Abend-Unterhaltung des Erzgebirgsvereins Chemnitz am 19. Februar.

Unser Nikolaikirchturm machte am Dienstag Abend ein recht verwunderliches Gesicht, als er Legionen festlich geschmückter Leute doe Stollberger Straße hinaus, wie auch über Deubners Berg nach den gastlichen Räumen des Elysiums eilen sah. Bald aber ging dem hohen Beobachter ein Licht auf: Der Erzgebirgsverein hat ja für heute eine Abendunterhaltung veranstaltet, meinte er verständnisvoll, da giebts immer großen Zulauf! Und von diesem großen Zulauf bekamen zunächst diejenigen Besucher des Vergnügens eine deutliche Vorstellung, welche sich kurz nach 7 Uhr behufs des üblichen Oberkleid-Enthäutungs-Prozesses in die allerdings nicht elysäisch angelegten Garderobenräume des Festlokals begaben. Wer da „unzerknittert” davonkam, konnte von Glück reden. Aber auch die Gewinnung eines angenehmen Sitzplätzchens in dem geräumigen Saale hatte sehr bald ihre Schwierigkeiten. Die in Scharen einziehenden Besucher füllten alsbald Saal und Nebenräume. Man sah hier recht deutlich, wenn mans nicht schon gewußt hätte, daß unser Erzgebirgsverein zu einer tausendköpfigen Körperschaft angewachsen.

Die „Ordnung” der Abendunterhaltung – früher Programm benamset – besagte zunächst, daß unsere wackere Militär-Kapelle unter Leitung ihres so beliebten Direktors Herrn Pohle ein Concert bieten werde. Die zum Vortrag gebrachten Nummern erwiesen sich als sehr „gewählt” und die Ausführung fand in der vorzüglichsten Weise statt, welche man von der genannten Kapelle zu erwarten gewöhnt ist. Es hieße ja Eulen nach Athen oder gewirkte Strümpfe nach Chemnitz tragen, wollte man hier der kunstfertigen Wirksamkeit unserer Militär-Kapelle ausführlicheres Lob spenden. Zwischen dem ersten und zweiten Teile des Concertes wurde ein von Herrn Lehrer Krausch hier in erzgebirgischer Mundart verfaßtes, von gutem Humor getragenes Lied: „Lob des Erzgebirges”, dessen Text an die Anwesenden in gedruckten Exemplaren zur Verteilung gelangte, abgesungen. Dasselbe trug zur Erhöhung der frohen Stimmung wesentlich bei. – Nach Beendigung des Concertes standen dem Publikum noch mehrere außer der „Ordnung” befindliche Ueberraschungen bevor. Laut offizieller Ankündigung hatte sich nämlich zunächst der auf der Durchreise begriffene Circus Renz bereit finden lassen, mit seinem Extrazug am „letzten Seufzer” eine Fahrpause zu machen, um der Festversammlung Reitkunststücke vorzuführen. Bald erschien denn auch auf der in aller Eile zur Menage umgestalteten Musikerbühne eine stattliche Cavalkade, welche brillante Evolutionen und Tänze ausführte. Hätten die „Vollblut-Rösser” nicht gar so feurig-pappene Sprünge gemacht und die auf ihnen sitzenden „Kunstreiter” nicht so viele Aehnlichkeit mit harmlosen Chemnitzer Herren gehabt, man wäre beinahe geneigt gewesen, den Carneval-Cirkus für echt zu halten. Eine zweite ulkige Ueberraschung bot die Vorführung der leider noch wenig bekannten „Schnitzelbank-Bänkelsängerei”, welche ebenfalls glühende Verehrer fand und dieselben für das durch die zu treffenden Vorbereitungen hierzu veranlaßte lange Warten reichlich entschädigte. Um Mitternacht begann dann das in Aussicht genommene, von den „jungen Leuten” namentlich sehnlichst erwartete Tänzchen. – Der genußreiche Abend wird ohne Zweifel ebenfalls dazu beitragen, dem Erzgebirgs-Verein Chemnitz viele neue Freunde zuzuführen.

—e.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 9. Jg. Nr. 3 v. März 1889, S. 25 – 26.