Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 31 – Sonntag, den 29. Juli 1928, S. 4.
25 Jahre sind im Laufe dieser Woche verflossen, seit auf der Haltestelle Königstraße zu Buchholz ein schweres Eisenbahnunglück sich zutrug, ein schreckliches Ereignis, dessen viele sich noch erinnern werden. Von dem Weiperter Zug, der 2,45 Uhr mittags die Haltestelle passierte, entgleisten beim Einfahren auf Bahnhof Königstraße die drei letzten Wagen (zwei Personen- und ein Packmeisterwagen) und legten sich nach der linken Seite um. Bei diesem Verkehrsunfall kamen leider 4 Menschen um das Leben und zwei wurden schwer, sowie 4 leicht verletzt. Die Getöteten waren: der Unteroffizier-Hoboist Paul Langer aus Sehma vom Großenhainer Husarenregiment, der Kaufmann Albert Grund aus Bärenstein, Frau Postverwalter Otto aus Sehma und Frau Emilie verw. Meyer aus Marienberg. Die Ursache des Betriebsunfalles war zu zeitige Umstellung der Einfahrtsweiche. Unter den zuerst erkannten Leichen befand sich der Kaufmann Grund, der mit seiner Frau nach Annaberg fahren wollte und in einem Abteil 3. Klasse saß. Er lag tot auf der Strecke, neben ihm kniete, den Verlust des Gatten beklagend, seine Lebensgefährtin. Unweit von ihm lag der Soldat Langer mit zertrümmerten Kopf, der nach einem Urlaub in seine Garnison zurückkehren wollte. Zwischen den Wagen sah man Teile menschlicher Körper, herrührend von den getöteten beiden Frauen. Einer derselben war der Kopf vom Rumpf getrennt worden; letzterer bildete eine formlose Masse. Einer Frau aus Schneeberg mußte auf freier Strecke ein Bein geschient werden; einem Reisenden aus Plauen ferner wurde die ganze Haut vom Kopfe getrennt. Das Wartezimmer des Stationsgebäudes war in ein Verbandszimmer umgewandelt. An der Unglücksstelle trafen alsbald die Herren Dr. Gutbier und Dr. Curschmann aus Buchholz sowie Dr. Mühlig aus Annaberg ein. Die tödlich Verunglückten waren bei Wahrnehmung der Gefahr aus den Wagen gesprungen und wurden dabei von den umstürzenden Wagen getötet. Überall herrschte eine gewaltige Aufregung, auch unter dem Publikum. Der gesamte Zugverkehr mußte sofort eingestellt werden. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung waren Polizei, Gendarmerie und Feuerwehr aufgeboten. Von Chemnitz traf ein Rettungszug ein, um die umgestürzten Wagen wieder einzuschienen. Das Werkstättenpersonal arbeitete nach eingebrochener Dunkelheit bei Fackelbeleuchtung. Im Zusammenhang mit dem Unfall ist der damalige Stationsverwalter Reinhardt auf kurze Zeit inhaftiert, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt und gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet worden. Bei der Erörterung der Schuldfrage wurde in der Presse darauf hingewiesen, daß damals die betriebstechnischen Einrichtungen des erst ein Jahr vorher in Betrieb genommenen Haltepunktes unzulänglich waren. Der Beamte hatte damals den äußeren und inneren Dienst teilweise gleichzeitig durchzuführen. — Abends fand eine Sitzung der städtischen Kollegien statt, in der man einen Bericht über das Unglück entgegennahm und der Teilnahme der Stadt warmherzigen Ausdruck gab. Ferner wurde über die Aufhebung der Leichen und die Auslieferung derselben berichtet und allen treuen Helfern beim Unglück herzlich gedankt. An sämtlichen Beerdigungsfeierlichkeiten nahm je eine Deputation der Kollegien teil. In Begleitung höherer Beamter aus dem Finanzministerium weilte auch Staatsminister Dr. Rüger in Buchholz, um die Anlage des Haltepunktes einer eingehenden Besichtigung zu unterziehen und eine gründliche technische Untersuchung derselben vornehmen zu lassen. Die Annahme zu früher Weichenumstellung stellte sich alsbald als zutreffend heraus und der vorgenannte Verwalter des Haltepunktes wurde erneut verhaftet, obwohl man in der Bevölkerung trotz aller offenbaren Schuld doch Mitleid mit dem Beamten empfand, dessen Überbürdung glatt festgestellt wurde. Der verunglückte Zug bestand aus über zwanzig Wagen, eine im Verhältnis zu dem kurzen Kreuzungsgleis reichliche Länge. In Annaberg wurde das eine Opfer des Unglückes, Frau verw. Meyer aus Marienberg, beerdigt; sie hatte dort zwei verheiratete Töchter. Die Stadt Buchholz widmete ihr einen Fächerschmuck und entsandte die Herren Stadtverordneten Fischer und Ebeling zur Beerdigung. Die Trauerrede hielt Herr Pfarrer Wächter-Annaberg. Die Anteilnahme der Bevölkerung war gewaltig und die Beisetzung machte einen erschütternden Eindruck auf alle Teilnehmer. — Beistehende Aufnahme veranschaulicht deutlich die Folgen des Eisenbahnunfalles.