Die Talsperre Muldenberg für das westliche Erzgebirge und Vogtland.

Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 41 – Sonntag, den 6. Oktober 1929.

Die Talsperre bei Muldenberg i. Vogtl.

Ein beliebtes und bekanntes Wanderziel für Touristen und auch für Kraftwagenbesitzer ist die große Talsperre Muldenberg, die in waldreicher Gegend südlich von Falkenstein liegt. Es wird unsere Leser gewiß interessieren, diese Talsperre einmal im Bilde kennen zu lernen und auch Näheres über ihre Entstehung zu erfahren. Zu diesem Zweck entnehmen wir dem Heft „Falkenstein im Vogtland“ vom Dari-Verlag, Berlin, die nachfolgenden interessanten Ausführungen des Herrn Dr. ing. Sachs – Falkenstein: Wandert man von Falkenstein das Göltzschtal aufwärts, so kommt man nach einer reichlichen Stunde Weges am Ende des Tales an die Rißfälle, eine der bekanntesten landschaftlichen Schönheiten des Vogtlandes. Doch auch in anderer Beziehung kann diese Gegend ein besonderes Interesse beanspruchen. Das Wasser, das am Hange des Göltzschtales rauschend über glatte Felsstufen in die Tiefe stürzt, ist kein Göltzschwasser; es ist Wasser der Mulde. Vor einigen hundert Jahren hat man unter Ausnützung des „Risses“, einer tief in den Felsen eingegrabenen Schlucht, in einem künstlichen Graben Wasser aus dem Gebiet der Zwickauer Mulde über die Wasserscheide in das Gebiet der Göltzsch hinübergeleitet. In früheren Jahren diente diese Anlage der Forstwirtschaft. Deshalb führt der Graben außer dem Namen „oberer Göltzschgraben“ auch noch die Bezeichnung „oberer Floßgraben“. Oberer – im Gegensatz zum „unteren Göltzsch- oder Floßgraben“, der knapp 10 Meter tiefer liegend, ebenfalls Wasser aus der Mulde ableitet und bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wiederum durch einen „Riß“ nördlich von Friedrichsgrün nach der „Roten Göltzsch“ brachte, welche unterhalb Ellefeld in die „Weiße Göltzsch“ mündet. Jetzt fließt kein Wasser mehr aus dem unteren Graben nach der roten Göltzsch. Der untere Floßgraben ist nur bis Hammerbrücke noch als Obergraben eines Sägewerkes in Betrieb. Die Stelle, wo die beiden Floßgräben von der Mulde abzweigen, liegt in der Nähe des Ortes Mulde, dort, wo aus dem Saubach, der Weißen und der Roten Mulde die Zwickauer Mulde entsteht. Auch hier finden sich alte wasserbauliche Anlagen: man hat den Saubach unter der Weißen Mulde hindurchgeführt nach der Roten Mulde. Ein Teil des Wassers der Roten Mulde und des Saubaches wird dann in den oberen Göltzschgraben geschlagen. Der andere Teil des Wassers vereinigt sich mit der Weißen Mulde zur Zwickauer Mulde, aus der der untere Floßgraben nochmals einen Teil der Wasserführung abzweigt. Gedenkt man noch des Roten Mulden- und des Neuteiches, welche als Spannteiche eine gewisse Regelung der Wasserführung für den Flößereibetrieb gestatteten, so kann man ermessen, daß es sich hier um eine großzügige, alte wasserwirtschaftliche Anlage handelt, die an das technische Können ihrer Erbauer für die damalige Zeit große Anforderungen stellte.

Gegenwärtig entsteht an derselben Stelle ein neues, gewaltiges Werk, das für die Wasserwirtschaft der Orte des Göltzschtales, ja sogar weiter Gebiete des Vogtlandes überhaupt, von besonderer Bedeutung ist. Etwa 100 m unterhalb des Zusammenflusses der Roten und der Weißen Mulde wird eine große Sperrmauer errichtet, die das Tal abriegelt, so daß sich dahinter dann ein Stausee bildet, der eine Fläche von 920.000 qm bedecken und 5.910.000 cbm Wasser fassen wird. Der See wird ringsum von Wald eingeschlossen sein, der Gegend also einen besonderen Reiz verleihen. Menschliche Siedlungen sind nicht in der Nähe. Das gesamte Niederschlagsgebiet von 16,34 qkm besteht fast ausschließlich aus Wald mit nur drei bewohnten Häusern. Die Lage der Talsperre ist also für ihren Hauptzweck, der Trinkwasserversorgung zu dienen, hervorragend geeignet.

Durch die Speicherung in einem derartigen großen Stauweiher werden die Oberflächenwässer gleichsam vergütet, so daß sie als Trinkwasser in ihrer Beschaffenheit dem besten Grundwasser kaum nachstehen. Die Temperatur des Wassers gleicht sich bei der Größe der angestauten Menge völlig aus und weist ständig die günstigste Höhe auf. Aus dem durch mehrfache chemische Analysen festgestellten Gehalte des Wassers an Sauerstoff und Kohlensäure ist erwiesen, daß das aus der Muldenberger Talsperre entnommene Trinkwasser nach entsprechender Aufbereitung auch schmackhaft sein wird. Wie bei Gebirgswässern nicht anders zu erwarten, ist das Wasser weich, eignet sich mithin besonders als Kesselspeisewasser. Auch seine sonstige Beschaffenheit läßt es nach seiner chemische Zusammensetzung zur Verwendung in industriellen Betrieben jeglicher Art, namentlich in der Textilindustrie, für Bleichereien, Färbereien und dergleichen als vollkommen einwandfrei erscheinen. Um hinsichtlich der Reinheit des Trinkwassers nicht das geringste zu versäumen, wird das Wasser in einer besonderen Filteranlage noch einmal gereinigt, ehe es durch die Rohrstränge den verschiedenen Verteilungsnetzen zugeführt wird.

Infolge des geologischen Aufbaues der Gegend kann für viele Orte des Vogtlandes sowie der angrenzenden Gebiete des Erzgebirges und der benachbarten Gegenden der Bedarf der Ortschaften an Trinkwasser nicht völlig aus den Grundwasserströmungen gedeckt werden. Wenn diese auch in Jahren mit normalen Niederschlagsmengen ausreichend sind, so versagen sie doch – wie die Erfahrung gelehrt hat – hier oben leicht in regenarmer Zeit. Es ist deshalb schon vor dem Kriege der Plan einer weitgehenden Gruppenwasserversorgung der Orte des östlichen Vogtlandes und der angrenzenden Gebiete mit Trinkwasser aus Talsperren ausgearbeitet worden. Der Bau der Talsperre Muldenberg durch den Sächsischen Staat ist der erste Schritt zur Verwirklichung dieses großzügigen Planes.

Zur Steuerung der Erwerbslosigkeit im Falkensteiner und Auerbacher Bezirk begann man bereits im Winter 1920/21 mit den ersten Erdarbeiten. Im Frühjahr 1922 rückte dann eine Großfirma – die Philipp Holzmann A.-G. – mit ihrem umfangreichen Gerätepark an, um die eigentlichen Arbeiten für die Errichtung des Sperrbauwerkes durchzuführen. Die große Länge der Sperrmauer – sie ist an der Krone 467 m lang –, die Lage des Steinbruchs, welcher in rund 7 km Entfernung bei Friedrichsgrün aufgeschlossen worden war, und andere Umstände machten besondere Maßnahmen für die Durchführung der Arbeiten erforderlich. Das Wesentliche war dabei, im regelmäßigen Baubetriebe jeden Tag eine möglichst hohe Leistung an fertiggestellten Mauerwerksmassen zu erzielen; denn bei der Lage der Baustelle, über 700 m hoch am Kamme des Gebirges, mußte mit langen Wintern und einer nur kurzen Bauzeit für Mauerarbeiten im Sommer gerechnet werden. Das Ziel ist erreicht worden. Im Jahre 1924 wurden etwa 50.000 cbm Mauerwerk und Beton hergestellt, an mehreren Tagen allein täglich etwa 520 cbm. Hätte man die Steine, die an einem solchen Tage vermauert worden sind, mit der Eisenbahn heranbringen wollen, so hätte man einen Zug von rund 95 Waggons zu 15 t gebraucht.

Im ganzen sind für das gesamte Bauwerk rund 68.400 cbm Mauerwerk und 8.400 cbm Beton zu leisten. Beton ist in der Hauptsache für die Gründungen dort verwendet worden, wo sich in dem guten Baugrunde (Tonschiefer) Verwitterungsgänge aus Hornblendeschiefer befanden. Diese Adern verwitterten Gesteins wurden bis auf den gesunden Fels ausgehoben und dann mit Betonklötzen gleichsam ausplombiert. Darauf erhebt sich die Sperrmauer fest und wasserdicht in den Baugrund eingebunden. In der Talsohle wird die Mauer 26 m hoch sein bei einer Breite von insgesamt 4,00 m an der Krone und von 18,35 m an der Sohle. An der Stelle des tiefsten Verwitterungsganges ist die Mauer samt dem Betonklotze der Gründung 35 m hoch. Die Mauer wird aus Bruchsteinen in Zement-Traß-Kalk-Mörtel hergestellt. Wasserseitig erhält das Mauerwerk einen etwa 2 cm starken Putz von besonders hoher Wasserdichtigkeit. Um das Trinkwasser sowohl wie das Nutzwasser für die unterhalb liegenden Triebwerksbesitzer abgeben zu können, sind in der Mauer an der Talsohle zwei Stollen vorgesehen, die wasserseitig durch besondere Pfropfen aus Klinkermauerwerk geschlossen sind, und in denen sich die Grundablaß- und Trinkwasserrohre und andere Anlagen für den Betrieb der Talsperre befinden. Jedes der Rohre kann durch 2 Schieber geschlossen werden; von diesen befindet sich jeweils einer an der Luft- und einer an der Wasserseite der Mauer. Im Falle eines Versagens sämtlicher Schieber der Grundablaßrohre ist es schließlich noch möglich, die größte bisher beobachtete Hochwassermenge von 19.000 l/sec. in einem Hochwasserüberfall über die Mauer abzuführen. Das Wasser stürzt dann am Mauerfuß in einem Sturzbecken auf ein 2 – 3 m starkes Wasserpolster, wo es sich beruhigt und aus dem es schließlich in das Mutterbett der Mulde weiterfließt. Schlicht wie die Gegend der Sperrstelle, wird auch die architektonische Ausgestaltung der Sperrmauer und ihrer Nebenanlagen sein. Die gewaltige Fläche der Mauer wird nur gegliedert durch die Bogen und Pfeiler des Hochwasserüberfalles. Keine Aufbauten, keine Schieberhäuser und dergleichen, überall bei größter Betriebssicherheit in der schmückenden Ausgestaltung äußerste Sparsamkeit. So wird das Bauwerk allein durch seine Abmessungen wirkend, sich am besten der herrlichen Gegend mit ihren weiten Wäldern anpassen. Am linken Talhang in halber Höhe liegt das Haus für den Talsperrenwärter im Stile der Waldwärterhäuser mit grauem Holzverschlag erbaut. Dahinter führt die Eisenbahn von Muldenberg nach Schöneck hart am Stausee entlang, von diesem jedoch durch einen über 400 m langen Damm getrennt. Eigentlich hätte man die Eisenbahn an den Hang hinauf verlegen müssen, denn die Gleise werden von dem Wasser überstaut werden. Aus wirtschaftlichen Gründen hat man jedoch längs der Bahn, soweit sie überflutet worden wäre, einen Schutzdamm mit wasserdichtem Lehmkern und Böschungspflaster errichtet, der das Wasser von der Bahn abweist, so daß diese jetzt in einem künstlichen Einschnitt am Stausee dahinfährt. Von den rund 77.000 cbm Mauerwerk und Beton sind bis Ende 1924 über 60.000 cbm geleistet worden. Die fehlenden Mengen werden – gemessen an den Leistungen des Jahres 1924 – in wenigen Monaten geschaffen sein1. Dann ist das Werk vollendet, dann werden die Gerüste und Silos, die vielen tausend Meter Gleis, die Maschinen, die Kräne und all die anderen Anlagen abgebrochen, und das Becken beginnt sich zu füllen. Wenige derer, die später einmal über die weite Wasserfläche schauen, werden sich vergegenwärtigen, welcher Leistungen es bedurft hat, diese Anlage zu schaffen: daß die Baubahn aus dem Steinbruch bei Friedrichsgrün über 85.000 cbm Steine heranbringen mußte, daß mit der Eisenbahn etwa 3.400 15t-Waggons Baustoffe für die Mörtelbereitung ankamen, abgesehen von den anderen Bau- und Betriebsstoffen, daß Hunderte von Arbeitern viele Monate lang hier Beschäftigung fanden. Kilometerweit werden sich die Rohrleitungen erstrecken und täglich bis zu 11.750 cbm Trinkwasser nach Falkenstein, Auerbach und weiter hinunter zu zahlreichen Gemeinden bis nach Reichenbach bringen zum Wohle der zahlreichen Bevölkerung und zum Vorteile der regen Industrie. Die schlimmen Tage und Wochen der Wasserknappheit in regenarmer Zeit sind für Falkenstein und manchen anderen Ort endgültig überwunden. Damit ist durch den Bau der Talsperre Muldenberg eine der Vorbedingungen für eine lebhafte, aufwärtsstrebende Entwicklung aller dieser Orte gegeben.

  1. Die Talsperre ist am 21. Oktober 1925 in Gegenwart zahlreicher Vertreter der Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden durch den sächsischen Finanzminister Dr. Reinhold feierlich eingeweiht worden. ↩︎