Die erste Annaberger Bürgerschule.

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 14, 4. April 1926, S. 5

Erste Annaberger Bürgerschule.

Nach Ostern werden in Annaberg 132 Knaben und 150 Mädchen als ABC-Schützen der Schule zugeführt, um durch den Unterricht zu tüchtigen brauchbaren Gliedern der Menschheit herangebildet zu werden. Der sich jährlich wiederholende Vorgang erscheint uns selbstverständlich und doch gab es eine Zeit, wo kein heilsamer Schulzwang bestand und die Frage des Schulbesuches auch eine Finanzfrage für die ärmere Bevölkerung war, die oftmals die Mittel zum Schulbesuche nicht aufbringen konnte und so ihre Kinder als Analphabeten, des Lesens und Schreibens unkundig, aufwachsen lassen mußte, sie dabei so zeitig wie möglich mit in den Dienst des Gelderwerbes einstellte. Schulen gab es auch in Alt-Annaberg, aber ihr Besuch war nicht Zwang, wie seit 91 Jahren. Vor dem Erlaß des Elementar-Volksschulgesetzes vom 6. Juni 1835 wurden in Annaberg die Knaben in den unteren Klassen des Gymnasiums, die Mädchen in einer besonderen Mädchenschule unterrichtet. So bestanden nebenher auch einige Privatschulen. Durch Landesgesetz war nun die Errichtung einer allgemeinen Bürgerschule vorgeschrieben, mit welcher 1836 zunächst durch Einrichtung einer vereinigten Knaben- und Mädchenschule begonnen wurde. Alle schulpflichtigen Kinder konnte man jedoch in den vollständig unzureichenden Unterrichtslokalen nicht unterbringen, so daß die Stadt zum Bau eines besonderen Schulhauses schreiten mußte. Es entstand am oberen Kirchplatze nach der Kleinen Kirchgasse zu. Die Grundsteinlegung erfolgte im Juli 1836. In den Grundstein wurden verschiedene Schriftstücke eingemauert. Am 15. Januar 1838 war die Einweihung. Aus dem ausführlichen Berichte unserer Zeitung vom 2 Februar 1838 fügen wir nachstehenden Auszug an:

Am Vorabend des Festes waren durch die wohlwollende Vermittlung des hiesigen Stadtraths unter tätiger Mitwirkung des edlen Frauen-Vereins wohl gegen 300 der ärmsten Schulkinder mit Stiefelchen und Socken beschenkt worden und so konnten diese nun auch an dieser Feier theilnehmen, die ihnen für ihr ganzes Leben von hoher Wichtigkeit sein mußte.

Mit dem Mittage des 14. Januar begann die erhebende Feierlichkeit. Sämtliche Kinder der Bürgerschule, welche sich zuvor in dem zeitherigen Schullokale versammelt hatten, zogen, an ihrer Spitze ein Knabe mit einer neuen Fahne, die aus seidenem Stoffe in den sächsischen Farben die Worte „Bürgerschule zu Annaberg” zeigte, mit Musikleitung ihrer Lehrer in den Tempel des Herrn, in welchem bereits eine große Zahl von Annabergs Bewohnern anwesend war.

Nachdem aus dem am 1. Januar d. J. hier eingeführten Dresdner Gesangbuche die ersten 5 Verse von Nr. 569 gesungen worden waren, hielt Herr Superintendent M. Schumann die Weihepredigt. Er schilderte die Pflicht des Dankes, sprach diesen Dank mit der ganzen Wärme seines frommen Herzens aus, und führte so die Gemüther seiner Zuhörer nach Anleitung des Textes (Sprüche Salom. C. 10. V. 1-7) zu der Betrachtung des Satzes, daß eine gute Schule ein großer Segen ist.

Nach beendigtem Gottesdienste zogen die Kinder dem neuen Schulgebäude zu. Vor ihnen hatten sich in Begleitung des Herrn Superintendenten die Mitglieder des Stadtrathes und die Stadtverordneten in dasselbe begeben, „um den eben einziehenden Kindern mit einer Spende freundlichst zu begegnen, und erfüllten dadurch sogleich bei ihrem ersten Eintritte die kindlichen Herzen mit dem Gefühle der Freude und Dankbarkeit, mit welchen sie künftig jeden Tag dieses Haus betreten und verlassen sollten.”

An dem folgenden Tage, dem 15. Januar, fand die eigentliche Einweihung dieses Gebäudes statt. Um 9 Uhr früh versammelten sich in dem großen und hellen Saale desselben die Vorsteherinnen beider Frauenvereine, die Behörden der Stadt, die Lehrer des Gymnasiums und die Schulkinder mit ihren Lehrern. Nach einem hierzu besonders gedichteten Festgesang sprach der Herr Superintendent die Worte der Weihe. An der Hand der Geschichte führte er die Zuhörer durch die letzten drei Jahrhunderte und zeigte ihnen, wie im Laufe derselben das Volksschulwesen unserer Stadt unter mancherlei Gestalten bis zu gegenwärtiger Stufe erhoben worden sei, und weihete dann dieses Haus im ächt christlichen Sinne zu seiner künftigen Bestimmung.

Herr Bürgermeister Glumann schilderte insbesondere die großen Schwierigkeiten, die von so vielen Seiten, hauptsächlich aber durch den unglücklichen Brand, der Ausführung dieses Baues sich entgegengestellt hatten.

Er nannte im Namen des Stadtrathes zum Zeichen seiner Zufriedenheit den Hrn. Oberlehrer Caspari zum Direktor der Bürgerschule wie den Herrn Bergprediger Dietrich zum Inspector derselben, welchen er die Schlüssel zum Schulgebäude übergab.

Nach ihm nahm Herr Kaufmann Mende, als Vorsitzender der Stadtverordneten, das Wort und sprach im Namen der ganzen Bürgerschaft über die glückliche Ausführung des lang ersehnten Werkes.

Herr Bergprediger Dietrich richtete seine Rede vorzugsweise an die Lehrer.

Am Schlusse wendete er sich noch an die Kinder und endlich an den Herrn Director Caspari, indem er ihm den Schlüssel zum Schulgebäude übergab.

Dieser betrachtete von seinem Standpunkte aus die hohe Bedeutung dieses Tages und wies die Nothwendigkeit und Heilsamkeit dieser neuen Umgestaltung des ganzen hiesigen Bürger-Schulwesens nach, wobei er die Eltern zugleich von der Nothwendigkeit einer guten häuslichen Erziehung zu überzeugen suchte, die Kinder aber zum zweckmäßigen Besuche der Schule ermahnte.

Nach einem besonders gedichteten Dankliede sprach ein Knabe, der Sohn des Fabrikgehilfen Eckert, mit tiefem Gefühl und richtigem Ausdruck im Namen seiner Mitschüler und Mitschülerinnen herzliche Worte des Dankes und feierliche Gelübde. Ein herzliches „Nun danket alle Gott” beschloß diese erhebende Feier.

Möge Gott alle die guten Wünsche und schönen Hoffnungen in Erfüllung gehen lassen, welche an diesen festlichen Tagen die Herzen der guten Annaberger bewegten.

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Und sie sind in reichem Maße in Erfüllung gegangen. Die allgemeine Schulpflicht hat den Bildungsgrad des ganzen Volkes gehoben und es zum Kampf um das Leben tüchtiger gemacht.