Wiesenthal.

könnte man ein Kind des Bergbaues und einen Zögling der Reformation nennen, denn jener hat es gegründet und diese bevölkert. Es besteht aus dem alten Unterwiesenthal und dem neuen Oberwiesenthal. Unterwiesenthal ist ein altes Bergstädtchen, dessen schon im Jahre 1455 gedacht wird und das in frühern Zeiten bedeutenden Bergbau hatte. Hammerunterwiesenthal hat seinen Namen und Ursprung von den Hammerwerken, die sich daselbst befanden, und war bis zum Jahre 1845 Filial von Oberwiesenthal. –

Oberwiesenthal wurde von einigen Bergleuten aus Unterwiesenthal, um den 1525 entdeckten Gruben am Fichtel- und Eisenberge näher zu wohnen, im Jahre 1526 begründet und gehörte damals zur oberen Grafschaft Hartenstein, welche die Herren Gebrüder Wolf und Ernst von Schönburg in Besitz hatten, jedoch im Jahre 1559 an Kurfürst August von Sachsen verkauften. (Ohnweit der Sonnenwirbelhäuser auf dem Keilberg befindet sich ein Grenzstein, der die Grenze von Sachsen und Böhmen bildet. An diesem Grenzsteine grenzten ehemals drei Länder: das Kurfürstentum Sachsen: Gottesgab, ursprünglich „Wintersgrün” geheißen, Schönburg: Oberwiesenthal, früher „Neustadt über Wiesenthal” genannt, und das Königreich Böhmen: Böhmisch-Wiesenthal.) Es erhielt von genannten Herren von Schönburg einen Raum zu 1500 Baustellen angewiesen und im Jahre 1527 von Herzog Georg d. Bärtigen das Stadtrecht bewilligt. Erst hieß Oberwiesenthal Neustädtel, dann Neustadt und jetzt Ober- oder kürzer nur Wiesenthal. Bevölkert wurde es bald nach seiner Begründung und besonders 1650 durch die aus den benachbarten böhmischen Städten und Dörfern vertriebenen Evangelischen. –

Die Spuren des Kirchenwesens verlieren sich in der Sage, daß böhmische Fuhrleute bei einer großen Fichte auf einer grasreichen Wiese einen Heuschuppen angelegt, um nach Überschreitung des Gottesgaber Passes hier immer Futter für ihr Vieh zu finden, und in die ausgehöhlte Fichte ein Crucifix zum Schutz ihres Schuppens aufgestellt hätten. Nach Begründung des Städtchens ward eine Kapelle erbaut und um sie her ein Totenacker angelegt. Sie wird in einer alten Pfarrmatrikel die Kapelle in Niederwiesenthal genannt und waren zu Ende des 17. Jahrhunderts davon noch Überreste zu sehen. Als die Unterwiesenthaler den Neudörfern eine kleine Glocke liehen, wie in einem, nun verbrannten Wiesenthaler Gerichtsbuche zu lesen, war vielleicht die Kapelle baufällig geworden.

Zu der Parochie Unterwiesenthal gehörte sonst noch Böhmisch-Wiesenthal und Stolzenhain, welche Orte damals evangelisch waren; aber der 30jährige Krieg mit seinen Verfolgungen der Evangelischen im Jahre 1621 traf auch diese Grenzgegend; die Evangelischen wurden verdrängt und namentlich ihre Prediger mißhandelt, wie es z. B. 1631 dem Pfarrer Schober, Archidiakonus Richter und Diakonus Mönch in Joachimsthal erging. 1650 bauten sich die Böhmisch-Wiesenthaler und Stolzenhainer gemeinschaftlich eine katholische Kirche. Als die Kirche in Unterwiesenthal als und baufällig geworden und die Einwohner sich sehr vermehrt hatten, bauten sich auch Ober- und Unterwiesenthal gemeinschaftlich eine neue Kirche auf Unterwiesenthaler Grund und Boden. Diese Kirche hatte keinen Turm, sondern die Glocken hingen in einem besonderen Glockenhause auf der Kirchgasse. Im Jahre 1643 beschloß man auch einen Turm zu bauen, der, 66 Ellen hoch, erst 1659 vollendet wurde, ein schönes Geläute trug und eine eiserne Uhr hatte, die in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts von dem Rathause genommen worden. Von 1665 bis 1669 wurde zum neuen Turm auch eine von Grund aus neue Kirche gebaut, die aber beim großen Brande 1862 mit Turm und Glocken ein Raub der Flammen geworden. –

Von denkwürdigen Begebenheiten der Stadt Oberwiesenthal sei noch Folgendes erwähnt: Acht Tage vor Weihnachten bis Ende Januar 1568 war es hier so warm, daß die Leute Gras holen konnten. Im Jahre 1578 herrschte die Pest. Im Juli 1599 entstand die rote Ruhr und im September darauf die Pest. Im August 1609 jagte der Herzog Johann Georg I., welcher 1610 die Kur erhielt, in den hiesigen Wäldern; da mußte der Pfarrer aus Wiesenthal, Heinrich Ryhle, auf dem Hirschplatz am 19. August eine Wald- und Jagdpredigt halten.

Im Jahre 1612, wo ebenfalls eine wütende, pestartige Seuche viele Menschen wegraffte, fiel ein so großer Schnee, daß sich die Leute aus ihren Häusern scharren lassen mußten. 1625 und 1626 kam abermals ein großartiges Sterben, da denn zu solcher Zeit in die 355 Personen, meistens junge Leute, gestorben. Im August 1633 wiederholte sich die Seuche so grimmig, daß viele Bürger die Stadt verließen und sich gegen den Schön-Jungferngrund unweit des heutigen Weißen Vorwerks Hütten bauten; daher der Name „Hüttenbach”. Auch hat den 27. September desselben Jahres Marie Meßler, des Richters Tochter, sollen begraben werden, ist aber wieder lebendig geworden. Bei allen diesen Seuchen, Folgen des Krieges, haben aber doch viele Personen 80, 90 bis 100 Lebensjahre erreicht und der damalige Pfarrer, obengenannter Heinrich Ryhle, welcher, 75 Jahre alt, im Jahre 1641 gestorben, ist unter allen diesen Drangsalen 45 Jahre im Amte gewesen. Von seinem Amtsnachfolger, M. Peter Adam Dietz, welcher 36 Jahre im Amte gewesen, heißt es, daß er eine ungewöhnliche Körperkraft besessen und mit leichter Mühe 5 – 7 Centnerlast gehoben. Im August 1661 war eine so große Flut, daß das Wasser 3 Teiche zerrissen, alle Hammerwerke, Mühlen, Brücken und Wehre ruiniert, aus dem Thal einen See gemacht und 2 Ellen hoch in den Häusern gestanden habe. 1664 kamen die gegen die Türken beordert gewesenen deutschen Soldaten aus Ungarn zurück und brachten die sogenannte ungarische Krankheit mit, welche wieder viele Menschen hinwegraffte. 1666 war ein schneereicher Winter, wo es denn Windwehen von 13 Ellen Höhe gab. In den Jahren 1676 bis 1678 ließen sich in hiesiger Gegend Wölfe und Bären sehen, welche manchen Schaden anrichteten. Im Jahre 1682 wurde von G. Schwarz die erste Apotheke errichtet und privilegiert. 1684 herrschte die rote Ruhr und 1687 die Blattern. 1693 war wieder ein kalter, schneereicher und von Anfang Dezember bis Ende Januar so stürmischer Winter, daß viele Menschen ganz oder doch ihre Glieder erfroren und der Schnee so hoch lag, daß er einige Häuser ganz bedeckt und eingedrückt hatte. Auf den Gassen lag er zwei Manneslängen hoch, und mußte man vor den Häusern sechs bis neun Stufen zur Hausthüre machen. Acht Tage vor Michaelis des folgenden Jahres fiel abermals ein großer Schnee, daß Alles auf dem Felde bleiben oder mit Schnee hineingerafft werden mußte, worauf es denn hier sehr teuer geworden. 1705 fiel am 25. Mai wiederum ein starker Schnee, der bis auf den 8. Juni beständig anhielt und alles bedeckte, sodaß die hiesige wenige Saat und das junge Gras in großer Gefahr stand, auch das Vieh in manchen Ställen heftig blökte, weil kein Heu mehr vorhanden war. Am 3. Mai 1718 erbrachen einige Kirchendiebe die hiesige Sacristei und stahlen ein Paar Leuchter. 1720 fiel ein ganz ungewöhnlicher Schnee; der Anfang geschah am 10. Februar und dauerte bis April; wodurch denn alle Gassen und Straßen mit Schnee dermaßen angefüllt wurden, daß man zuletzt fast weder aus- noch eingekonnt. Die Dächer, so nicht wohl verwahret gewesen, hat der Schnee eingedrückt; und wegen des großen Schnees und anwachsenden Windwehen hat sich zuletzt auch ein großer Holzmangel herfür gethan, indem niemand in den Wald gehen konnte. Nachdem aber gedachter Schnee im Frühjahre angefangen zu schmelzen, hat sich die Pöhl (Grenzbach) sehr ergossen, die Wehre, samt den Brücken zerrissen und weggeführt, etliche Teiche durchbrochen und schöne Wiesen überschwemmt. Der Winter 1725 / 1726 war so streng, daß die Fische im Teiche erfroren. –

Von verschiedenen Anmerkungen.

Höchst angstvoll für Oberwiesenthal war auch das Jahr 1778, wo im bayer’schen Erbfolgekrieg k. k. Kroaten einfielen und die Stadt mehrmals plünderten. Am 30. September mußten wegen dieser Plünderungen 3 Kinder und den 2. Oktober 2 Kinder in den Häusern getauft werden und am 4. Oktober konnte gar kein Gottesdienst gehalten werden, weil fast alle Einwohner in den Wald oder in entferntere Häuser geflüchtet waren. Der Pfarrer M. Kempe wurde auf freier Straße ausgeplündert.

Der hiesige Bergbau verfiel im Jahre 1832. Die Bergleute feierten alljährlich das Bergfest; dasselbe wurde kirchlich gefeiert bis und mit dem Jahre 1869. Aus der Bergamtskasse Annaberg wurden die Gebühren an sämtliche Geistlichen bezahlt. Dasselbe wurde immer in der zweiten Hälfte Juli oder in der ersten Hälfte des August begangen. Später als die Bergamtsgebühren in Wegfall gekommen waren, überhaupt nichts mehr für den hiesigen Bergbau gethan wurde, bildete die hiesige Bergknappschaft eine Kasse für sich, aus derselben bestritt sie sämtliche Unkosten, auch die für den gottesdienstlichen Kirchenzug, doch geschah letzterer nicht mehr alljährlich. Im Jahre 1886 war es der letzte.

Um die Fertigung der sog. Brüsseler Spitzen auch in Sachsen einzuführen, unternahm 1843 der Kaufmann Schreiber in Dresden mit einem Knaben Namens Wilhelm Mann von hier (später Spitzenhändler und Nadlermeister, † 1873), welcher ihm als vorzüglich geschickter Klöppler bekannt war, eine Reise nach Holland, Belgien und Frankreich und kehrte, nach Beseitigung vieler Schwierigkeiten, im Besitze der Kenntnisse über die ausländische Spitzen-Fabrikationsweise nach einigen Monaten zurück. Nun wurde 1844 hierselbst eine Klöpplerinnen-Schule zur Ausbildung von Lehrerinnen errichtet.

Für die Stadtschule zu Oberwiesenthal wurde 1845 ein neues hübsches Gebäude mit einem Kostenaufwande von 5.500 Thlr. errichtet und am 1. Oktober 1845 eingeweiht.

Nachdem am 5. August 1862 die in den Jahren 1665 bis 1669 erbaute Kirche durch Brandunglück vernichtet wurde, wurde alsbald der Bau zu einer anderweiten Kirche begonnen und selbige am 17. September 1866 eingeweiht. Die Weiherede hielt Herr Superintendent Dr. Franz aus Annaberg.

Zwei Mal wurde die Stadt durch Brandunglück betroffen und bis auf wenige Häuser vernichtet. Das 1. Mal am 14. Januar 1851 und das andere Mal am 5. August 1862.

Sehr schneereich war der Winter 1867 / 68. Derselbe begann Ende November und dauerte bis im März. Der Schnee lag so hoch, daß man in den oberhalb der Schule gelegenen Häusern (H. Strunz und H. Estel gehörig) die Bewohner des ersten Stockwerks durch die Fenster in die Stube sehen konnte. Am hiesigen Brauhaus mußte man, um zu der Thüre zu gelangen, einen Stollen unter den Schneemassen graben und oberhalb der Zolleinnahme (in der sog. Grimm) hatte man einen Schneetunnel errichtet, in welchem Bier und andere Getränke verabreicht wurden.

Zum Schluß unserer kurzen Mitteilungen sei noch der Anwesenheit unserer Landesherren in Wiesenthal in neuerer Zeit gedacht.

Im Sommer 1831 war Se. Königliche Hoheit Prinz Mitregent Friedrich August hier anwesend, wobei er auch den Fichtelberg besuchte. Am 23. August 1858 weilte Se. Majestät König Johann hier; desgleichen am 30. Juni 1867, wo derselbe an der Landesgrenze von Herrn Kreisdirektor Uhde, Herrn Amtshauptmann von Einsiedel, Herrn Oberforstmeister von Günther u. s. w. empfangen und begrüßt wurde. Man hatte 2 Ehrenpforten errichtet, davon eine aus Schnee-Obelisken bestand. Am 10. Juli 1880 erfreute Se. Majestät König Albert Oberwiesenthal mit Seinem Besuche. Unserem allverehrten Landesherrn wurde der festlichste Empfang bereitet, wodurch sich die loyale Gesinnung, die die hiesige Einwohnerschaft stets beseelt hat, aufs schönste kundgab.

Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 9. Jg. Nr. 6 v. Mai 1889, S. 53 – 56.

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