Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 20, 16. Mai 1926, S. 6
Heimatkundliche Plauderei von Emil Finck.
(Fortsetzung.)
Die Schröter-Straße, gleichfalls 1889 benannt, dient zur Erinnerung an den langjährigen Stadtverordneten- und Hospitalvorsteher Paul Theodor Schröter, der 1880 in Ansehung seiner Verdienste um die Stadt das Ehrenbürgerrecht erlangte. Er stammte aus Zittau, kam 1822 nach Annaberg, das Posamentierhandwerk zu erlernen, erwarb 1834 das Meisterrecht und starb am 13. Oktober 1887 im 80. Lebensjahr. Zum Stadtverordneten wurde er bereits 1846 gewählt, und das Vorsteheramt bekleidete er von 1860 ab. Die Verwaltung der Hospitalstiftung lag ihm bereits seit 1856 ob.
Zu Ende 1897 legte der Stadtrat und stellvertretende Bürgermeister Hermann Theodor Köselitz, gleichfalls Ehrenbürger der Stadt, vorgerückten Alters wegen seine öffentlichen Ämter nieder. Er ist zu Annaberg am 18. Oktober 1822 geboren und betrieb die Seidenfärberei. Seit 1871 hat er dem Rate der Stadt angehört, und vorher war er auch Stadtverordneter. Seine besondere Fürsorge hat er jederzeit dem gewerblichen Schulwesen zugewendet, wie er denn überhaupt für Pflege von Kunst und Wissenschaft einen regen Sinn bekundete. Beim scheiden aus seiner Wirksamkeit wurde ihm mannigfache Ehrung erwiesen. Die nachhaltigste dürfte die sein, welche aus folgender „Bekanntmachung” spricht: „Der Rat hat beschlossen, als Beweis besonderer Achtung und Anerkennung der Verdienste, die sich der mit Ende 1897 aus den städtischen Diensten geschiedene Herr Stadtrat Köselitz um die Stadt und ihre Verwaltung erworben hat, die Straße und den Platz vor seinem Hause mit dem Namen Köselitz-Platz zu belegen”. Die beiden hier erwähnten Wegstücke wurden bis dahin als Teile der Schießhausstraße angesehen, die nunmehr eine für das Zurechtfinden zweckmäßigere Abgrenzung erfahren hat.
Von all den bisher in Betracht gezogenen Namen kommt keiner an Alter dem Mandelberg und der Mandelgasse gleich. Eigentlich sollten sie zweiteilig geschrieben werden wie die vorausstehenden; denn das Bestimmungswort ist auch hier beide Male als Familienname anzusehen. Es handelt sich in beiden Fällen auch um die gleiche Person, die zwar nicht Mandel, sondern Mendel, Mendlein oder Mennel genannt und geschrieben worden ist. Welche von diesen Formen zu bevorzugen sei, bleibt schwer zu entscheiden. Immerhin spricht viel für die erste. Georg Mendel war vor vierhundert Jahren einer der einflußreichsten und angesehensten Männer in Annaberg. Bei Erbauung der Stadt wurde er vom Herzog Georg zum Stadthauptmann bestimmt. Als im Jahre 1505 die Stadtgemeinde selbständige Verwaltung eingeräumt erhielt, wurde er mit in den Rat gewählt. Im folgenden Jahre war er Stadtvogt und abermals ein Jahr später Kämmerer, von 1512 ab aber Stadtrichter. Auch als Bauherr beim Kirchenbau hat er sich betätigt, z.B. wird er in den Jahren 1512 und 13 als solcher genannt. In den Jahren 1520 – 24 waltete er seines verantwortungsreichen Amtes als Bürgermeister, und als er dann, auf diese Würde verzichtend, eine Wiederwahl ablehnte, da hielt man ihn doch im Ratskollegium fest bis zu seinem Tode, der 1534 erfolgte. Er war sehr reich an Fahrhabe und Liegenschaften. 1512 streckte er der Stadtkämmerei das damals recht ansehnliche Kapital von 1000 Gulden vor. Am Markte erbaute er sich ein Wohnhaus neben dem Rathause. Aber auch das ansteigende Baugelände im „Großen Viertel” der Stadt, welches an die Sommerleite angrenzt, war in seinem Besitz. Der Volksmund hat es nach ihm den „Mendelberg” genannt. In älteren Aufzeichnungen kommt diese Benennung bald mit e bald mit a geschrieben vor. Amtlich ist der volkstümliche Name Mandelgasse anscheinend um 1854, Mandelberg aber erst 1879 festgestellt worden.
Zweite Gruppe.
Als Wahrzeichen für die wirtschaftliche Entwickelung eines Ortes dürfen hauptsächlich diejenigen Straßennamen gelten, welche auf heimische oder heimisch gewesene Erwerbsweisen hindeuten, und solche, die den gegebenen Verkehrsverhältnissen entsprechen. In Annaberg lassen sich insgesamt 49 Benennungen dieser Art nachweisen, und davon entfallen 20 auf die zuletzt gekennzeichnete Reihe.
Als älteste Erwerbsquelle kommt hier der Bergbau in Betracht. Es ist bekannt, wie das Fündigwerden überaus reicher Erzgänge den Bau der Stadt veranlaßt und gefördert hat, wie ungemein rasch bei der Fülle des Bergsegens ihr Aufblühen von statten ging und welchen außerordentlichen Ruf Annaberg als Bergstadt eine Zeitlang genossen hat. Heute aber ist von all der Bergherrlichkeit nicht mehr viel zu verspüren. Der Grubenkittel ist von der Straße und beinahe auch aus dem Vorstellungsbereiche der Bewohner verschwunden. Bis auf wenige unscheinliche Reste sind die Grubengebäude abgebrochen, die Schutthalden eingeebnet worden. Von etlichen Hundert Namen berühmt gewesener Betriebsstätten im Stadtgebiete laufen kaum mehr als ein Dutzend im Volksmunde um, und deren zugehörige Örtlichkeit weiß man auch nur zum Teil noch richtig zu bestimmen.
Durch zwölf Straßennamen bergmännischen Ursprungs aber bleibt ohne Zweifel die Erinnerung an jene stolze Vergangenheit einigermaßen gesichert. Solche aufdringliche Beurkundungen regen immer wieder aufs neue dazu an, daß ihrem Sinne nachgespürt wird. Und so lange in der Schule heimatkundliche Betrachtungen gepflegt werden, bleibt den Namen wohl auch der zutreffende Vorstellungshintergrund gewahrt. Die Namen sind zum Teil sehr alt: Silberstraße, Münzgasse, Berggasse, Im Grunde, Johannis- und Mariengasse. Zum anderen Teil wurden sie vor wenigen Jahren erst (zumeist 1897) mit der ausgesprochenen Absicht gewählt, dem dargelegten Zwecke zu dienen: Andreasgasse, Am Michaelisstollen, Hüttensteig, Kupfersteig, Häuer- und Steigergasse.
Die an erster Stelle aufgeführte Silberstraße ist einer von den Wegen, die bei Erbauung der Stadt bereits bestanden haben und für deren Grundriß mit bestimmend gewesen sind. Auch die Bezeichnung war damals schon üblich. Sie endete jedoch nicht wie jetzt bei Einmündung in die Buchholzer Straße, sondern führte talwärts in gleicher Richtung weiter zur „Herrenmühle” und bis zu den unterhalb dieser im Sehmagrunde gelegenen Schmelzhütten. Die Wegspur läßt sich durch die mittlerweile eingeengte Brunnengasse und durch das Stadtbadgrundstück hindurch von der Johannisgasse bis zum Frohnauer Tore noch jetzt feststellen. Fast in gleicher Richtung wie sie leitet in der Tiefe auch der „Silbermühlenstollen” die Bergwässer aus der oberen Stadt hinab zur Sehma. Als sprachliches Gegenstück ist der Kupfersteig anzusehen.