Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 47, 21. November 1926, S. 6
(Schluß)
Wie oft spricht man von der guten alten Zeit. In mancherlei Beziehung mag dies ja gegenüber unseren heutigen Lebensverhältnissen begründet sein. Aber trotz alledem. Vergegenwärtigen wir uns doch mal, wie es so war vor 70 Jahren mit der Wohnungsbeleuchtung aussah. Da brannte z. B. in unserer ziemlich großen Wohnstube des Abends nur eine zinnerne Rüböllampe, mit der man immer zu tun hatte, denn bald mußte Oel nachgegossen, der Docht nachgeschoben und die ewig sich bildenden „Röspel“ entfernt werden. Und bei solch einer spärlichen Beleuchtung saß man abends um den Tisch und ich habe dabei oft meine Schularbeiten machen müssen. Solche Lampen, wie die vorbezeichneten, sieht man heute nur noch auf Schmuckbrettern und in den Altertumsmuseen.
Ein großer Fortschritt schon war es, als die sogenannten Astrallampen, mit dem Oelballon an der Seite, erschienen. Bis endlich mit der Einführung des Solaröles und des Leuchtgases erträglichere Zustände in der Beleuchtung geschaffen wurden. (Siehe Emil Finck „Es war einmal …“ (Pöhlberg-Verlag.)
Und heute, im Zeitalter der Elektrizität, haben wir das idealste Licht, was man sich nur wünschen kann. Und doch ungeachtet der mangelhaften und spärlichen Beleuchtung, gab es in meiner Jugendzeit nur wenig kurzsichtige Menschen. In dem großen Kreis meiner Angehörigen, sowie unter meinen Schulkameraden und Freunden gab es keinen, der eine Brille trug. In der jetzigen Zeit ist dies aber anders geworden, es gibt auffällig viel kurzsichtige Menschen.
Merkwürdige Zustände herrschten in meiner Jugendzeit auch in Bezug auf die Oefen.
Da gab es nämlich noch solche, die von der Wand aus weit in die Stube ragten und von außen, vom Vorraum der Stube aus, gefeuert werden mußten. Um dies zu bewerkstelligen, gab es fast 1¾ Meter lange Ofengabeln, an deren Spitze zwei eiserne Zinken angebracht waren. Mit dieser Gabel mußten nun die Späne und das Holz weit in den Ofen vorgeschoben werden. Dies und das Zusetzen und Herausnehmen großer gefüllter Töpfe aus dem Ofen war keine leichte Sache. Eine längere Erfahrung, Kraft und Umsicht war hierzu erforderlich. Ein solcher Ofen mit allerdings kleinerer Ofengabel ist noch im Annaberger Altertumsmuseum augestellt.
Von allen diesen Beschwernissen, die es in der alten guten Zeit gab, weiß die jetzige Welt nichts. Heutigen Tages hält man einen Gaskocher und einen gut zu bedienenden Ofen für selbstverständlich.
Die Weihnachtszeit ist für den Erzgebirger eine köstliche Zeit. Wenn in seinem noch so bescheidenen Heim nur ein Christgärtchen oder gar noch eine Pyramide aufgestellt ist und an der Decke ein mit Glasperlen behängter, vielfarbiger Leuchter (wie es solche nur im Erzgebirge gibt), sowie Dillenmänner (Bergleute, Türken, Ritter usw., die alle in Annaberg in vollendeter künstlerischer Form hergestellt werden) ihr magisches Licht über alle die Herrlichkeiten ausbreiten, so ist dies dem Erzgebirger seine Welt, in der er mit seiner Familie die glücklichsten Stunden verlebt.
Als Junge bin ich zur Weihnachtszeit oft die stillen Gassen auf- und abgegangen, habe in die Fenster der kleinen Häuschen auf den Sommerleiten hineingeschaut und mich namentlich an den Christgärten und Pyramiden ergötzt.
Um die Jahre 1858 bis vielleicht 1870 gab es in Annaberg einen Dekorationsmaler Sonntag, der vielfach zu Christgeburten in künstlerischer und naturgetreuer Weise als Hintergrund „Jerusalem“ oder „Bethlehem“ gemalt hat. Ich selbst besitze von ihm noch einen sehr schön gezeichneten engel.
Besonderes Interesse hatte ich für die mechanisch betriebenen, oder wie man auch sagt „lebendigen Christgeburten“. Eine solche habe ich vor einigen Jahrzehnten auf der Großen Sommerleite gesehen. Diese Christgeburt nahm ein ganzes Wohnzimmer ein. Hoffentlich besteht dieselbe noch und erfreut zur Weihnachtszeit immer von neuem alt und jung.
Eine ungefähr vor 66 Jahren zu Weihnachten im Gewerbehause zu Annaberg ausgestellte Christgeburt, die in Etagen aufgebaut war und viele bemerkenswerte Vorgänge im Leben des Heilandes, von der Erscheinung bis zu seinem Einzug in Jerusalem, der unter Glockengeläute erfolgte, mechanisch belebt darstellte, war das Vollendete in dieser Beziehung, was ich gesehen habe, und ist mir und gewiß allen den vielen Annaberger Kindern, die das Kunstwerk mit gesehen haben, als ein schönes Erlebnis im Gedächtnis verblieben.
Zur Weihnachts- und Neujahrszeit wurden die herkömmlichen alten Gebräuche stets eingehalten. So wurden an allen den drei heiligen Abenden nur Linsen gekocht. Wenn die Stube an diesem Abend durch Lichter, Pyramide usw. noch so sehr im Lichterglanze erstrahlte, das „heilige Abendlicht“, das die Seifensieder in besonders größerer Form und sehr schön bemalt herstellten, durfte nicht fehlen; es wurde vor Beginn des Abendessens angebrannt und nach dem Essen wieder ausgelöscht. Auch wurden an den drei heiligen Abenden Brot und Salz auf den Tisch gestellt; nach Beendigung des Essens in das Tischtuch eingeschlagen und darin die Nacht über liegen gelassen. Ob die alles nivellierende Zeit auch diese alten, gedankentiefen Gebräuche beseitigt hat, ist mir nicht bekannt geworden. Ich kann es mir nicht denken. (Die alten Weihnachtsbräuche im Bilde festzuhalten, hat dankenswerterweise der Pöhlberg-Verlag (Annaberg, Markt 8) unternommen durch Herausgabe der Rudolph Köselitzschen Künstlerpostkartenserie: Dr heilge Ohmd.)
Mit meinen „Erinnerungen“ bin ich zu Ende. Noch einmal bin ich von meiner Phantasie mit lichter Hand in mein Jugendland geleitet worden. Ich habe mich erfreut an dem bunten Tanz der in der Erinnerung aufgestiegenen Gestalten, habe aber auch manche schmerzlichen Gefühle, die ich durch den Verlust mancher Lieben oder in anderer Weise, wie sie das Leben eben bringt, erlitten habe, lieber unausgesprochen gelassen. Wenn man alt geworden ist, lebt man ja überhaupt nur noch in erinnerungen, Verstehen und Verzeihen!
Wie in meiner Jugend, so werde ich auch in meinem Alter mit meiner Vaterstadt Annaberg in treuer Liebe immerdar verbunden bleiben.
Möge es der Stadt Annaberg beschieden sein, daß auch sie unter dem sicheren Schutze einer fürsorglichen Stadtverwaltung und der Führung eines weitausschauenden Handels- und Gewerbestandes aus den wirtschaftlichen Nöten dieser Zeit sich wieder emporringe und tausend und abertausend kunstgeübte Hände zu neuem Schaffen in Tätigkeit setze. Dazu ein herzliches „Glückauf“!
Stadtkämmerer i. R. Görner-Zwickau
Ende.