Literarische Bilder Annabergs und seiner Umgebung um 1800 (11)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 12, 18. März 1934, S. 1

Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.

(10. Fortsetzung.)

„Das Klöppeln aber verlangt fast nichts als Zwirn und geschickte Finger, woran es nun seit beinahe dritthalbhundert Jahren dem Gebirge nicht gefehlt hat und wohl auch nie fehlen wird. Wenn man klöppeln sieht und die Tausende, die davon leben, zum Teil auch reich werden, die Summen, welche dadurch in Umlauf kommen, sich denkt, möchte man fast fragen: Wie kann Zwirn und Holz solche große Dinge tun?” Ganz besonders galt dies nun von Annaberg und seiner Umgebung.

In seinem Bergamtsreviere fuhren 1801 nur noch 380 Mann an, betrug die Förderung nur 27000 Taler. Dagegen beschäftigten sich von den 1300 Einwohnern Jöhstadts nicht weniger als etwa 1000 mit Spitzenklöppeln.

Schon diese Zahl beweist, daß man Kinder so früh als möglich, bereits vom 4. und 5. Jahre an, zum Klöppeln anhielt. Es war dies schon darum nötig, weil die Kinder umso schneller und geschickter Klöppeln lernten, je zeitiger man sie dazu anführte. „Denn es gehören in der Tat gelehrige und gelenke Finger dazu, welche mit Klöppeln das Brot verdienen sollen. Mädchen, die erst mit 15 bis 16 Jahren anfangen, erhalten nie die gehörige Brotfertigkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf. Dies hindert aber auch zum Teil das Verpflanzen der Spitzenmanufaktur in andere Länder und sichert sie gleichsam unserem Erzgebirge.” „Ein Kind verdient wöchentlich 4 – 6 – 8 auch wohl 12 und 16 Groschen, – ein förmliches Klöppelmädchen – so nennt man jede Klöpplerin, sie mag verheiratet sein oder nicht – 16 – 20 Groschen, auch über den Taler, nachdem es geschwind, schön und nach leichterem oder schwererem Muster arbeitet. Aber freilich darf es sich dabei von früh bis abends fast nicht umsehen und muß flugs das Mittagsbrot in die Schürze schneiden. Damit man im Fleiße nicht ermüde – denn natürlich wird er bei einer so mühsamen, die Augen angreifenden Arbeit und in den langen Winterabenden nicht wenig angefochten – gehen die Klöppelmädchen, wie in anderen Gegenden die Spinnerinnen, oft abends zusammen und suchen einander durch Erzählungen oder Wetten munter zu erhalten. Das letztere geschieht immer durch Zählen der abzusteckenden Nadeln, wobei gewöhnlich bis 30 gezählt wird. Dabei sitzen denn alle um den Klöppelstock, eine Art von Gestelle, auf welchem soviel Mädchen soviel runde mit Wasser gefüllte Flaschen oder Kugeln stehen, welche alle ein einziges Lämpchen oder Flaschenlicht erhellet – dies kostet wenig und leuchtet stark. So bleibt man, wenn der Kaufmann viel bestellt hat, wohl ganze Nächte beisammen. Um Mitternacht wird (freilich oft nur sogenannter) Kaffee gekocht, wozu jedes Mitglied des Klöppelklubs das Seinige beiträgt. Die eine gibt Bohnen, die andre Wurzel (so nennt man den Cichorie), die dritte Rahm, die vierte Zucker, die fünfte Zöppel (Semmeln) und wer die Zeit zum Kochen opfert, hat damit auch seine Schuldigkeit abgetragen.” Die wenigsten Spitzen werden im Sommer geklöppelt, „denn Feld und Garten wollen auch beschickt sein und Männer rühren da den Klöppelsack gleich gar nicht an.” „Männer den Klöppelsack?” hört Engelhardt den Leser verwundert fragen. „Ja, sehr viele”, antwortet er. „Bergleute, wenn sie ihre Schicht verfahren haben, Köhler und Holzmacher, wenn Schnee und Eis den Wald verschließen, Maurer und Tagelöhner am Feierabend, alte Männer, die dem letzten Feierabend nahe, nicht viel mehr als ein paar Dutzend Klöppel regieren können – diese und mehrere und viele tausend Jungen sitzen den Winter über am Klöppelsack. Aber freilich liefern sie nur gröbere Sorten. Ueberhaupt klöppeln nicht etwa bloß die niederen Stände, sondern auch in den feinern ist das Klöppelkissen den Mädchen und Frauen oft eben das, als in andern Gegenden der Strumpf oder Rahmen.” Schon einige Stunden nördlich und östlich von Annaberg, wo man starken Flachsbau betreibt, spielen im Erwerbsleben Spinnen und Weben die gleiche Rolle wie hier das Klöppeln.

Freilich führten viele arme Familien des oberen Erzgebirges trotz anstrengender und ausdauernder Arbeit aller ihrer Glieder ein kümmerliches Dasein; viele litten unter schrecklicher Wohnungsnot. So berichtet Engelhardt über Jöhstadt und mehrere andere Orte des Obererzgebirges: „Drei bis vier Familien, jede mit einer Herde Kinder, wohnen flugs in einer Stube und geben so gemeinschaftlich den Zins, der für jede immer wöchentlich 1 Groschen, auch 1 Groschen 6 Pfennige beträgt, wofür aber der Wirt zugleich das Heizen besorgt. Wer den Zins nicht zahlen will, muß ihn durch Holzlesen und dergl. abarbeiten. Erdäpfel oder Kaffee ist in der Regel der Mittagstisch. Jede Familie hat ihr besondres Plätzchen am Fenster und wenn der Raum es erlaubt, auch am Herde. Außerdem muß mit dem Zubereiten des Essens immer eins auf das andre warten. Eine so starke und gemischte häusliche Bevölkerung (bei welcher gewöhnlich auch drückende Armut wohnt) dürfte wohl in wenig Gegenden Sachsens zu finden sein.”

Die Hauptbeschäftigungen der niederen Klassen, Bergbau und Spitzenklöppeln, tragen dazu bei, den Volkscharakter zu formen. „Der Bergmann ist zufrieden und froh, treuherzig und unverstellt, fleißig und unverdrossen auch bei der mühsamsten und gefährlichsten Arbeit, ehrlich bis zum Sprichwort, treu seiner Obrigkeit und dem Landesherrn, aber auch festhaltend (und das mit Recht) über seine Freiheiten und Rechte. – So hat man den bergmännischen Charakter von jeher geschildert. Mögen Zeit und Umstände keinen dieser schönen Züge verwischt haben! – Wenigstens kann man sich von der dauernden Echtheit mehrerer derselben durch die tägliche Erfahrung überzeugen. Faulenzer und Dieb sind dem Bergmann gleichbedeutende Schimpftitel. Keine Knappschaft leidet unter sich einen Dieb und sobald es von einem Kameraden bekannt ist, daß er gestohlen hat, darf er schlechterdings nicht mehr anfahren.”

Auch die Beschäftigung des Spitzenklöppelns hat gute erziehende Wirkung. „Das frühzeitige Anhalten der Kinder zum Klöppeln gewöhnt sie nicht bloß zur Tätigkeit und zum Einteilen der Zeit, und zwar leichter, als Rute und Ochsenziemer, sondern auch zur Reinlichkeit, welche beim Klöppelwesen in der Tat gleichsam sich selbst verzinset. Denn je weißer die Spitze, desto besser wird sie bezahlt. Dies veranlaßt oder zwingt, vielmehr auf reinliche Hände, Kleider, Tische und Stuben zu halten. Zuverlässig ist es zum Teil Folge des Klöppelwesens, daß man im Gebirge, auch beim ärmsten Tagelöhner, immer eine reinliche Wirtschaft findet.”

Ein Kenner des Erzgebirges, der in dem Neuen geographischen Magazin von Johann Ernst Fabri (1. Band vom Jahre 1785) das Kreisamt Schwarzenberg beschreibt, vergißt freilich nicht, auch die Schattenseite dieser Tugend zu zeigen: „Weil nun die hiesigen Klöppelmädchen sich mit keiner groben, schmutzigen Arbeit abgeben wollen, so ist man genötigt, meist böhmische und vogtländische Weibspersonen, die sich dazu immer in hinlänglicher Anzahl einfinden, zu Viehmägden zu mieten.” Aber dieser Ersatz einheimischer Kräfte durch auswärtige, sogar landfremde, war offenbar mit Unannehmlichkeiten verknüpft. Und daraus wohl, wie aus rein sozialen Beweggründen, erklärt es sich jedenfalls, daß man 1795 oder 1796 in Wolkenstein ein „auf freiwilligen Beiträgen beruhendes Institut” schuf, „durch welches verwaisete und arme Kinder des Erzgebirges, besonders zu guten Dienstboten, erzogen werden” sollten. „Diese außer dem Gebirge wenig bekannte und doch so heilsame Anstalt empfing von Menschenfreunden gleich in den ersten 3 Jahren gegen 1200 Taler. Die Kurfürstin gibt selbst dazu bedeutende Beiträge. Das Institut unterscheidet sich von ähnlichen Anstalten dadurch, daß die Kinder nicht in einem besonderen Hause, sondern in verschiedenen Gegenden des Erzgebirges, und zwar von Pflegeeltern, erzogen werden, welche für ein Kind von 7 bis 13 Jahren jährlich 12 Taler erhalten. Doch müssen sie gute körperliche Pflege und besorgten Schulunterricht durch Zeugnis von dem Geistlichen des Ortes beweisen. Behalten sie das Kind nach dem 13. Jahre noch 6 Jahre als Knecht oder Magd, so empfangen sie 25 Taler und ebenso viel erhält auch der Dienstbote als Prämie. Die Oberaufsicht über das Institut führen der Amtshauptmann v. Nostitz und der Amtmann Beyer in Wolkenstein unentgeltlich.”

(Schluß folgt.)