Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 15 – Sonntag, den 10. April 1927, S. 1
(Nach älteren bis etwa Ende des vorigen Jahrhunderts reichenden Aufzeichnungen.)
Allgemeines.
Jemand, ich weiß nicht mehr wer, hat einmal gesagt: Zu einem Ort gehört eine Kirche wie das Amen zum Vaterunser. Hat er nicht recht? Ich habe in unserem Vaterland so manches Dorf ohne Kirche gesehen und stets war’s mir, als ob der Ort unvollkommen wäre. Es fehlte solch einem Dorf gleichsam das Haupt, die Krönung, wenn man sich so ausdrücken darf. Es schien der Ort so verlassen, verwaist. — Stelle dir vor, es sei ein lauer Frühlings-Abend. Linde wehen die Lüfte, unendlichen Wohlgeruch spendend. Du stehst auf einer Anhöhe und blickst auf ein friedliches Dörflein, eingebettet im frischgrünen Tal, herab. Die Sonne will hinter den Bergen versinken. Ihre Strahlen küssen noch einmal zum Abschied die Welt in all ihrer Schöne. Ein berauschendes Farbenspiel entflammt vor unserem andächtigen Auge. Ueber unser Dörfchen breiten sich langsam die Schleier der Nacht. Kein Vogellaut ertönt. Ueberall Ruhe, als ob Natur und Mensch den Atem angehalten hätten. Da erschallen auf einmal lamgsam und feierlich vom Tale herauf die Glocken des Dorfkirchleins. Segnend breiten sich ihre Klänge über das stille Dörflein. Es ist wie das Abendgebet einer Mutter, die ihr Kind zum Schlummer gebettet hat und es noch einmal mit treuen, einfältigen Worten dem Vater im Himmel befiehlt. Ergriffen lauschest du den weihevollen Tönen, die auch dich in ihren heiligen Kreis ziehen. Und hättest du es vorher nicht gewußt, jetzt weißt du es aber: Jeder Ort braucht seine Kirche wie ein Kind seine Mutter. — Heute werden zwar Stimmen laut: Was haben wir Kirchen nötig. Davon werden wir nicht satt. Baut etwas anderes dafür, das uns nährt und kleidet und uns Verdienst bringt. Aber ich wette, daß die, welche so reden, sich sehnen würden nach einer Kirche, wenn sie keine hätten. Ihre Seele verlangt nach ihr, auch wenn ihr Mund anders spricht.
Auch das Bergstädtchen Schlettau hat seine Kirche. Wie könnte es auch anders sein! Zwar ist sie kein stolzer, hochragender Dom, aber doch schmuck und ehrwürdig und den Schlettauern so ans Herz gewachsen, daß sie ihr Gotteshaus mit keinem anderen tauschen möchten.
Von dieser Kirche will ich im folgenden meinen Lesern erzählen, was ich in einem alten Buche aufgezeichnet fand.
Alter und Name.
Wie alt die Kirche ist, läßt sich nicht angeben. Aber eins steht fest, daß sie sehr alt sein muß; denn sie war dem heiligen Ullrich, einem der ältesten Heiligen der katholischen Kirche, geweiht. Damit habe ich schon den Namen der Kirche erwähnt: St. Ullrichskirche.
Brände.
Die Kirche ist öfters durch Feuer zerstört worden. So brannte sie am 12. November 1659 ab. Zu ihrem Aufbau bewilligte der damalige Kurfürst eine Kollekte. Auch beschenkte er die Kirche reich. U. a. stiftete er ein kostbares Meßgewand. Sehr verdient um den Aufbau hatte sich ferner ein Dr. Wendler aus Wittenberg gemacht, welcher, wie er in einer Erbschaftssache sagt, „200 Gulden an den Altar in der Kirche zu Schlettau verwendet.“ Außerdem hatten er und sein Bruder Pfarrer Wendler in Regensburg „ein Erbteil von 38 Reichsthalern in Schlettau und Zwönitz zu fordern, welches sie der Kirche zu obigem Gedächtnis (soll wohl heißen: Zweck) geschenkt haben“.
„Am 15. März 1700 wurde der Sims der Kirche vom Feuer ergriffen, doch wurde es mit Schneebällen wieder ausgeworfen.“
„Am 18. August 1708 mittags zwischen 2 und 3 Uhr zündete ein Blitz aus hellem Himmel den Turm, der bis auf die Mauern nebst 3 Glocken und Kirchendach verbrannte, auch noch Pfarre, Schule, Lauthaus, alle Kommungebäude und 95 Bürgerhäuser verzehrte.“
Aufbau der Kirche nach dem Brande des Jahres 1708.
Nach den Angaben des Chronisten wurde 1710 „der Turm von dem Zimmermeister Albin Engert u. Christoph Eckardt angefangen und von Steinel aus Schneeberg aufgesetzt. Am 18. August wurde der Turm von Pfarrer Joh. Christoph Schmidt geweiht. „Den Turm hat aus seinem Vermögen aufrichten und schalen lassen Christoph Rud. von Carlowitz, Königl. polnischer und Kurfürstl. sächsischer Kammerjunker, Oberaufseher und Oberforst- und Wildmeister, und Joh. Christoph von Rosenbusch legierte 200 Reichsthaler, wovon 130 Reichsthaler der Kirche, 50 Reichsthaler zum Pfarrbau und 5 Reichsthaler dem Stadtschreiber gehörten. Die Kollekte in der Zwickauer Superintendentur hatte (rund) 27 Reichsthaler — ergeben.“
Die Glocken wurden 1710 und 1712 in Dresden gegossen. „Eine Baurechnung für diesen Kirchenbau weist nach, daß damals 1 Brot 2 Gr., 1 Pfund Rindfleisch 9 Pfg., 3 Kannen Bier 19 Pfg. und 1 Pfund Schöpsenfleisch 16 Pfg. gekostet haben.“
Spätere Bauten, Veränderungen und ähnliches (bis zur Einweihung des aber neu errichteten Turmes am 9. Oktober 1842).
1756 wurde eine neue Turmuhr von Christoph Schmidt aus Lößnitz angebracht. Sie kostete 145 Reichsthaler.
Wichtige Veränderungen wurden in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vorgenommen. Wie der Chronist berichtet, war nämlich das Innere der Kirche „sehr finster, undfreundlich und raumbeschränkt“. Dies hatte seinen Grund in der viel zu geringen Anzahl von Fenstern. Die vorhandenen waren überdies viel zu klein. Ein weiterer Grund lag in dem „schwerfälligen“ Ausbau des Innern sowie in dem „schwarzfarbigen Anstrich der Kapelle und Empore“. Deshalb „versuchte Pastor Ziehnert, nachdem der Erbrichter Bach in Walthersdorf schon früher auf Verwendung des Pfarrers Walther in der alten, feuchten und kerkerähnlichen Sakristei unter dem Gewölbe eine Rohrdecke machen, den Fußboden erhöhen, noch ein Fenster durchbrechen und einen Ofen setzen — (ließ), was ihm über 50 Reichsthaler kostete, diese großen Uebelstände nach und nach zu beseitigen.“
„1832 wurden die alten Ratsstühle, auch die Sitze links, erneuert, in dem ersten Falle aus 8 sehr breiten Sitzen 11 gemacht“ usw.
„Im Sommer und Herbst 1833 bis Frühjahr 1834 wurden — (u. a.) auf der unteren Empore 45 neue Männersitze gewonnen. — (Ferner) wurden die alten Fenster bei dem Naumann’schen Chore neben dem Orgelchore weggenommen. Auf der Südseite der Kirche wurden 3 neue Fenster eingesetzt und die alten schwarzen Gatterwerke an der Kanzel, der Beichtstuhl pp. weggenommen. 1839 wurde bei der Chortreppe auf der Nordseite ein 5 Ellen hohes Fenster ausgebrochen, wodurch der ganze Raum unter dem Orgelchore viel Licht gewann.“
„Im Winter von 1840 bis Ostern 1841 wurde das weitere Schiff der Kirche ganz umgebaut.“ 1842 wurde der Turm „ganz neu aufgeführt“. Die Kosten hierfür betrugen etwa 7000 Taler. Sämtliches dazu gebrauchtes Holz, etwa 440 Bäume, wurden dem Stadtwalde entnommen. „Die Abtragung des alten Turmes begann am 14. Februar, die Aufrichtung des Gerüstes, 7 Etagen hoch, erfolgte im März 1842. Den 5. April wurden die Glocken herabgelassen. Die große, 1832 zersprungene Glocke, wurde vom Glockengießer Hann in Chemnitz umgegossen, die 2. und 3. aber in dem Graupner’schen Gärtchen, östlich der Kirche, unter einem Bretterdach zum Fortgebrauche aufgehängt.“
Der Neubau ging rasch von statten. Besonders der „Mauerbau, der namentlich in der 7elligen Erhöhung der Mauer, mit dreifachem Sims von Sandstein, in dem Durchbruch zu 12 neuen Fenstern und höherem Turmtore bestand,“ wurde durch die anhaltende trockene Witterung sehr gefördert. Am 13. Juni begann die „Hebung des über die Mauern sich erhebenden Holzwerkes, bis zur Spitze 43 Ellen hoch, welche am 20. Juni mit Aufstellung eines Kreuzes mit farbigem Wimpel an dem oberen Ende des Spindelbaumes mit Gesang, Musik, Reden feierlichst beendet wurde. Rektor Leupold hatte hierzu ein Gedicht gefertigt, welches vom Organisten Schmidtgen in Musik gesetzt wurde.“
Am 9. September früh wurden „die neue Glocke, die kleine Betglocke, die Kugel und das Kreuz feierlich eingeholt. Nach Absingung eines Liedes und einer kleinen Rede des Pfarrers Ziehnert verlas Bürgermeister Merz zwei Urkunden über den Turmbau —„.
Sodann wurden „eine Abschrift des Liedes und der Musik-Partitur, ein Exemplar der Kleinen Kirche und Schulchronik der Ephorie Annaberg und Grünstädtel von Ziehnert und einer Zeichnung vom alten Thurm in einer blechernen Kapsel niedergelegt.“
Die Kugel ist 107, das Kreuz 89 Pfund schwer. Der Turm erreicht eine Höhe von 51,42 Meter, während er vorher nur etwa 33 Meter hoch war. Er ist etwa 27 Meter niedriger als der Turm der St. Annenkirche zu Annaberg.