Von Lic. Dr. Bönhoff, Annaberg.
Glückauf! Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. 27. Jahrgang. No. 1. Januar 1907, S. 4 – 7.
Die nachstehenden Zeilen sollen sich mit der Erschließung des mittleren Erzgebirges beschäftigen. Es handelt sich hierbei in der Hauptsache um das ursprüngliche Urwaldgebiet unseres heimatlichen „Schwarzwaldes” oder, wie er in altsächsischer Mundart genannt ward, des Miriquidis. Dieser Name taucht übrigens ganz selten auf. Urkundlich wird er, soviel bis jetzt bekannt geworden ist, nur zweimal überhaupt erwähnt. Das eine Mal erscheint er in einer Urkunde Kaiser Ottos II. vom Jahre 974. Darnach erhielt der Bischof von Merseburg das Recht der hohen Jagd auf das Wild, welches in seinen Forsten in den Burgwardbezirken von Rochlitz und Titibutzien (auf dem Lastauer Burgberge) umherschweife, sowie auf dasjenige, welches aus dem großen Walde namens Miriquido herüberwechsle. Wir haben ihn also darnach in südöstlicher Richtung von Rochlitz, etwa zwischen Flöha und Würschnitz, zu suchen. Das andere Mal berichtet uns Bischof Thietmar von Merseburg, wie Kaiser Heinrich II. im August des Jahres 1004 nach Böhmen zog, welches der Polenherzog Boleslaw Chrobry besetzt hielt, trotzdem letzterer ihm den Einmarsch durch Besetzung des Berges im Walde Miriquidi zu verwehren gesucht hatte. Allein Heinrich war auf neugebahnten Wegen, wahrscheinlich über den Paß von Reitzenhain, bis nach Saaz vorgedrungen. Wir haben aber noch ein Mittel, das Gebiet dieses ausgedehnten Waldes, der im Süden an Böhmen stieß, einigermaßen auch nach den anderen Himmelsrichtungen hin abzugrenzen.
Es sind die sorbischen Gaue, welche mit ihren Waldungen an den Saum des Miriquidi heranreichen. Wir folgen ihren natürlich nur annäherungsweise bestimmbaren Grenzläufen, soweit sie für uns in Betracht kommen. Dabei darf ein Umstand nicht übergangen werden. Bekanntlich zerfielen die sorbischen Gaue unter deutscher Verwaltung in lauter mehr oder weniger umfangreiche Burgwardbezirke, eine politische Gestaltung, die der Eroberer wohl bereits vorfand und seinen Zwecken dienstbar machte. So grenzten denn an den Miriquidi im Osten der Gau Daleminzi, im Norden der Gau Chutizi, im Westen die Gaue Plisni und Zwiccowe. Betrachten wir sie im einzelnen! Für den Daleminziergau schlagen hier folgende Angaben ein. Seine südlichsten Burgwardbezirke nach Westen zu waren Döbeln und Hwoznie, (auf dem Treppenhauer bei Sachsenburg). Dieselben schenkte einst 981 Kaiser Otto II. dem Kloster Memleben. Als sich dasselbe nicht halten konnte, ward es der mächtigen Abtei Hersfeld im Hessenlande einverleibt. Daher kommt es, daß die meißnischen Markgrafen und sächsischen Kurfürsten wettinischen Stammes als Lehnsträger von Hersfeld, sobald es ihnen beliebte und förderlich war, erscheinen. Der älteste urkundliche Beleg hierfür rührt aus dem Jahre 1292 (Juli 23.) her. In diesem Dokumente, welches für Friedrich den Freidigen ausgestellt ward, ist eine Grenzbeschreibung enthalten, die wenigstens 10, wenn nicht gar 200 Jahre älter als dasselbe ist. Mit einem Worte: sie umschreibt den Umfang jener beiden Burgwarde. Für uns ist daraus folgender Abschnitt bemerkenswert, daß nämlich der Hersfelder Landbesitz sich erstreckte „die Zschopau hinauf bis zur alten böhmischen Straße, welche das Gebiet (der Klöster) Chemnitz und Hersfeld trenne, und längs dieser Straße bis zur Pockau, die Pockau (die Vereinigte und die Rote) hinauf bis Nidperg (Neideck), welches Abt Wernher gebaut hatte, und von dem Wasser, welches vor Nidperg vorbeifließt (Schwarze Pockau), bis zum Striegiswasser”. Dieser Grenzstrich, die Westgrenze des Burgwards Hwoznie, findet noch eine Erläuterung dadurch, daß 1292 innerhalb desselben Lichtenwalde samt seinen Dörfern sowie Zschopau mit seinem ganzen Zubehör lagen. Die alte böhmische Straße, die über Chemnitz-Zschopau-Zöblitz führte, zog sich demnach am Ostsaume des Miriquidi hin. Derselbe lief nach dem linken Ufer der Flöha zu aus und erstreckte sich über die Zschopau nach dem Zwönitztale hin. Auf dem rechten Ufer der Chemnitz treffen wir mithin noch den Daleminziergau an. Das stimmt aber trefflich zu Bischof Thietmars Angabe, daß sich diese Landschaft von Westen nach Osten zu von der Chemnitz ab (d. h. von de Stücke ihres Laufes, das von Einsiedel bis Garnsdorf mißt) bis an die Elbe ausdehne. An der Grenze des Gaues tauchen auch slavische Namen auf, wie Glösa (verschieden gedeutet), Gablenz (Apfelbaumort, mhd. Affalter), Chemnitz (Steinicht), Beuthenberg, Gornau (Bergort), Wilischbach (wölfischer, d. h. wilder Bach), Zschopau, Laute, Wüstenschletta (Sletin) bei Marienberg (Sumpfort) und Zöblitz.
Auch über die Südgrenze des Chutizigaues, soweit sie uns hier angeht, sind wir genügend unterrichtet. Die Zschopau von ihrer Mündung bis nach Mittweida (Bärenort), woselbst sie die Wrosinitza, den Altmittweidaer Bach, aufnahm bildete nebst derselben bis zu ihrer Quelle eine Scheide zwischen Daleminzi und Chutizi. Ferner lief die Gaugrenze von der Quelle des letztgenannten Baches zu derjenigen der Claußnitz, begleitete diese bis zu ihrer Mündung in die Chemnitz, die Chemnitz bis zu ihrem Einflusse in die Zwickauer Mulde. Dann ging es stromauf bis oberhalb von Penig etwa in die Gegend von Wolkenburg. Doch ist es nicht unmöglich, daß die Grenze vom Einflusse der Claußnitz in die Chemnitz auf deren linkes Ufer übersprang und etwa über Taura (deutsch: Auerswald), Elzing (Erlicht), Mühlau (Liebenau) und Tauscha (Feste) auf die Mulde bei Zinnberg hineilte. Unweit der Gaugrenze lag etwas nördlicher der südlichste Burgward im östlichen Chutizi, nämlich Rochlitz. Denn die Dörfer zwischen Chemnitz, Wiederau, Claußnitz und Wrosinitza lagen laut urkundlicher Bezeugung vom Jahre 1174 auf neu gerodetem Boden, während die alten slavischen Orte erst links der Wiederau im weitausgedehnten Kirchspiele Seelitz ihren Anfang nahmen.
In der Gegend von Waldenburg zwischen Remse und Wolkenburg befinden wir uns im Gaue Plisni. Denn laut einer Urkunde König Konrads III. vom Jahre 1143 lagen die 100 Königshufen, welche er dem Benediktinerkloster Bürgel überwies, und die den Grundstock des Besitzes der Nonnen zu Remse darstellten, rechts und links der Mulde „im Königswalde zu Pleißen”. Also über die Mulde hinaus griff dieser Gau, den ebenfalls, wie wir bald sehen werden, eine böhmische Straße vom Miriquidi schied. Ein Gleiches gilt vom benachbarten Gau, der südlich vom Plisnigau liegt, dem Gau Zwiccowe. Hier besitzen wir noch die Grenzangaben, welche wir der vom 1. Mai 1118 herrührenden Dotationsurkunde für die Marienkirche zu Zwickau entnehmen dürfen. Der nördlichste Punkt des Gaues ist der Hügel „Weidmannssitz”, der am wahrscheinlichsten mit den „Steinfüchsen” bei dem Dorfe Mosel gleichgesetzt werden dürfte; im Osten grenzte der Mülsenbach in seiner gesamten Ausdehnung; im Süden gaben in vertikaler Richtung der Zusammenfluß der Mulde und des Schwarzwassers (Scurnice) sowie der Hügel Recina (zu Kirchberg) Marksteine des Grenzlaufes an. Längs des Oststriches des Gaues Zwiccowe zieht sich nun eine böhmische Straße über Waldenburg, (Borens) Lugau, Oelsnitz, Beutha, Lößnitz nach Elterlein, das früher bekanntlich den Namen Quedlinburg geführt hat. Dann passiert sie die Rothe Pfütze und tritt damit in ein Gebiet ein, welches bis zum 15. Jahrhundert tschechischem Einflusse unterstand. Daher mehren sich auch die slavischen Namen. So führt die Straße über den Lauseberg, dann über Schlettau (Sumpf) und weiter nach Klein-Sehma (d. h. fester Boden), durch den Zschapelwald (Storchwald?), über Sehma und Rothensehma nach Preßnitz. Dieser ganze Straßenzug ließ den Miriquidi zu seiner Rechten liegen, ebenso wie auch längs seines Ostsaumes eine böhmische Straße sich hinzog. Beide Wege vermieden das Urwaldgebiet.
Wir haben uns dasselbe als unbesiedelt vorzustellen. Nicht daß darin slavische Namen fehlten, aber sie hafteten an keinem einzigen Orte, soweit derselbe nicht etwa von dem vorüber- oder durchfließenden Wasser einen solchen empfangen hat, sondern lediglich an den Läufen der Flüsse und Bäche. Da stoßen wir auf die Preßnitz (Birkenbach), die Pöhla (Weißbach) und das Pöhlwasser, die Chemnitz (Steinbach), die Würschnitz (mhd. Klaffenbach = Rauschwasser) und die Zschopau. Letzterer Name scheint aber ebenso wie derjenige der Flöha (vergl. Flevis) von de Sorben übernommen und slavisiert worden zu sein. Preßnitz, Pöhla, Pöhlwasser und Würschnitz haben den Namen an ihrer Quelle, d. h. in Böhmen erhalten. Die Sehma empfing ihn erst von dem gleichnamigen Orte, nicht minder auch die Zwönitz, die ja vordem Chemnitz hieß, was noch das unterhalb von Niederzwönitz gelegene Dorfchemnitz deutlich beweist. Übrigens erhielt die Chemnitz bis zu ihrer Quelle bei Zwönitz den Namen von der Mündung her. Das ist auch bei der Zschopau anzunehmen. Denn dafür sprechen zwei Umstände. Noch in einem Schiede über Bergreviere vom Jahre 1529 finden wir die Preßnitz als Zschopau bezeichnet, weil man eben stromauf kam und deshalb im Unklaren war, ob dieselbe die Zschopau oder nur einer ihrer Nebenflüsse sei. Darauf wäre man an der Quelle der Preßnitz nimmer verfallen. Ferner sind erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Gelehrten darüber einig geworden, das „Wiesener Wasser” und weiter hinauf den „Schladenbach” als Zschopau zu benamsen. So bedeckte denn der Miriquidi das Gebiet der Amtshauptmannschaft Annaberg und den Westen der Amtshauptmannschaften Chemnitz und Marienberg. Es darf als sicher betrachtet werden, daß dieser große und ausgedehnte Waldkomplex erst mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts besiedelt wurde. Wenn man auch den „Beweis aus dem Stillschweigen” nicht pressen darf und will, so ist doch wohl ein solches über jede Niederlassung im Miriquidi überzeugend. Zudem ist zu bedenken, wann die ihm benachbarten Gegenden besiedelt worden sind. Chemnitz wurde im Jahre 1137 gegründet. Die Umgebung von Remse war 1143 noch nicht, aber bereits vor 1165 der Kultur erschlossen. Im 12. Jahrhundert hat Kloster Hersfeld im Burgward Hwoznie sich kolonisatorisch betätigt. Lichtenstein erscheint bereits 1213, Stollberg 1222 urkundlich. Die Gründung des Augustinerchorherrenstiftes zu Zelle (bei Aue) erfolgte 1173, diejenige des Cisterzienserklosters Grünhain 1235. Eine notwendige Voraussetzung hierfür war die wirtschaftliche Eröffnung der betreffenden Gegend. So erfahren wir denn auch, daß Markgraf Otto von Meißen, Graf Meinher von Werben (bei Zeitz) und Dudo von Mynime (Meineweh bei Werben) 60 Hufen Neubruchland zur Ausstattung für Zelle dem Kaiser Friedrich I. aufließen. Wer hat nun die Rodung des Miriquidis in die Hand genommen?
Es wird sich erst verlohnen, zu fragen, welche politischen Gebilde rechts und links desselben sich gebildet hatten und dem Forscher mittelalterlicher Geschichte aufstoßen. Im Tale der Flöha begegnen wir bis zum Jahre 1234 den Herrschaften Lauterstein, Rauenstein und Schellenberg (Augustusburg) in den Händen eines nach letzterem Schlosse benannten Reichsministerialengeschlechtes, welches durch Kaiser Ludwig den Bayern wegen Raubfehden, besonders gegen das Kloster Altzelle, in die Reichsacht erklärt ward und seiner Besitzungen verlustig ging. Die Wettiner übernahmen dieselben, verwandelten Schellenberg in ein markgräfliches Amt und verliehen Rauenstein an die Edlen von Waldenburg, Lauterstein an den Peniger Zweig der Burggrafen von Leisnig. Zschopau erscheint 1286 als Schloß und Stadt Heinrichs des Erlauchten, der es am 7. September seinem Enkel Friedrich dem Freidigen verschreibt, dessen Sohn es an die Edlen von Waldenburg verlehnte. Die Liegenschaften der berühmten Benediktinerabtei Chemnitz erstreckten sich bereits am Ende des 12. Jahrhunderts vor allem südlich von der gleichnamigen Stadt jenseits der Würschnitz. Am linken Rande des Miriquidis treffen wir die in Schönburgischen Händen befindlichen Schlösser Glauchau und Lichtenstein. Jenes, ein Reichslehn, trugen sie Karl IV. für die Krone von Böhmen auf; dieses, welches Friedrich II. 1213 dem König Ottokar von Böhmen geschenkt hatte, nahmen sie von diesem zu Lehhen, wenn nicht der Kaiser sie als seine Ministerialen jenem Herrscher bereits überwies.Südlich von Lichtenstein in südöstlicher Richtung dehnte sich die Grafschaft Hartenstein aus, deren Mittelstück, die Umgebung des Grünhainer Klosters, und deren oberer Teil sich dicht am Miriquidi hin erstreckte. Wir finden mit ihr seitens des Reiches die Burggrafen von Meißen belehnt. Grünhain war ihr Hauskloster, Lößnitz ihre Residenz im Erzgebirge. Erst spät, ganz spät entstanden in dem oberwäldischen Teile ihrer Herrschaft, als diese längst an die Herren von Schönburg übergegangen war, zwei Städte, nämlich 1522 Scheibenberg und 1526 (Ober-) Wiesenthal. Östlich an diesen oberwäldischen Teil der Hartensteiner Grafschaft stieß die Herrschaft Schlettau, welche sich von ihrem ersten urkundlichen Auftreten (1351) an unter böhmischer Lehnshoheit befunden hat, und zwar als Besitz der Edlen von Schönburg aus der Hassensteiner Linie, welche sich desselben im Jahre 1413 an das Kloster Grünhain kaufweise entäußerten.
Zwischen diesen Bezirken – auf der einen Seite den Herrschaften Lauterstein, Rauenstein, Schellenberg und Zschopau sowie dem Chemnitzer Klosterlande, auf der anderen Seite den Herrschaften Glauchau, Lichtenstein und Schlettau sowie der oberen und niederen Grafschaft Hartenstein einschließlich des Grünhainer Klosterlandes zwischen Zschopau und Schwarzwasser – breitet sich nun das erschlossene Miriquidiland aus. Wer hat es erschlossen? Es scheinen vor allem zwei Herrengeschlechter daran beteiligt zu sein: die von Stollberg und die von Waldenburg. Die ersteren haben von Westen her die Täler der Zwönitz und der Würschnitz besiedelt. Denn zu dem Stollberger Schloßbezirke gehörten von alters her die Orte Ober-, Mittel- und Niederdorf, Ober- und Niederwürschnitz, Erlbach, Thalheim, Gornsdorf, Auerbach, Günsdorf, Hormersdorf, Dorfchemnitz, Niederzwönitz, Gablenz und Brünlos; ja auch Kirchberg, das zu den Küchendörfern der Grünhainer Abtei zählte, hat ursprünglich gewiß einen Bestandteil der Stollberger Herrschaft gebildet. Lange freilich haben sich die gleichnamigen Edlen in der neuerschlossenen Gegend nicht zu halten vermocht.
(Fortsetzung folgt.)
(Fortsetzung.)
Glückauf! Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. 27. Jg. No. 2 v. Februar 1907, S. 21 – 24
Wir begegnen ihnen im Altenburgischen, während an ihre Stelle die Titularburggrafen von Starkenberg (bei Altenberg), die Abkömmlinge der Burggrafen von Döben (bei Grimma) und der Edlen von Tegkwitz (Kirchdorf von Starkenberg) traten, um ihrerseits den Schönburgern, ihren Verwandten, Platz zu machen, die der böhmischen Krone ihre Rechte verkauften. Durch diese Veräußerung wird uns zum ersten Male (1367) überhaupt bekannt, daß Stollberg, so gut wie die Grafschaft Hartenstein, die Schlösser Lichtenstein (bis 1213) und Glauchau (bis 1335 bestimmt) die Qualität eines Reichslehns besaß.
Allein noch mehr Verdienste erwarben sich die Edlen von Waldenburg. Der erste, der sich diesen Namen beilegte, war der im Altenburgischen begüterte Reichsministerial Hugo von Wartha, zugleich der erste uns bekannte kaiserliche Richter des Pleißenlandes. Er erbaute sich zu gleicher Zeit mit dem Altenburger Bergerkloster, d. h. in den Jahren 1165 – 1172, ein Schloß an der Zwickauer Mulde da, wo die uns bekannte böhmische Straße den Fluß passierte, unweit des Nonnenklosters Remse, das ihn zum Vogte sich erkor, und nannte es Waldenburg. Lag doch die Feste mitten im Pleißner Königswalde (s. o.), und von ihr nahm das von ihm abstammende Geschlecht seinen Namen an. Auch dieses Schloß samt seinem Bezirke, der bis nach Oberlungwitz, Ursprung und Wüstenbrand südöstlich reichte, war laut einer Urkunde Kaiser Ludwigs des Bayern vom Jahre 1336 ebenso wie die östlich davon gelegene Herrschaft Rabenstein (bei Chemnitz) ein Reichslehn. Als sich ein Abkömmling jenes Hugo (I.), namens Johann der Ältere, mit seinen Nachbarn, den Schönburgern auf Glauchau, böhmischen Kronvasallen, in einer Erbvereinigung verbrüderte, hatte er seine Stammherrschaft Karl IV. aufgetragen. Als er nun und sein ältester, allein mündiger Sohn, Johann der Jüngere, sich 1373 ihre Hände durch einen Mord besudelten, den sie an Chemnitzer Patriziern, den Ortwinen, begingen, gingen beide nach böhmischem Lehnsrechte ihres Lehns verlustig, welches so an die Schönburger von Rechts wegen gedieh. Die großen Kosten, welche dieser schlimme Handel dem Hause Waldenburg verursachte, führten im Jahre 1375 zur Veräußerung ihrer reichslehnbaren Herrschaft Rabenstein an das Chemnitzer Kloster. Dieselbe umfaßte damals noch die Orte Reichenbrand, Siegmar, Grüna, Stein (Niederrabenstein), Löbenhain (Ortsteil von Röhrsdorf), Kändler (rechts des Pleißbaches), Höckericht (Neustadt), Steinplissen (Pleißa) und Anteile von Röhrsdorf, Rottluff, Schönau und Helbigsdorf. Im übrigen suchten zu jener Zeit durch mancherlei andere Stiftungen die Edlen von Waldenburg ihr Gewissen zu entlasten. Dadurch wird uns bekannt, daß sie ebenfalls über die nahe bei Chermnitz liegenden Orte Harthau, Berbisdorf, Eibenberg, Jahnsdorf, Meinersdorf, Seifersdorf, Pfaffenhain und Leukersdorf geboten. Alle diese Dörfer kamen in geistliche Hände, an diie Klöster zu Chemnitz und Grünhain, an die Pfarrkirchen zu Chemnitz und Ehrenfriedersdorf. Wir gehen nicht fehl, wenn wir die Gründung aller der bisher genannten Dörfer auf die zu Beginn des 13. Jahrhunderts lebenden Glieder des Hauses Waldenburg, Hugos Söhne und Enkel, zurückführen. Letzteres trifft noch mehr zu von den weiter im Südosten gelegenen Herrschaften Greifenstein, Scharfenstein, Wolkenstein und Belberg 1, sofern von einer letzteren geredet werden kann. Mit denselben geht dann das Miriquidiland restlos in lauter Kulturland auf, und nur die oft ansehnlichen Waldinseln der Amtshauptmannschaft Annaberg erinnern den Wanderer auf Bergeshöhen daran, wie einst dieses ganze weite Land vom dunkelen Grün des Urwaldes überzogen war.
Die benen genannten ersten drei Bezirke erscheinen im Lehnsbuche Friedrichs des Ernsthaften (1349) als markgräfliche Lehen. Aber ob sie es immer waren? Zwar tritt auch 1241 Hugo von Waldenburg als Vasall Heinrichs des Erlauchten für Streckewalde (bei Annaberg) auf; aber der Markgraf war sein Lehnsherr nur kraft seiner Pfandinhaberschaft des Pleißnerlandes. Denn 1293 erscheint die Herrschaft Wolkenstein als ein Reichslehn. Wer weiß, ob nicht hier Kaiser Ludwig der Bayer, dessen Schwiegersohn ja Friedrich der Ernsthafte war, seine Hand im Spiele gehabt hat, etwa das er jene drei Herrschaften ihm überwies. Man hat die Existenz einer Burg Greifenstein zu bestreiten versucht. Allein noch im Jahre 1372 garantieren sich Karl IV. und die Meißner Markgrafen gegenseitig ihre Besitzungen. Unter denen der letzteren aber werden namentlich u. a. die Schlösser Wolkenstein, Scharfenstein und Greifenstein aufgeführt. Wann aber die Feste einging, wissen wir nicht. Vielleicht fiel sie den Hussitenstürmen zum Opfer. Die Herrschaft umfaßte vor allen Dingen die drei damals wichtigen Bergstädte Ehrenfriedersdorf, Thum (mit Oberdorf) und Geyer, die aus Dörfern sich erhoben. In der Nähe der Burg Greifenstein befinden sich auch die Rittersitze zu Schönfeld und zu Tannenberg links der Zschopau, d. h. die dazu gehörigen Burglehen, deren erste Inhaber sich von denselben benannten. Außer den aufgeführten Orten gehört noch Jahnsbach zum Greifensteiner Bezirke. Derselbe grenzt im Süden an das Ufer der Zschopau und im Westen an das Gebiet des Schlosses Stollberg, während östlich davon das Scharfenstein-Wolkensteiner Land sich hinzieht. Greifenstein mit seinem gesamten Zubehör traten die Waldenburger Dynasten 1456 an das Haus Wettin ab, während jenes Land beim Aussterben ihres Geschlechtes (1479) als erledigtes Lehn in die Hände der sächsischen Fürsten gelangte, die es zu einem Amte umwandelten, das den Namen Wolkenstein empfing.
Auch die Schlösser Wolkenstein und Scharfenstein hatten ihre Burglehen, jenes zu Wolkenstein, zu Wiesa und zu Geringswalde, dieses zu Scharfenstein und zu Drebach-Venusberg. Alle diese Vorwerke liegen im Zschopautale, während im Preßnitztale nur in Großrückerswalde und Arnsfeld Eigengüter sich befanden, die von der Herrschaft selber bewirtschaftet wurden. Die Dörfer wechselten ihre Zugehörigkeit bei den Erbteilungen zwischen den beiden Linien des Waldenburger Hauses. So erfahren wir aus einem Leibgedingebriefe vom Jahre 1386, daß zu Schloß Scharfenstein die Orte Grießbach, Hopfgarten, Grüna, Großolbersdorf, Schönbrunn, Falkenbach, Drebach, Herold, Großrückerswalde, Mildenau, Grumbach und Jöhstadt, damals noch Goswinsdorf, gerechnet wurden. Wir können daraus andererseits den Bestand der Wolkensteiner Herrschaft entnehmen, nämlich Hohndorf, Venusberg, Naundorf, Wiesa, Streckewalde, Mauersberg, Arnsfeld, Steinbach, Satzung, Boden, Schmiedeberg, Geringswalde und Hilmersdorf nebst Königswalde rechts der Pöhla, d. h. die sogenannte „Ratsseite”. Als die Waldenburger Scharfenstein 1456 und Wolkenstein 1479 den Wettinern über- und hinterließen, gehörten alle diese Orte, die wir beiden Schlössern zuteilen konnten, ins fürstliche Amt. Wir erfahren wohl, daß Kloster Buch (bei Leisnig) die Orte Streckewalde (seit 1241), Mauersberg, Mildenau, Reichenau, von Mildenau aufgesogen (seit 1270) und Lichtenhain (d. i. Königswalde, rechts der Pöhla) besaß und noch im Jahre 1291 sich dieses Besitzes erfreute. Doch wegen einer Fehde hat es denselben wieder an die Herren von Waldenburg veräußert. Wozu eigentlich Gelenau gerechnet ward, ist unbestimmbar. Seine Südhälfte mit dem Rittersitze derer von Gelenau, welche um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts sehr oft in wettinischen Urkunden erscheinen, stand bereits 1324 mit dem Schlosse Schellenberg in Verbindung, während die Nordhälfte der Burg Zschopau angegliedert war, was aus einer zeitweiligen Veräußerung im Jahre 1414 ersichtlich wird.
So bleibt denn nur noch die sogenannte Herrschaft Belberg übrig. Im Jahre 1411 bestand sie, als sie an die Wettiner seitens der Burggrafen von Meißen verpfändet ward, aus dem Belberge selbst und den Orten Kleinrückerswalde, Geyersdorf, Frohnau, Dörfel und Tannenberg (rechts der Zschopau). Allein der Bezirk, der von den Wettinern als Mühlamt, so bezeichnet nach dem Verwaltungssitze, der Herrenmühle zu Frohnau, eingerichtet ward, muß vordem noch größer gewesen. Infolge seiner kirchlichen Verbindung mit dem Bistum Meißen hat auch Herrmannsdorf einst in jenem Bezirke gelegen, bis es etwa zu Beginn des 14. Jahrhunderts an das Grünhainer Kloster als das Geschenk seiner Stifter, der Meißner Burggrafen, davon abkam. In der Flur des 1496 erst gegründeten Annaberg war laut eines Gnadenbriefes Herzog Georgs des Bärtigen eine Wüstung namens Witzdorf (d. h. Dorf eines Wetzel-Werner) einbeschlossen, die auch den Beinamen „Borgkwalde”, d. h. Burgwald führt. Derselbe deutet auf die Existenz einer Burg, also eines Herrensitzes am Belberge. Es ist nun beachtenswert, daß gerade diese Gegend des öfteren als die „Wilde Ecke” bezeichnet wird. Diesen Namen wird das verschollene Schloß zuerst geführt haben, welches ihn vom Pöhlberge empfing, der ihn zuerst trug, bevor er im 15. Jahrhundert auf jene ganze Gegend überging. Erinnert sei übrigens daran, daß auch das Zschopauer Schloß den Namen Wildeck trug.
Durchmustern wir kurz die Namen der Orte, so sind sie alle deutsch, da sie die Dörfer Oberlungwitz, Wiltzsch, Dorfchemnitz, Ober- und Niederwürschnitz, sowie Niederzwönitz von den Flüssen gleichen Namens bez. von der benachbarten Niederlassung erhalten haben. Der einzige Name slavischer Art ist Gablenz (bei Stollberg) und bedeutet Apfelbaumort; seinen deutschen Doppelgänger stellt Affalter (bei Lößnitz) dar. Allein dasselbe liegt hart an der Grenze, nahe bei slavischen Ortschaften. Ein großer Teil der deutschen Dörfer nennt uns noch die Namen der Gründer, wie Goswin (Jöhstadt), Gerhard (Geyersdorf), Ratger (Groß- und Kleinrückerswalde), Hermann (Hermannsdorf), Irnfried (Ehrenfriedersdorf), Johannes (Jahnsdorf und Jahnsbach), Albert (Großolbersdorf), Gerung (Geringswalde), Strekko (Streckewalde), Arnold (Arnsfeld), Günther (Günsdorf), Jordan (Gornsdorf), Luitger (Leukersdorf), Siegfried (Seifersdorf), Siegmar (desgl.), Rudolf (Rottluff), Meinhard (Meinsdorf und Meinersdorf), Markert (Markersdorf), Helbig (Helbersdorf), Berwig (Berbisdorf) und Stelizo (Stelzendorf). Andere wiederum deuten auf eine Naturbeschaffenheit des betreffenden Ortes, so Adorf (Wasserdorf), Klaffenbach (Rauschebach), Erlbach, Harthau (Bergwald), Eibenberg, Ursprung (Quellort), Gelenau (üppige-geile Au), Mildenau, Reichenau, Tannenberg, Schönbrunn, Hopfgarten, Venus- d. h. Fenchelberg, Drebach (rascher Bach), Brünlos (am Brünnel), Grumbach (grüner d. h. bewachsener Bach), Steinbach, Wiesa, Schönfeld. Verschiedene Namen übergehen wir, weil ihre Deutung noch als strittig aussteht. Aber soviel bleibt gewiß, daß um die Rodung des Miriquidi der deutsche Bauer sich ein hohes Verdienst erworben hat. Nicht etwa der Bergbau ist hierorts das erste gewesen, sondern der Ackerbau. Dieser ward längst betrieben, als jener sich auftat. Das lehren uns die Entstehung der ersten Bergstädte Ehrenfriedersdorf, Thum und Geyer, von den anderen wie Annaberg, Buchholz u. a. ganz zu geschweigen. Erst im Jahre 1377 schließen die Meißner Markgrafen mit den Waldenburgern einen alles regelnden Bergvertrag ab, dem rasch ein zweiter im Jahre 1407 folgte. So schließen wir denn unseren Überblick über die politischen Verhältnisse des mittleren Erzgebirges im Mittelalter ab mit der Tatsache, daß etwa um 1200 der Miriquidi von deutschen Bauern gelichtet ward, die von den Reichsministerialen auf Stollberg und Waldenburg herbeigerufen worden waren. Die letzteren hatten am Greifenstein 2 und zu Wolkenstein zwei Burgen erbaut, welche einen Verbindungsweg, zwischen den beiden böhmischen diesseits und jenseits des alten Urwaldes, quer durch denselben, decken sollten. Scharfenstein mit dem Vorwerk Grünau, Wolkenstein mit den Rittersitzen zu Wiesa und Tannenberg, woselbst noch die Trümmer eines Wartturms neben der Kirche vorhanden sind, beherrschten die Wasserstraße der Zschopau, während Burg Wildeck als ein ausgezeichneter Punkt zur Beherrschung der Täler der Zschopau, Sehma und Pöhla gelten mußte. Durch Funkensignale war von hier aus leicht eine Verständigung mit Wolkenstein, Wiesa, Schönfeld und Tannenberg möglich. Das edle Geschlecht der Waldenburger hat sich bis 1479 in dem Gebiete gehalten, das es deutscher Kultur erschließen half. Die Wettiner aber faßten am Belberg, 1411, endgiltig 1440, in Greifenstein und Scharfenstein 1456, in Wolkenstein 1479 als Grundherren ohne ein dynastisches Mittelglied festen Fuß, während sie die Lehnshoheit bereits seit der Regierung Kaiser Ludwigs des Bayern, etwa seit 1324, ausgeübt hatten, die ihnen schon einmal in den Tagen Markgraf Heinrichs des Erlauchten und Landgraf Albrecht des Unartigen zeitweilig zugestanden hatte.
Wir kommen nun auf die kirchlichen Verhältnisse zu sprechen. Wie bekannt teilten sich in unser Vaterland die von Kaiser Otto I. gestifteten Bistümer Zeitz (seit 1032 unter Konrad II. Naumburg), Merseburg und Meißen. Das zweite fällt für unsere Betrachtung hinweg, da es sich nur über den Gau Chutizi erstreckte, und zwar seit 1004, nachdem es 983 sogar einmal infolge gesponnener Ränke seines zweiten Bischofs Gisiler törichterweise eine Auflösung hatte erfahren müssen, bloß über dessen Westteil links der Mulde. So stieß es demnach bis 983 und nicht länger an den Miriquidi, dessen Wild beim Herüberwechseln in die Rochlitzer Forstungen von seinem Bischofe erlegt werden durfte, wie wir sahen. Die Nachbardiözese Naumburg reichte ebenfalls nur bis an den Miriquidi heran. Eine Unterabteilung derselben, der Archidiakonat jenseits (rechts) der (Zwickauer) Mulde, welcher sich etwa zwischen 1170 und 1230 gebildet haben mag, und späterhin ständig vom Zeitzer Domdechanten verwaltet ward, weshalb er auch der transmoldanische Dekanat hieß, umspannte die Herrschaften Lichtenstein und Glauchau samt der Grafschaft Hartenstein in ihrem vollsten Umfange, d. h. einschließlich der Grünhainer Klosterdörfer, soweit sie in deren Banne lagen. An der Grenze dieser Kirchenprovinz nach Osten zu, d. h. an der Naumburger Sprengelgrenze überhaupt, lagen die Kirchspiele Lobsdorf, Bernsdorf, Gersdorf (alle drei bei Lichtenstein), Lugau, Oelsnitz i. Erzgeb., Thierfeld-Hartenstein, Beutha, Lößnitz, Zwönitz, Elterlein, Mittweida (jetzt Markersbach) mit Schwarzbach (seit 1837 selbstständig), Scheibenberg (natürlich erst seit 1522) und Crottendorf mit Neudorf (seit 1654 ausgepfarrt). An die Naumburger Diözese stieß hier ganz tief im Süden, sich gleichfalls an den Miriquidi herandrängend, das Prager Erzbistum mit der großen, die ganze Herrschaft umfassende Parochie Schlettau.
(Schluß folgt.)
Der bei der Pfarrkirche der Stadt Geyer stehende alte Wartturm ist vielleicht der Burgfried der alten Greifensteiner Burg, die auf dem Friedhofe stand. Der Name „Geyer” dürfte als eine Flurbezeichnung aufzufassen sein. ↩︎
Balberg ist nur eine verballhornte Form, die als unwissenschaftlich definitiv aus allen Veröffentlichungen auszuscheiden hat. ↩︎