(Eine Skizze.)
Unsere obererzgebirgischen Bergstädte haben bekanntlich alle kein hohes Alter, denn sie verdanken dem Aufschwung des obererzgebirgischen Silberbergbaues, der nicht früher als in’s 15. Jahrhundert zurückreicht, ihre Entstehung. Liegt schon darin ein Grund dafür, daß es in diesen Städten wenig Gebäude mit geschichtlich bedeutender Vergangenheit giebt, so kommt dazu noch, daß wohl alle diese Städte einen oder gar mehrere große Brände durchgemacht haben, die bei der leichten Bauart der Häuser in diesen Waldgegenden ganz außerordentlich zerstörend auftraten. Altehrwürdige, architektonisch interessante Privatbauwerke sind daher in diesen Städten gar nicht vorhanden, und von den verhältnismäßig neuen Gebäuden reicht selbst die Tradition meist nicht über das 17. Jahrhundert zurück. Um so mehr dürfte es daher erlaubt sein, auf solche Gebäude hinzuweisen, die überhaupt eine Geschichte haben. Ein solches ist das in der Überschrift genannte Gasthaus und Restaurant. Dasselbe liegt am Fürstenplatz, gegenüber dem Bassin, ist einstöckig, mit einem Erker versehen und zeigt hübsche Stuckverzierungen. Dieses jetzige Gebäude stammt laut angebrachter Jahrzahl aus dem J. 1721 oder ist in dieser Zeit wenigstens einer umfassenden Restauration unterzogen worden. In der Geschichte aber taucht dieses Haus schon 1547 auf und zwar hieß es damals „Wenzel Gassauer’s Gasthaus“ und ist „in großem aestim“ gewesen. 1) Im angegebenen Jahre wäre von diesem Gasthaus aus beinahe großes Unheil über die Stadt gekommen; das ging so zu: Im Anfang jenes für Sachsens geschichtliche Entwicklung so denkwürdigen Jahres zogen die gegnerischen Heere des Kaisers (mit Moritz von Sachsen) und des Kurfürsten Johann Friedrich hier im Gebirge hin und her. Den 11. April hatte Moritz mit spanischen und anderen kaiserlichen Truppen von Eger aus Sachsen betreten, während herzoglich sächsische Städte, z. B. Annaberg, noch in der Hand der kurfürstlichen Truppen waren, welche sie nach dem Siege bei Rochlitz erobert hatten. Da kamen am 1. Mai, also 8 Tage nach der unglücklichen Mühlberger Schlacht, kaiserliche Kavaliere nach Schneeberg. „28 stattliche Reuter, Burgunder und Italiäner, unter welchen ein Kaspar von Stadion 2) gewesen“, ritten um 10 Uhr morgens hier ein und stiegen in „Wenzel Gassauers Gasthof“ ab. Wahrscheinlich waren es kaiserliche Offiziere, die in Zwickau in Quartier lagen und sich hier nach einem guten Ritte einen lustigen Sonntag machen wollten. Der sollte freilich einen tragischen Abschluß finden. Nach Meltzers Angabe kamen schon mittags 1 Uhr der kurfürstliche Kriegsoberste von Thumbshirn und ein Graf Reuß mit kurfürstlichen Truppen hierher — vielleicht ein Rekognoscierungsritt — und überfielen die Zechenden. Diese mögen verzweifelte Gegenwehr geleistet haben, denn es wurden ihrer 12 erstochen, 1 zum Fenster des Nebenhauses herabgestürzt und die übrigen gefangen. Der Stadt mußte dieser Vorfall höchst peinlich sein, denn einesteils traten die Kurfürstlichen, die Feinde hier fanden, barsch genug auf, andernteils wurde nachher der Vorwurf laut, man habe von hier aus verräterischer Weise den kurfürstlichen Befehlshabern in Annaberg Nachricht zugehen lassen. Die Zeitvergleichung vielleicht mochte die Angeklagten rechtfertigen, und Kurfürst Moritz selbst nahm sich der bedrängten Stadt an, so daß nichts erfolgte. Wenzel Gassauers Gasthaus aber muß vor 1547 schon mehrere Jahre bestanden haben, denn als Wirt nennt der Chronist bei diesem Ereignis Melchior Pöhler, also muß, nach dem Namen des Gasthofs zu schließen, diesem Wirt schon ein andrer vorausgegangen sein.
Die Schicksale unsers Hauses sind von dem erzählten Ereignis ab ein Jahrhundert lang unbekannt. Wahrscheinlich ist es bald in Privathände übergangen, wenigstens ist es um die Mitte des 16. Jahrhunderts in solchem Besitz. Denn im J. 1651 vermachte es der in diesem Jahre verstorbene Hans Burkhardt, vornehmer Kobaltkontrahent und Stadtrichter allhier mit dem Blaufarbenwerk Schlema dem Kurprinzen Johann Georg (II. als Kurfürst). Von dieser Zeit heißt das Haus „Fürstenhaus“ und dient als Herberge für Fürstliche und andere hohe Reisende bei Anwesenheit auf dem Schneeberge. Möglicherweise hat dies nicht sehr oft zur Benutzung des Hauses geführt; denn im J. 1687 verkaufte es Kurfürst Johann Georg III. um 2000 fl. guter Meißner Währung an den Besitzer des Breitenhofer Hammer- und Vitriolwerks, Stadtrichter Christian Schreiber in Schneeberg mit folgenden Bedingungen: 3)
„Daß das sub ● angefügte Inventarium“ — (verschiedene Silber-, Marmor-, Zinn-, Messing-Sachen, Betten, Möbel, Bilder, Küchengeräte etc.) — „beym Hause beständig verbleibe und Er das Haus nebst sothanen Inventario iederzeit in baulichen Wesen und guten Stande erhalten und so oft die Hohe Landtesherrschaft oder Jemandt anders von denenselben, auch dero hohen Herren ministris, Räthen und Berg-Haupt-Leuthen, anhero kommen würden, denenselben und Ihnen darinnen den Abtritt ohne Entgeld allezeit unweigerlich verstatten und benöthigte Logiomenten und Stallung einräumen auch die mitüberkommene Inventarien-Stücken an silbernen Löffeln, Betten, Zinn, Tischen und allen andern Hauß-Geräthe zum Gebrauch iederzeit in Stande erhalten und hergeben solle.“
Als Gegenleistung erhielt das Fürstenhaus Befreiung von der Naturaleinquartierung.
Der Bestimmung als Absteigequartier für distinguierte Reisende hat nun das Fürstenhaus zu verschiedenen Malen genügt. Abgesehen von den Besuchen der Landesfürsten, die nicht einzeln verzeichnet werden können, mögen nur einige Fälle hier erwähnt sein. So logierte 1705 der berüchtigte Günstling des Kurfürsten Friedrich August I., Statthalter Fürst Egon v. Fürstenberg hier und nahm die Huldigung der Stadt entgegen. Vom 11. November 1706 bis 22. August 1707 lag schwedische Einquartierung in Schneeberg, deren Kommandant, Generalmajor Roose im Fürstenhaus wohnte. Hier nahm auch d. 27. Juli 1707 der zur Inspektion in eigner Person hierhergekommene König Karl XII. von Schweden Quartier und hielt offene Tafel. Wie eigentümlich aber und wie bitter scherzt zuweilen Frau Historia: Nur 3 Jahre später, Anfang Juli 1710, dinierte in demselben Hause zur Erinnerungsfeier an den Sieg der Russen über Carl XII. bei Pultava der auf der Durchreise von Carlsbad hier anwesende Großfürst Thronfolger von Rußland Alexis Petrowitsch und wurde von der Stadt durch Bergaufzug, Deputationen etc. gefeiert. Da „Dergestalt celebriret, daß unten in der großen Stuben unter allerhand Music, auch Paucken und Trompeten, öffentliche Tafel gehalten und unter andern in silbernen Schalen rares Confect mit Berg-Stuffen und Bergmännerlein, ingl. eine schöne wohl versetzte Kunst-Berg-Stuffe, so der Edelgestein Inspektor und Gold-Arbeiter, Christian Richter, als Verfertiger derselben vor 500 thlr. æstimiret, aufgesetzt worden.“ An anderer Stelle erwähnte der Berichterstatter, Meltzer, daß diese Stufe wohl möchte aus „Helffenbein“ gefertigt gewesen sein, also wahrscheinlich ein Elfenbeinschnitzwerk, bergmännisch darstellend.
In späteren Jahren haben zu Kriegszeiten, so im 7jährigen Kriege und im napoleonischen Kriege (besonders 1813), vielfach die Kommandanten durchziehender oder einquartierter Truppenteile im Fürstenhaus ihr Quartier gehabt.
Ende des vorigen oder Anfang des jetzigen Jahrhunderts wurde das Fürstenhaus, oder wie es im 18. Jahrhundert vielfach auch genannt wurde, das Schreiber’sche Haus, wieder Gasthof, denn am 2. Oktober 1798 kaufte der damalige Besitzer des Fürstenhauses, Christian Friedrich Coith, Bürger, Kaus- und Handelsmann hierselbst die Gerechtigkeit des damaligen Gasthofs „Zum weißen Roß“ (am sogen. Sporergäßchen in der Zwickauer Gasse) für 100 thlr. und laut Rescripts vom 8. Januar 1801 wurde ihm genehmigt „daß die Gastierungsgerechtigkeit des Hauses „zum weißen Roß“ genannt auf das Fürstenhaus tranferiret auch an letzterem ein Zeichen oder Schild mit der Aufschrift: „Zur Stadt Dresden“ ausgehängt werde“. Ferner wurde laut Regierungserlasses v. 8. Decbr. 1801 bestimmt, daß „der damalige Besitzer des Fürstenhauses, sowie dessen nachfolgende Besitzer von der Gewährung und Unterhaltung des übergebenden Inventarii erbetenermaßen dispensiret worden,“ (da Verschiedenes beim großen Brande zerstört worden), wogegen die Verpflichtung wegen unentgeldlicher Gewährung der Wohnung, Stallung und Meubles aufrecht erhalten worden ist.
Die Ausübung der Gastgerechtigkeit kann aber nicht ununterbrochen von da ab stattgefunden haben, denn in Lehmanns Chronik findet sich in den Jahren 1807 und 1839 je einmal „Wiedereröffnung des Gasthofs zum Fürstenhaus“ erwähnt. Im Jahre 1838 ist das Haus in Besitz der jetzt noch darin waltenden Familie übergegangen.
Das ist in Kurzem was wir über die Schicksale des im Erzgebirge wohlrenommierten Gasthofs „Zum Fürstenhaus“ in Schneeberg zu erzählen wissen. Es ließe sich wohl auch aus der neuesten Zeit manches Hübsche daher berichten, doch das ist noch nicht Geschichte und bleibt daher kommenden Geschlechtern überlassen. Soviel läßt sich am Ende aber behaupten, daß mancher, der da selbst verkehrt hat, bezüglich des Fürstenhauses an die Verse des Sängers des Gaudeamus sich erinnert fühlt:
„O Wirtshaus zur Chimära! was ist lieblicher
Als einzuziehn ein Gastfreund in dein Gastgemach?”
Heinrich Jacobi.
1) Meltzer, Chronik v. Schneeberg, p. 145 u. 979 u. a. a. O.
2) Ist übrigens ein würtembergischer Adel, vgl. Hauuf’s Lichtenstein.
3) Diese Nachricht ist nicht bei Meltzer enthalten, sondern mir durch Privatmitteilung nach betr. Akten zugegangen.
Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 1. Jg. Nr. 11 v. 15. November 1881, S. 99 – 102