Aus unserem Erzgebirge in früherer Zeit.

Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr 38. – Sonntag, den 15. September 1929, S. 2

Der Berggeist.

Erzählt von Paul Kühnel.

Wohl alle unsere Leser haben schon einmal etwas vom Berggeist gehört. Es ist dies der „Geist”, der in den Tiefen der Bergwerksschächte seine Behausung hat und den Bergleuten bei ihrer Arbeit oft erschienen sein soll. Alte Bergleute (ich spreche wieder aus meiner Heimat, dem östlichen Erzgebirge) vermögen über diesen Geist die schauerlichsten Geschichten zu erzählen. Durchweg wird er geschildert als ein kleines, graubärtiges Männchen mit einer großen blankgeputzten Blende (Grubenlicht), mit Schachtmütze, Kniebügel und A…-Leder. Die einen schildern ihn als gut, manche aber als possenhaft, da er den Bergleuten gern einen Schabernack spiele; andere aber bezeichnen ihn direkt als böse. — Ich will hier wiedergeben, was mir über das Wesen dieses Geistes erzählt worden ist.

Ein früherer Bergmann, der damals (vor 40 Jahren) das gewonnene Erz mittels Schubkarren aus einem Längsschachte beförderte, arbeitete mit zwei alten Häuern zusammen, die immer von einem „Mannel” sprachen. Wenn einmal im Schachte etwas polterte oder knackte, so sagten sie immer: „Dos war’s Mannel!” Da er aber nicht wußte, was das für ein „Mannel” war, und er auch noch keins gesehen hatte, so fragte er einmal diese Häuer, was das für ein „Mannel” sei.

„Nu, der Berggeist!” erwiderte der eine. „Wenn du ihn noch nicht gesehen hast, so wird er sich dir schon noch zeigen. Uns allen ist er schon erschienen.” Und sofort erzählten sie ihm, wie er sie „bescheecht” habe.

„Es war eines Morgens”, so begann der eine, „wir waren eben zur Arbeit angefahren und machten noch, auf Steinen sitzend, ein kleines „Nickerchen” (Schläfchen), da es noch nicht ganz Zeit zum Arbeitsbeginn war. Plötzlich hörten wir laute Schritte durch den Stollengang kommen. „Der Obersteiger kommt!”, rief einer. Schnell griffen wir zu Hammer und Schlägel und begannen mit der Arbeit. — Immer noch hörten wir die Schritte, aber der Obersteiger kam — nicht. Schließlich mußten wir uns sagen, daß es das „Mannel” gewesen war, welches uns genarrt hatte.”

Als dieser geendet hatte, begann der andere zu erzählen: „Ich mußte einmal während der Arbeit meine Notdurft verrichten und ging zu diesem Zwecke ein Stück im Stollengang zurück; dazu diente der Wassergraben, der das Schachtwasser hinausbeförderte und der mit Holzbrettern verdeckt war. Als ich dies tat und mich etwas umschaute, soweit mir mein Blendenlicht dies gestattete, bemerkte ich ganz oben an der Stollendecke das „Mannel” sitzend und mich mit grimmiger Gebärde anschauend. Ich rannte schnell zu den anderen Kameraden vor zum Arbeitsort und holte sie dorthin; aber schon war es verschwunden.” Mit Kennermiene fügte der alte Häuer noch hinzu: „Wenn du es alleine triffst, so gehe ihm ja aus dem Wege; denn da ist es besonders bösartig.”

Wie mir der ehemalige Bergmann mitteilte, hat er aber kein „Mannel” gesehen, obwohl er lange Zeit dort beschäftigt gewesen ist.

Ein anderer ehemaliger Bergmann erzählte mir Folgendes, was ihm selbst passiert sein soll: Er hatte Nachtschicht, und es gehörte zu seinem Arbeitsgebiet die Versorgung der Pochmühlen von drei Wäschen, die räumlich etwas voneinander lagen. Er war mutterseelenallein an dieser Arbeitsstätte. In einer stockdunklen Herbstnacht gewahrte er, als er die eine Wäsche verlassen wollte und sein Blendenlicht einen Schein zur Tür hinauswarf, daß vor derselben eine Gestalt stehe mit einem Knüppel in der Hand. Er rief die Gestalt an, doch bekam er keine Antwort. Sein Gedanke war sofort, daß dies der Berggeist sei, der ihm eins „auswischen” wolle. Er schlug die Tür zu und verschloß sie, um durch einen anderen Ausgang ins Freie zu gelangen. Als er aber auch hier die Tür öffnete — stand die Gestalt wieder da. Nun aber faßte er sich Mut und ging an der starr dastehenden Gestalt vorüber, ohne daß diese ihn angerührt habe. Sie sei ihm aber auf dem Rückwege nach der anderen Wäsche in kurzem Abstande gefolgt, bis er in diese hineingegangen sei. Er habe dort sämtliche Türen verschlossen und sei nicht eher wieder hinausgegangen, als bis am Morgen die Ablösung gekommen sei. — Noch in derselben Nacht habe sie (die Gestalt) ein paar schwere Steine gegen eine starke Doppeltüre geworfen, wodurch diese beinahe aus den Angeln gehoben worden wäre.

Der ehemalige Bergmann fügte hinzu, daß er noch nie während seiner fast 30jährigen bergmännischen Tätigkeit so von Furcht gepackt gewesen sei wie in dieser Nacht. — Das ist menschlich begreiflich. Als ich ihn aber darauf hinwies, daß diese „berggeistliche Gestalt” eher eine „schlechte menschliche Gestalt” gewesen sein könnte, die einen Anschlag auf ihn geplant habe, so antwortete er: Das könne vielleicht auch sein, aber er könne sich das nicht erklären, da er doch keine Feinde gehabt habe. — Das müsse schon der Berggeist gewesen sein. Und so ließ ich ihn dabei. Der brave Alte nahm ganz wahrscheinlich an, daß auch die anderen Menschen alle so gutmütig seien wie er selber sei, der sein Leben lang gearbeitet und niemandem etwas zuleide getan hat.