Der Annaberger Bahnhof mit Emilienberg.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 120. Jahrgang, Nr. 51, 19. Dezember 1926, S. 1

Emilienberg.
Ausschnitt aus einer alten Lithographie von Carl Frühsorge.

Kurz nach der Inbetriebnahme unseres Bahnhofes, die am 1. Februar 1866 erfolgte, mag das vorstehende Bild vom Zeichner aufgenommen worden sein; denn wir erblicken auf demselben noch nichts von einer Weiterführung der Eisenbahn nach Weipert, die sechs Jahre später in vollen Betrieb genommen wurde. Die Gebäude unserer Bahnstation sind nach ihrer Lage leicht erkennbar: links unten im Bilde die alte Wagenremise, denn das aus drei zusammenhängenden Teilen bestehende Stationsgebäude, das Lokomotivenhaus, der Kohlenschuppen und der Güterschuppen, über demselben das vor ca. 20 Jahren abgetragene, langgestreckte Beamtenwohnhaus, an dessen Stelle sich jetzt der schmucke Bau des Geschäftshauses August Schneider befindet. Die kleine Häusergruppe hinter dem erwähnten ehemaligen Beamtenwohngebäude stellt das „Bahnhofshotel“ mit der „Drehscheibe“ dar. Vom ehemaligen „Kaiserhof“ (jetzt A. Wetzel, Bahnhofstraße 29), der Mitte 1880er Jahre kurze Zeit als Schankwirtschaft in Betrieb war, ist noch keine Spur zu entdecken.

Die Anhöhe auf der rechten Bildseite, die von „Hohls Villa“ gekrönt und vom Reischdorfer Weg (früher auch „Paschweg“ genannt) durchschnitten wird, ist der „Emilienberg“, der sich nach der Talstraße herum erstreckt. Der Name Emilienberg rührt vom Kaufmann Heinrich Hänel her, der bis 1833 als Posamenten- und Spitzenhändler in Buchholz lebte und dort auch das Amt eines Stadtrates bekleidete. Vom Jahre 1827 an verwandelte er den wüsten Zinnhaldensturz des „Grünen Geschickes“ in geschmackvolle Gartenanlagen, die er seiner Gattin (Emilie Auguste Konstanze geb. Krumpiegel aus Hermannsdorf) zu Ehren Emilienberg nannte. Demgemäß trug auch sein Grabstein auf dem Annaberger Friedhofe die Inschrift: „Hier ruhet Eduard Heinrich Hänel aus Buchholz, geb. den 13. Oktober 1790, gest. den 20. Juli 1855 auf dem Emilienberg bei Annaberg.“ Bemerkenswert ist die Ortsangabe in der Grabschrift, weil sie durchblicken läßt, daß sich die Bewohner des Emilienberges nicht gern zu Kleinrückerswalde rechneten.

Tatsächlich waren das Hänel’sche Haus (später „Hohls Villa“), die Hüttenmühle (jetzt Gasfernwerk) und zwei benachbarte Häuser schon vor deren Einverleibung in den Stadtbezirk nach Annaberg gepfarrt. — Doch zurück zu unserem Bilde!

An der rechten Seite der Bahnhofstraße (jetzt Nr. 3) erblicken wir das „Schlössel“. Der Name ist alt und es bestehen Zweifel darüber, ob das Wort von Schloß oder von Schleuse abzuleiten ist. Bemerkenswert aber ist jedenfalls, daß der Name in der Gegend wiederholt vorkommt, so bei Jöhstadt und (auf böhmischer Seite) bei Hammerunterwiesenthal. Nach ihm hat die in den Jahren 1829 bis 1831 erbaute hohe Ueberbrückung des Tales, die den alten beschwerlichen „Buchholzer Weg“ überflüssig machte, den Namen „Schlösselbrücke“. (Bemerkt sei hier noch, daß vom Orte der jetzigen Busmarckstraße aus am 15. März 1547 von Wilhelm Thumshirn — einem Annaberger Stadtkinde —, der in Diensten des Herzogs Moritz stand, die Stadt „angeblasen“ (d. h. mit einigen Kanonenschüssen beglückt) wurde, um sie zur Uebergabe zu zwingen. Aehnliches geschah am 20. August 1632 durch den Feldmarschall Holck.)

Ganz unten in der linken Ecke zeigt sich, am Wege nach Frohnau, die Villa des Rechtsanwalts Carl Hermann Oehme (geb. 1828 zu Großenhain, gest. 1912 zu Dresden), der 1854—1860 in Annaberg juristischer Stadtrat war und sich besonders verdient gemacht hat durch sein energisches Eintreten für das Zustandekommen der Chemnitz—Annaberg—Weiperter Eisenbahnverbindung.

Deutlich erkennbar ist auch das oberhalb Oehmes Villa gelegene Grubengebäude mit Göpelwerk der „Getreuen Nachbarschaft“ und weiterhin das ehemals Julius Härtelsche (dann Krämersche) Anwesen, in dem sich seit Anfangs der 1860er Jahre eine umfangreiche Kaninchenzucht — die erste ihrer Art im Obererzgebirge — befand. Schrägüber, rechts an der Straße, zeigt sich die bei der Regulierung der Talstraße abgebrochene „Flisterscheune“.

Links im Bilde ist ein massiger runder Turm sichtbar; er gehörte zur Stadtmauer und ist als Wohnhaus in unveränderter Gestalt im Besitze des Fleischerobermeisters O. Saupe (Buchholzer Straße 36). Die jetzige Scheibnerstraße kann nur mit der Hinterfront zur Geltung kommen; am Eingange der Schlösselbrücke erblicken wir „Manns Restaurant“ (jetzt W. Wimmer, Bahnhofstraße 2) und darunter die jetzige „Herberge zur Heimat“ (Bahnhofstraße 4). — Oberhalb der Schlösselbrücke wird der größte Teil des Dorfes Kleinrückerswalde bis ziemlich an das „Erbgericht“ sichtbar, und weiter rechts oberhalb davon bemerkt man die „Bärensteiner Straße“; rechts von der Kurve taucht in beinahe nebelhafter Ferne „Himmlisch Heer“ mit seiner Halde hervor.

Der Zeichner des Bildes ruht längst in stiller Gruft, aber die naturgetreuen Wiedergaben der Ansichten seiner engeren Heimat erfreuen heute noch die Augen und Herzen seiner Zeitgenossen und deren Nachkommen.

—m—