Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 132. Jahrgang Nr. 15 vom 9. April 1939. S. 1 – 2.
Die Jahresteilung unserer germanischen Vorfahren war sehr viel naturverbundener als das aus dem Süden übernommene System, welches seit einigen Jahrhunderten bei uns gilt. Wir merken unserer Jahresrechnung die Entstehung unter anderem Himmel an, wenn wir bedeutsame Einschnitte im Jahreslauf wie Frühjahrs-, Sommer-, Herbst- und Winterbeginn mit der tatsächlichen Lage in der Natur vergleichen. Der Winter beginnt bei uns früher als am 21. Dezember, die anderen Zeiten wollen gleichfalls nie so recht dem Kalender entsprechen. Nun können wir bei den zivilisatorischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der Völker heute nicht ohne weiteres eine Zeiteinteilung aufheben, der sich alle Kulturvölker nach und nach angeschlossen haben. In unserem eigenen völkischen Leben aber können wir uns gut an den Jahresbrauch der Ahnen anlehnen, der in Jahrtausenden gewachsen und Ausdruck unmittelbarster Lebens- und Naturverbundenheit ist.
Darum erinnern wir uns zur Weihnacht an die alten Mittwinter-Feuer und -Feste, an die germanische Feier des neuen Sonnenjahres mit den einleitenden Geweihten Nächten. Hier hat sich im Volksleben der Gegenwart noch ein Kern alten Brauches erhalten, der sich um die deutsche Weihnacht rankt und sie erst zu dem schönsten aller Feste gestaltet. Schwerer ist die Erkenntnis und Zusammenfassung des alten Frühlingsbrauchtums. In der nachgermanischen Zeit wurde es gewollt und ungewollt verteilt auf die Zeit vom Februar bis in den beginnenden Mai. Die Fastnachtsbräuche gehören so sehr dazu, wie das Brauchtum um Ostern und die Mainacht.
Wir dürfen auch hier, wie bei den Mittwinter- und Mittsommerfesten, auf die Ausdehnung des Festbrauchtums auf eine Anzahl von Tagen schließen. Durch die Einschiebung der kirchlichen Fastenzeit zwischen Fastnacht und Ostern wurde das alte Brauchtum zerrissen, jeder Teil machte in der Folge seine eigene Entwicklung durch. Die schöpferische Kraft des deutschen Volkes fand sich damit ab und prägte neue Formen im Brauchtum, die heute unser Leben bereichern.
Wenn wir heute uns bemühen, im Rahmen unserer Volkstumsarbeit der NSG Kraft durch Freude das Wissen um die vergangene Zeit zu vertiefen und das volksechte Brauchtum im Leben der Gegenwart wieder zu verankern, dann nicht deshalb, um etwa alte Götter auf den Thron zu heben, von dem sie verstoßen waren. Volksbrauchtum ist mehr als zeitgebundene Religionsauffassung, ist einfach die unmittelbare Antwort eines gesunden Lebens auf die Fragen, die Naturgeschehen und Schicksal an dieses stellen. Wir wissen heute wieder, was das Frühjahr für die deutsche Erde bedeutet. Ohne diese ewig neue Fruchtbarkeit nach dem Wintertod kann das Leben unseres Volkes nicht gesichert werden. Tiefer empfinden wir darum altes Brauchtum, wie das „Winteraustreiben” oder „Todaustreiben”, das von der Fastnacht an über den Sonntag Lätare bis zu den Ostertagen im deutschen Volke in den verschiedensten Gestalten dargestellt wird. Auch das Osterfeuer, das wir wieder einreihen in die Kette der Jahresfeuer, ist Zeichen belebender Wärme, wachsenden Lichtes und Überwindung winterdunkler Gewalten. Dieses Empfinden und damit die brauchtümlichen Formen haben sich durch die Jahrhunderte im Volke erhalten, trotzdem die verschiedenen Obrigkeiten auch sie mit Verboten bedachten. Wie uns das Zutaltreiben von Feuerrädern um Ostern vor fast einem Jahrtausend bezeugt wird, damals als „heidnisch” abgelehnt, so wurde es in jedem Jahrhundert wieder geübt bis auf den heutigen Tag. Das leuchtende Rad wurde zum Sinnbild der Sonne, deren Bild wir auch in Form der verschiedenen Ostergebäcke finden.
Wie bei allen volkstümlichen Festen spielt in der Zeit der Frühlingsfeste der Tanz eine besondere Rolle. Das deutsche Volk tanzt gern, es läßt selbst die Sonne am Ostermorgen tanzen. Christliche Gläubigkeit deutet diesen Tanz der Sonne als Ausdruck der Freude über die Auferstehung des Gekreuzigten, Auferstehungsglaube beseelte auch vordem diese Festzeit, Glaube an den Sieg des Lichtes, das vom Winter getötet schien.
Man muß darum gar nicht einmal das Vorhandensein einer Göttin Ostara annehmen, die nur von einer schriftlichen Quelle bezeugt wird. Ihr mag an einigen Stellen des Landes ein Dienst gegolten haben, wie das Vorhandensein einer Reihe von Ortsnamen in Verbindung mit „Oster” andeutet. Möglich ist auch, daß diese Ostara als Gattin Thors gedacht war, der den Winterriesen besiegte. Diese Personifikationen von Kräften, die durchweg erst in spät-germanischer Zeit sichtbar werden, darf man nicht überschätzen. Besser ist schon, sich der auch diese zeitgebundenen Äußerungen gestaltenden seelischen Beweggründe zu erinnern, die einstmals die gleichen waren wie heute.
An Thor mag der im Osterbrauchtum mancherorts vorkommende Hahn erinnern. Wir sehen diesen jedoch auch als Zeichen der Fruchtbarkeit, die der Frühjahrszeit ihr besonderes Gepräge gibt. Fruchtbar wie der Hahn ist auch der Hase, der als Osterhase die Ostereier bringen soll. Und wiederum ist auch das Ei im deutschen Brauchtum Zeichen der Fruchtbarkeit, im Brauchtum des Lebens wird diese Eigenschaft oftmals betont.
Heute ist das Osterei allgemeindeutsches Osterbrauchtum. Zumeist wird es gefärbt, wobei stellenweise ein bestimmter Tag dafür vorgeschrieben ist. Die leuchtenden Farben gleichen jenen der Blumen, die der junge Frühling aus der Erde zaubert. Den Kindern aber werden in den verschiedenen Gauen die Eier versteckt, so daß sie in der Frühe des Ostersonntags durch Haus und Garten streifend das festliche Geschenk aufsuchen. Dabei bereiten ihnen die Nachbildungen des natürlichen Eies die gleiche Freude.
Auch das Osterei aber will in mancher Landschaft erst erworben sein. Das Eierwerfen, Eierstoßen oder Eierknicken ist weitverbreitete Sitte. Kinder und Eltern ziehen zu diesen Festgebräuchen in langen Zügen zu bestimmten bergigen Stellen oder anderen traditionell festgelegten Örtlichkeiten. Es will nicht ganz dem Sinn der Eiersitte entsprechen, wenn man heute dieses durch andere runde Eßbarkeiten, etwa Apfelsinen, ersetzt.
Die Frühlingsfeiern waren in alter Zeit Anlaß froher Spiele. Schon das „Winteraustreiben” wurde zur dramatischen Handlung. An diese aber rankten sich andere Stoffe, Tänze traten dazu, Ernst und Lust mischten sich in volkgebundener Auffassung. Als die Kirche diese Spiele durch das Osterspel ersetzte, zog dieses nach und nach die Elemente des alten Spieles an sich und wurde dadurch so grundlegend verändert, daß es wiederum aus den Kirchen zurückwanderte auf die Märkte und Feste des Volkes. Das Fastnachtsspiel nahm gleichfalls Teile des alten Volksspieles auf. Heute sind die Spiele in der Frühlingszeit vielerorts vergessen, allein sie sind wert, wieder aufgenommen zu werden. In der alten Form kann die neue Lebensanschauung unserer Zeit sich vereinen mit dem ewigen Gedankengut unseres Volkes.
Eine kurze Umschau im großdeutschen Volke zeigt uns, wie lebendig das alte Frühlingsbrauchtum noch ist, wie vielfältig es sich erhalten hat durch die Jahrhunderte. Wenn wir heute glücklicher als je zuvor deutsche Ostern feiern können, soll auch in uns widerklingen die Frühlingsfreude eines ewigen Volkstums, das seinen Wintertod überwand und zu neuer Schöpfung bereitsteht.
Wilhelm Stölting.