeit seiner unvergleichlich schönen Waldwege wird noch nicht wie anderswo durch die bunte Schar lärmender Touristen gestört; nur selten kommt uns mit freundlichem Gruß ein Holzfäller oder ein altes Mütterchen, das Kräuter und Pilze sucht, entgegen, wenn wir die wohlgebahnten Waldpfade dahin schlendern, in erquickender Morgenkühle oder bei goldiger Abendbeleuchtung. Beides habe ich genossen, den Abend- und den Morgenspaziergang, und sie werden beide mir unvergeßlich bleiben!“

Alle, welche dahin wirken, daß unserm Erzgebirge immer größere Anerkennung zu Teil werde, müssen der Verfasserin für obiges Zeugnis nur dankbar sein. Doch gestatte ich mir, diesem Danke noch eine Bemerkung beizufügen. Gewiß können unsere Thäler denen anderer Gebirgslandschaften, z. B. denen der sächsischen Schweiz im allgemeinen, ebenbürtig zur Seite gestellt werden; doch wird es immer mißlich bleiben, Berggruppen und Thäler mit einander zu vergleichen, deren geologischer Aufbau und darum Charakter, ein ganz verschiedener ist. In dieser Lage befindet man sich, wenn man das Elbsandsteingebirge und die Glimmerschiefer-, Gneis- und Granitformen, wie sie das Erzgebirge bietet, nebeneinander stellt. Jedes dieser Gebirge besitzt seine nur ihm eigentümlichen Reize. Das Landschaftsgemälde ist gar sehr vom geologischen Baue abhängig, und darum wird ein aufmerksamer Tourist z. B. auch innerhalb des Erzgebirges in dem Terrain des herrschenden Granit von anderen Formen gefesselt werden, wie in den Bezirken der schiefrigen Gesteine. Wir wollen unser Erzgebirge nicht anderen zur Zeit viel besuchten Gebirgen gegenüber zurückgestellt wissen; wir fassen es aber als ein eigenartiges Gebirge auf, das eben als solches für sich beurteilt sein will, und Schreiber dieses ist der Ueberzeugung, seine Thäler und Höhen werden den Besucher wie ja schon das oben angeführte Urteil über das Zschopauthal es ausspricht, nicht unbefriedigt lassen.

Dr. Köhler.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 1. Jg. Nr. 4 v. 15. April 1881, S. 34 – 35

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