„Der Frühling naht mit Brausen und rüstet sich zur That” — ja, aber kaum hat er mit milden Händen bunte Blüten auf weg und Steg, in Felder und Wälder hingestreut, so haben sich auch schon tausend andere Hände helfend im muntern Bunde geregt, um sie an sich zu reißen. Das botanisiert, bestimmt, analysiert, preßt, das pflückt, windet Kränze und bindet Sträuße, das sammelt Thee und Wurzeln, sodaß der arme Frühling immer alle Hände voll zu thun hat, um die kahlen Flecken aufs neue zu bekleiden. Das thut er denn auch reichlich und gern, und darum, meine verehrten Leserinnen und Leser, lassen Sie sich nicht abhalten, heute auch einmal mit in Wald und Flur zu eilen und die Blütenfülle genauer anzuschauen. Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit etwas erzählen, etwas, was ich auf meinen Streifereien im Gebirge dem Volke abgelauscht habe, etwas über die Benennung der Pflanzen durch den Volksmund.
Neue Pflanzen werde ich Ihnen wohl kaum vorstellen können; denn unser Volk hat sich mit der Benennung seltner Arten nicht beschäftigt. Was diese anbetrifft, so nennt man sie einfach „Bliemela” und bestimmt sie höchstens nach der Farbe etwas genauer also „rute Bliemela, gahle Bliemela u. s. w.”. Für solche Pflanzen begnügen wir uns mit dem einfachen Schulnamen und suchen uns andere, die besondere Volksnamen haben, welche dann entweder malend sind, oder sich auf eine Lage oder sonstige Geschichte beziehen, oder durch Ummodelung eines anderen deutschen oder auch eines lateinischen Namens entstanden sind.
Folgen Sie mir also, verehrte Leser, auf die Wiese! Was sehen wir da am Rande jenes Bächleins? „Myosotis silvatica”! ruft ein Quartaner glückstrahlend, „Ach, die reizenden Vergißmeinnichtchen” — flüstert errötend ein schönes Fräulein. — Liegt in diesen beiden Namen nicht genug Gelehrsamkeit und Poesie? Gewiß, aber lassen Sie nun auch einen biedern Landmann reden, der uns sagt: „dos sei Gänsagala”, und entrüsten Sie sich meinetwegen über den häßlichen Klang des Namens für ein so reizendes Blümchen, empfinden Sie meinetwegen Abscheu vor der vulgären Benennung eines botanischen Objektes, aber schauen Sie nur auch gefälligst genauer hin. Sehen Sie den gelben Stern in lichtblauer Umrahmung? Hat nicht mein Erzgebirger treffend gemalt? Aber schauen Sie weiter, hier nebenan die Bachnelkenwurz, das Geum rivale, das „Grußmutterhaibel”. Welche Fülle kindlicher Poesie liegt nicht in dem letzten Namen, der dem Munde des Volkes entstammt. Können Sie nun noch ein solches reinliches, ehrbar zur Erde geneigtes Blütenglöckchen anschauen, ohne sich das ehrwürdige Gesicht einer lieben Großmutter drunter zu denken. Weniger poetisch aber nicht weniger deutsch und berechtigt erscheint mir der Name Sauerlump für Rumex Acetosa, zu deutsch Sauerampfer, ist doch darin neben der Andeutung des Geschmacks, die ja auch im schriftdeutschen Namen zu finden ist, auch noch der Hinweis auf die erstaunliche Allgemeinheit enthalten, deren sich bekanntlich Species Rumex erfreut. Im traulichen Vereine mit ihm sproßt hier das Springkraut; Impatiens noli me tangere — sagt hier der Lateiner mit unserem Volke; denn das sagt auch: Riehr miech nett ah! Das ist doch wieder ein Name, der an Genauigkeit und poetischer Schönheit nichts zu wünschen übrig läßt; denn was scheinen die Früchte mit ihrem ungeduldigen Springen bei der leisesten Berührung anders andeuten zu wollen, als die Spröde der Schönen. Solcher Namen finden wir noch mehr. Aber da sehe ich gerade durch das Gold des Springkrauts das Schneeweiß des kleinblütigen Labkrautes, Galium Aparine, schimmern und werde dadrch an den Volksnamen dieses Pflänzchens und an seine Entstehung erinnert. Er ist einer Sage, einer alten, frommen Volkssage entsprossen, die ungefähr folgendes berichtet: Als unser Herr und Heiland sich unter der Last des Kreuzes zur Schädelstätte schleppte, und die Menschen kein Herz für ihren Schöpfer und Wohlthäter hatten, da fühlten die Steine Mitleid; denn als er niedersank, entsproßten seinem blutigen Schweiße die bescheidenen Blümchen, ihm die Härte des Weges zu lindern. Sie blühen noch heute an kargen Wegrändern; der Volksmund aber würdigt ihr Verdienst und nennt sie Jesusschweiß. Einer ähnlichen Sage dankt der Name „Mariae Bettstroh” sein Dasein, mit dem man hier das Johanniskraut (Hypericum) belegt, und bis zum heutigen Tag lassen sich den Knospen dieses Krautes die blutigen Thränen entpressen, mit denen die heilige Jungfrau ihr Lager netzte. Vielleicht ließe sich ein ähnlicher Ursprung für den Namen Frauenmantel oder Herrgottsmantel entdecken. — Aber ergehen wir uns nicht weiter in Vermutungen dieser Art und schauen wir uns lieber weiter um. Dort wächst nämlich Bullerjahn. „Baldrian”! — „Valeriana”! höre ich Sie entrüstet rufen, und bleibe kalt dabei. Betrachten Sie doch die drei Namen ein wenig genauer! Warum soll der Erzgebirger den Namen Baldrian nicht für seine Sprachwerkzeuge zuschneiden, ist er selbst doch erst eine Ummodelung der rein lateinischen Benennung. Ganz ebenso verhält es sich nun auch mit dem sogenannten Gypskraut, welches der Mann vom Volke „Giebs die Fülle”, der Gelehrte Gypsophila nennt. Oder vermuten Sie etwas anderes als Grund, weshalb man hierzulande die Schneeglöckchen Gallen nennt, als daß sie in der Botanik den Namen Galanthus fühen?
Wie wahrscheinlich und möglich solche Verbildungen sind, hat mich ein eigenes Erlebnis gelehrt. — Ein alter Bauer in A….. versicherte mir, in seinem Garten wachse eine sehr seltene Pflanze, die der Herr Gymnasialprofessor als Mucius panorama bezeichnet habe. Ich sah mir das seltsame Gewächs an und fand, daß es die Süßdolde war. Der gute Landmann hatte den botanischen Namen Myrrhis odorata nach seinem Geschmacke geformt und schon war die so entstandene Bezeichnung in seinem Bekanntenkreis eingebürgert.
Doch lassen Sie uns weiter blicken! Dort im Sumpfe sehen Sie eine abenteuerliche Pflanze mit großen Blättern. Es ist Pestwurz, eine Arzneipflanze, der botanische Zuname officinalis bezeugt das. Auch das Volk scheint gewußt zu haben, daß dieser Pflanze eine besondere Kraft inne wohnt, wie erklärten wir sonst ihren Namen Neunkraft und den Volksglauben, daß das Tragen dieser Pflanze die Kräfte verneunkraft. Daneben steht auch Zinnkraut oder Scheuergras. Ich weiß wohl, Sie nennen es Schachtelhalm, und der Name ist bezeichnend, der Botaniker nennt es Equisetum und hat auch seine Gründe, aber nicht minder das Volk. Ja dieses hat sich ganz auf die praktische Seite gelegt, es hat der Pflanze den Namen nach dem Gebrauche gegeben, den es davon macht. Sie sollen aber gleich noch ein Beispiel haben, aus dem Sie abermals den kindlich poetischen Sinn unseres Volkes erkennen werden. Ich meine das Wollgras (Eriophorum angustifolium), dessen schwarz und weiße Köpfchen das Volk zu dem Namen „Popella” d. i. Popelchen oder Popanzchen veranlaßt. Wenden Sie Ihren Blick weiter und schauen Sie genau auf das dürre Laub unter jener Haselstaude. Bemerken Sie nicht, wie sichs dort gehoben hat und wie es schillernd und braun, glatt und glänzend hervorlugt, daß man erschrecken könnte, in dem Glauben, es sei der Rücken einer Haselotter? Diese Eigentümlichkeit hat der Pflanze, die sich entwickelt als das unschuldige Farrenkraut (Polystichum präsentieren wird, beim Volke den Namen „Otternbrut” eingetragen. Im Schatten des Strauches blüht auch noch Lungenkraut (Pulmonaria off.). Diese beiden Namen sind sicher gut, und vom wissenschaftlichen, namentlich vom medicinischen Standpunkt aus geradezu vorzüglich, aber ich meine trotzdem, der Name „Pumphose”, den das Volk gebraucht, sei für das Äußere der blauen und roten bauschigen Blüten doch bezeichnender. Ebenso mutet mich der Name „Batterle” sehr an, mit dem man in einigen Gegenden das reizende kleine Blümchen belegt, das sonst den möglichst unpoetischen Namen Birnkraut (Pirola uniflora) führt. Batterle nennt man für gewöhnlich hierzulande den weißen oder bunten Glasschmelz, die Glasperlen, und nun können Sie sich wohl selbst erklären, wie man hier auf diesen Namen verfallen ist; liegen doch die Staubbeutelchen da, wie Perlen auf einer blanken Glasglocke. Werfen wir nun noch einen Blick in jenen Garten! Was da am Zaune duftend blüht, nennen Sie Flieder, Sie Syringa — und warum? Weil das sein Name ist, — weil’s die andern Leute so nennen. Einen andern Grund kann ich gegenwärtig auch nicht anführen; wohl aber weiß ich, warum das Volk hierfür den Namen „Rosinichblietenbaam” (Rosinenblütenbaum) gewählt. Betrachten Sie nur die Knospen, und Sie werden finden, daß diese den Namen erwirkt haben. Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit auf die Benennung der Gewürznelken als Nägel, die sich sogar auf die übrigen Nelken ausgedehnt hat („mit Näglein besteckt”) hinweisen. Auf jenem Beete prangt die Paeonia (Pfundrose, Pfingstrose). Das Volk gab ihr den Namen „Patennich” oder „Butanche”, und ich glaube, wir haben hier wieder ein Beispiel für eine Namensverstümmelung vor uns, wie ich solche noch in den Worten „Kräh” (Meerrettig, engl. Kreen), Quänlich für Quendel, Reinklau für Reine Claude vermute.
Am Ziele unserer Wanderung angekommen, hege ich den Wunsch, Sie mit meinen Einschiebseln nicht allzusehr gelangweilt, ja hoffe ich, dem einen oder anderen einen Faden zum Weiterspinnen gegeben zu haben.
Quelle: Glückauf! Organ des Erzgebirgsvereins. 11. Jahrgang. No. 6 v. Juni 1891, S. 47 – 49.