Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 24, 13. Juni 1926, S. 7
Die Zeit vor Pfingsten des Jahres 1908, welches auf den 7. Juni fiel, war gewitterschwül und brachte eine Kette von Unwettern, die sich mit außergewöhnlicher Heftigkeit auch über unserem Erzgebirge entluden. Das T.A.W. vom 4. Juni 1908 und die folgenden Nummern bringen spaltenlange Berichte über Unwettermeldungen aus der näheren Umgebung und ganz Deutschland.
Am 2. Juni beschädigte ein Hagelschlag die Fluren von Kleinrückerswalde. Der Blitz zündete in Oberbärenstein das Otto’sche Haus und in Geyer das Eduard Porges’sche Haus hinter dem Rathaus und äscherte die Gebäude ein. Durch Funkenflug entstand ein weiterer Brand im nebenstehenden Edm. Klapper’schen Haus. In Weipert spaltete der Blitz eine alte Linde.
„Ein so heftiges Gewitter”, lesen wir in den betreffenden Berichten, „nach solcher Schwüle hat seit langer Zeit nicht unsere Gegend heimgesucht: der Regen strömte wolkenbruchartig nieder.” Im T.A.W. vom 5. Juni finden wir folgende Schilderungen:
Mai und Juni 1908 scheinen einen Rekord in der Anzahl der Gewitter aufstellen zu wollen, wie man sie bisher wohl selten zu verzeichnen hatte. Es eröffnen auch die Prophezeiungen der Wettermacher, nach denen der Sommer ein gewitterreicher werden soll, nicht gerade die angenehmste Aussicht. Dem gestrigen Vormittagsgewitter, das sich wiederum nur auf die weitere Umgebung Annabergs beschränkte und bei uns glücklicherweise keine Verheerungen anrichtete, folgte am Nachmittag ein zweites der gleichen Art. Aber auch dieses brachte noch nicht die gewünschte Abkühlung. Aus den Orten unserer Umgebung gingen uns folgende Unwettermeldungen zu:
Geyer. Das ungewöhnlich heftige Gewitter, welches sich am vergangenen Dienstag in der Dämmerstunde über Geyer entlud, hat mannigfachen Schaden angerichtet. Außer dem Edm. Porges’schen Haus in der Elterleiner Straße fiel ihm auch noch das Klappersche Haus zum Opfer. Während das erstere gleich nach dem heftigen Schlag in Flammen stand, verging geraume Zeit, bis auch die Flammen aus dem Dachstuhl des Klapperschen Hauses emporloderten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat ein alektrischer Funke gezündet; im Klapper’schen Hause scheint es schon längere Zeit gebrannt zu haben, ehe man es bemerkte. Auch im Wald hat der Blitz mehrmals eingeschlagen. Die mächtige Fichte am Eingang zum Stadtpark unter der Walthershöhe, neben der Ruhebank in der Nähe des Torweges, ist wie ein Zündholz zersplittert. Eigentümlich ist die Wahrnehmung, daß der Blitz zuweilen an derselben Stelle wieder einschlägt. In das Porges’sche Haus schlug der Blitz vor ca. 6 Jahren, damals brannte nur das Stallgebäude nieder, und neben der jetzt vom Strahl getroffenen Fichte befand sich bis vor kurzem ein anderer Baum, der ebenfalls vom Blitzschlage vernichtet worden ist.
Reitzenhain. Nachdem bereits am Dienstag Abend ein heftiges Gewitter in unserer Gegend auftrat, hatte die furchtbare Hitze am gestrigen Mittwoch in den Mittagsstunden — das Thermometer zeigte in der Sonne + 40 Grad Celsius ein derart heftiges Gewitter gezeitigt, wie es auf dem östlichen Kamme unseres Erzgebirges seit langen Jahren nicht aufgetreten ist. Unter dem furchtbaren Gekrache des Donners folgten Blitz auf Blitz aus allen Richtungen. Dabei strömte ein wolkenbruchartiger Regen, verbunden mit Hagel und Schloßen, unaufhörlich zur Erde nieder, auf den Fluren und Straßen förmliche Wasserläufe bildend. In Kühnhaide richtete der Blitz in dem Münzer’schen Wohnhause, ohne zu zünden, arge Verheerungen an. Stattliche Bäume in den Waldungen wurden von der Wucht des Blitzes zersplittert. Den ganzen Tag über folgten diesem Unwetter in kurzen Pausen weitere Gewitter, welche gleichfalls heftig auftraten und in Wald und Flur arg wüsteten.
Der Höhepunkt der Gewitterperiode wurde am 5. Juni erreicht. Die Gewitter dieses Tages brachten die langersehnte Abkühlung. Waren Blitz und Donner auch nicht so zahlreich wie an den vorhergehenden Tagen, so gesellte sich zu ihnen jedoch ein verheerender Sturmwind, der außerordentlich starken Regen und Hagelwetter brachte.
In Annaberg brach der Sturm an der Hospitalkirche einen großen Baum mitten durch, so daß nur eine Hälfte stehen blieb. Vom Kätplatz her fluteten lehmige Massen in das Schützenhaus und verwandelten den Küchenraum in einen kleinen See. Die Wege wurden zum Teil des Schotters beraubt. Das Wasser, welches keinen Eintritt in den Schleusen fand, schoß breit über die Straßen Annabergs.
In Frohnau wurde die Dorfstraße stark in Mitleidenschaft gezogen und fast die ganze Beschotterung abgeschwemmt. Im Oberdorfe glich die Straße zeitweise einem wilden Sturzbache. In Kleinrückerswalde und Cunersdorf fielen Schloßen. Auf den Königswalder Fluren zogen die ungeheuren Wassermengen, mit Hagelschlag vermischt, breite Furchen in die Felder. Die Pöhla führte in ihren Fluren Äste, Bretter und Holzstücke mit sich. Von dem Trockengebäude von Emil Wünsche’s Pappenfabrik hob der Sturm das Dach ab und schleuderte es ein Stück weit fort. In Wiesa drang das Wasser in zahlreiche Wohn- und Kellerräume ein. Auch die unteren Häuser von Dörfel erlebten eine förmliche Überschwemmung. In Scheibenberg wurden Bäume entwurzelt und Telephonleitungen zerstört.
Eine Windhose in Cranzahl riß bei dem Gutsbesitzer Paul Fritzsch das massive Schieferdach vom Wohnhause ab, einen Teil einige Meter weit mit fortreißend, der andere Teil hing am Hause herunter. Einen schauerlichen Anblick bot die Verwüstung (siehe Abbildung). Die Feuerwehr mußte alarmiert werden, um die Aufräumungsarbeiten vorzunehmen. Bei dem Hause von Paul Engert riß die Windhose einige Zementplatten ab und eine starke Birke wurde umgebrochen. Bei dem Gutsbesitzer Paul Göbel wurde vom Wasserhaus das Blechdach gänzlich abgerissen. Auch ein Zaun mit eisernen Säulen wurde umgelegt.