Bei meinen alljährlichen Wanderungen durch das Erzgebirge, welche mir, einem Bewohner des Niederlandes, die viel umständlicheren, anstrengenderen und kostspieligeren Reisen in die Alpen voll und ganz ersetzen, besuche ich auch hier und da gern einmal die gute alte Bergstadt Schneeberg. Ich thue dies um so lieber, da ich nicht nur manchen alten Bekannten aus früherer Zeit wieder einmal sehe, sondern als auch bei sonst angenehmem Aufenthalte gerade die nähere Umgebung dieser Stadt so viel Gelegenheit zu reizenden und abwechslungsvollen Ausflügen in nächster Nähe bietet, wie kaum einer ihres Gleichen im ganzen Gebirge. Da vergesse ich denn nie, um von weiteren, den ganzen Tag in Anspruch nehmenden Partien zu schweigen, den Gleesberg mit seinen beiden immer wieder sehenswerten Aussichtspunkten, den an nordische Scenerie erinnernden düsteren Filzteich und die alte und immer wieder junge Griesbacher Höhe. Ich muß gestehen, daß mich, wenn ich auf diesem Punkte angelangt bin, stets ein gewisses Bedauern ergriffen hat. Nicht etwa darüber, daß die Alles zerstörende Zeit die diese Stelle schon von weitem kenntlich machende alte Zwiesel niedergelegt hat — wohl bedauerlich genug; aber weit auffallender ist es mir immer gewesen, daß dieser seltene und ausgezeichnete Aussichtspunkt bei seiner Entfernung von der Stadt (eine gute halbe Stunde), bei seiner Höhe (568,3 m)1), abgesehen von der Angabe der goldenen Höhe, nicht einmal der Aufnahme auf die vom Erzgebirgsvereine Schneeberg herausgegebene Touristentafel gewürdigt worden ist. Allein, höre ich die Naturfreunde Schneebergs und der Umgegend, die täglichen und unermüdlichen Wanderer nach der Höhe des Keilberges fragen, verdient die uns wohlbekannte Höhe solches Lob? Nach meiner Ansicht unbedingt. Denn dieselbe ist nicht nur die zweithöchste Erhebung in der Nähe Schneebergs (Gleesberg 584,9, Keilberg 551,9 m), sondern sie bietet schon jetzt eine Rundschau über drei Viertel, wenn nicht vier Fünftel vom ganzen Horizont, wie wir sie in unserer Nähe, selbst die vorzüglichen Blicke vom Spiegelwalde und vom Kuhbergturme ausgenommen, gar nicht, im ganzen Gebirge überhaupt nur selten finden. Der letztere Turm ist leider hinter dem Walde versteckt, aber von den Bergen zwischen dem Kuhberge und dem Auersberge an, hinweg über dieselben und die Riesen des Erzgebirges (ohne Gottesgaber Spitzberg), über die sächsischen und zum Teil tief in Böhmen liegenden Basaltberge, über den Spiegelwald und die Schatzensteine, über den Höhenzug rechts oberhalb Zöblitz hinweg bis weit hinunter zu den Höhen zwischen Chemnitz und Hohenstein, weit hinaus über den Rauch des in der Ebene dampfenden Zwickau, in das Altenburger und Leipziger Flachland — welche umfassende, welche reiche Rundschau! Nur das letzte Fünftel des ganzen Horizonts, die Gegend von Kirchberg bis zum Kuhberg, ist vom Walde bedeckt. Wahrhaftig, so oft ich mich von diesem Punkte aus an der herrlichen Gottesnatur ergötzt habe, ist mir immer der Gedanke beigekommen: viel hat der Erzgebirgsverein in den wenigen Jahren seines Bestehens schon erreicht und geschaffen; daß er aber diesen Aussichtspunkt so ganz unberücksichtigt läßt, ist eine Unterlassungssünde, die er sich selber nicht verzeihen kann. Denn ein Schaugerüst von verhältnismäßig geringer Höhe (etwa 10 – 12 m) würde schon genügen um über den davorliegenden Wald hinweg zu sehen. Dann aber würde mit nicht allzugroßen Kosten eine das Gebirge und das Niederlande in gleicher Weise umfassende Umschau geschaffen werden, die den Wanderer in Gottes freier Natur, dem Freunde einer weiten Aussicht einen hohen, einen seltenen Genuß bieten würde. Bei meinem letzten Aufenthalte in Schneeberg wurde mir gesagt, daß der dortige Zweigverein beabsichtige, in Gemeinschaft mit Nachbarvereine Kirchberg eine Baulichkeit auf dem Hirschensteine in nächster Zeit zu errichten. Gewiß ist die Aussicht von dieser Stelle auf das Niederland sehr schön und beachtenswert; allein einmal ist das Gebirge von dort aus durch den dahinterliegenden Wald ganz verdeckt, die nach meiner Ansicht bei weitem vorzuziehende Griesbacher Höhe liegt ferner dem Zweigvereine Schneeberg-Neustädtel viel näher als der Hirschenstein und warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute, das Bessere so nahe, ja näher liegt? Mögen mich die Leser dieser Zeilen immer mit Rücksicht auf den von mir empfohlenen Punkt einen Schwärmer nennen; ich habe es für meine Pflicht gehalten, die Bewohner Schneebergs und der Umgebung, namentlich aber den Erzgebirgsverein Schneeberg-Neustädtel auf diesen wider Verdienst und Würdigkeit leider vernachlässigten Aussichtspunkt hinzuweisen und aufmerksam zu machen; und so bleibe ich, was ich immer gewesen bin:
Ein alter Freund Schneebergs und seiner Umgebung aus dem Niederlande.
1) Anm. Zwar giebt es nur 400 m südwestlich davon entfernt unmittelbar am Waldrande einen noch höheren Punkt (581,5 m); allein als Griesbacher Höhe wird gewöhnlich, auch auf der Generalstabskarte, der von mir angezeigte Punkt angegeben. – Ein an dieser Stelle aber zu errichtendes Schaugerüst würde wegen des davorstehenden Waldes die unten angegebene Höhe um Vieles überschreiten müssen.
Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 2. Jahrgang. No. 8 v. 15. August 1882, S. 71 – 72.