Nach der „Kriegschronik“ Christian Lehmanns.
Von Dr. M—r.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 24 – Sonntag, den 10. Juni 1928, S. 1
Das obere Erzgebirge hatte furchtbar durch den dreißigjährigen Krieg zu leiden. Die Kriegschronik des berühmten Geschichtsschreibers unserer Heimat, des Scheibenberger Pfarrers, Christian Lehmann, schildert in herzergreifender Weise die unsäglichen Greueltaten, die die entmenschten Soldatenhorden der kaiserlichen und schwedischen Partei in Stadt und Land verübten. Sie hausten wie die Teufel, raubten und plünderten, wo sie nur konnten, schändeten Frauen und Kinder, mordeten und quälten unzählige Menschen in geradezu viehischer Weise, zündeten Dörfer und Städte an, ohne Mitleid und Erbarmen, nur ihren tierischen Lüsten folgend. Alles stöhnte und jammerte unter der schrecklichen Plage, die an niemand vorüberging, auch nicht an der Stadt Schlettau.
Bis zum Jahre 1632 hatte Schlettau wie überhaupt das Erzgebirge vor dem Kriege im allgemeinen Ruhe. Freilich wurden schon im Jahre vorher auf Befehl des Kurfürsten die Pässe nach Böhmen, als die Einfälle der Feinde aus diesem Lande immer schlimmer und häufiger wurden, verhauen. „Viele tausend Bäume wurden gefällt, daß sie mannshoch übereinander lagen.“ Vorher mußten die Gebirger vier Wochen in großer Anzahl davor liegen. „Dies kostete dem Oberertzgebirge viel.“ Trotzdem gelang es dem Kaiserlichen General Holck, dem Oberfeldmarschall Wallensteins, im Sommer 1632 in Sachsen einzubrechen. Am 15. August wurde Zwickau beschossen und drei Tage später übergeben. Nach der Plünderung von Aue, Lößnitz, Thum und Zwönitz zogen die Kaiserlichen durch den Raschauer „Grund“ gegen Annaberg. Unterwegs suchten sie auch die Stadt Schlettau heim. Es war wohl am 20. August. Christian Lehmann, der diese Zeit als Augen- und Ohrenzeuge miterlebt hat, schildert die Leiden, die Schlettau durch die Wallensteiner zu erdulden hatte, in folgender Weise (des besseren Verständnisses wegen ist die damals übliche Ausdrucks- und Schreibweise in die heutige nach Möglichkeit frei übertragen worden):
„Die Schlettauer waren etliche Tage zuvor gewarnt worden, nämlich von dem Edlen Hans Pistoris, der zur Zeit Hofmeister auf dem Rabenstein beim Landjägermeister und Pachtinhaber des Schloßgutes in der Schletta war. Dieser hatte des Feindes Vorhaben, nach der Einnahme des Vogtlandes und Zwickaus nunmehr nach Annaberg zu ziehen, seinem Weibe geschrieben und ihr geraten, das Beste von ihrer und der Bürger Habe in den Schloßturm, und zwar in die Gefängnisse zu versenken und hier zu verbergen. Dies geschah denn auch, rettete jedoch nicht die Sachen vor ihrem Verderben. Die Edelfrau hatte nämlich das Schreiben sowie das Verzeichnis über die Gegenstände, „was jeder an kasten und bürden hinein gethan“, in ihrer Kammer in die Wand gesteckt und ein Bett vorgeschoben (Später wird erzählt, wie gerade diese Maßnahme zur Entdeckung der verborgenen Sachen führte).
Eine andere Post (Nachricht) brachte ein Arzt, der von Schneeberg den Grund herauf nach Annaberg mit seinen Wagen und Leuten fliehen wollte. Er riet den Schlettauern, eilends mit dem Vieh, ihren Weibern und Kindern nach dem Stockholz in eine „Weiche oder Marrast, theils in Hofbusch und Dörfler mühle“ zu flüchten, wurde aber selbst mit etlichen Bürgern und ihrem Vieh, das man vorher noch füttern wollte, von dem feindlichen Vortrupp eingeholt. Alles wurde ihnen weggenommen.
Ehe der General Holck, der in Scheibenberg frühstückte, nachkam, ging es in der Schletta kunterbunt zu. Alle Häuser, Kammern und Kasten wurden aufgeschlagen. Die Keller und Gewahrsame wurden erbrochen, die verborgenen Sachen ausgegraben und Zinn und Kleider auf die Gassen getragen. Das Vieh und „deßen Nutzen darvon“ wurde aufgefressen. Als der General kam, besetzte er das Schloß mit einem Hauptmann Wilhelm N. und 40 Musketieren. Er trieb das Kriegsvolk fort, sodaß sie viel Zinn, Kleider und Beute, die in den Gassen und auf den Straßen lagen, wegwarfen und liegen ließen und nur das Beste mitnahmen.
Bei diesem Einfall wurden viele Bewohner beschädigt und die ergriffenen Weibsbilder geschändet. Es wurden sogar niedergemacht Balthasar Drechßler und ein böhmischer „Habermeder“ (Hafermäher), der mit seiner Sense zum Ernteschnitt ziehen wollte. Der erste ist am 25. August, der andere nach 8 Tagen im Feld an der Stelle, wo er tot gelegen hatte, begraben worden.
Der Hauptmann hielt sich 8 Tage im Schlosse auf, das er voller Vieh hatte. Dieses verkaufte er durch die Bank jedes Stück für einen Taler. Auch legte er allen umliegenden Flecken und Dörfern „Contribution“ (Zwangsbesteuerung) auf. Ihm fiel auch der im Schloßturm verborgene Schatz an Barschaft, Gold und Silber, überhaupt die beste Habe der Bürger, darunter auch ihre Schützenkette und ihr Vogel von Silber, in allem zehntausend Taler wert, in die Hände. Dies war so zugegangen. Als des Hauptmanns Soldaten alle Gemächer durchsucht und auch das Bett fortgeschoben hatten, fand ein Soldat das Schreiben und das Verzeichnis über die verborgenen Sachen und überbrachte es dem Hauptmann. Als dieser alles gelesen hatte, ließ er durch Bierseile und Glockenstränge die Schätze aus dem Turm ziehen und teils nach Böhmen, teils nach Annaberg schaffen. Hierdurch machte er sich und seine Soldaten reich, die Stadt Schletta aber um „ein groß stück“ ärmer. Die Schlettauer hatten über 100 Jahre ungehindert gute und glückliche Nahrung gehabt und viele tausend Taler, die sie meist im Schloßturm verwahrt hatten, gesammelt. Schlettau war eine rechte „schmaltzgrube voller Vorrath“ geworden und reichlich mit allen Sachen versehen. Nun aber verloren sie ihren Reichtum. Als Beispiel dafür, was die Kaiserlichen in Schletta erbeuteten, sei erwähnt, daß sie einem Bürger, Michael Heßen, einen Kasten voll Spitzen im Werte von 1000 Talern und 2000 Taler Bargeld sowie 40 Stück Vieh mit Pferden und Zugochsen wegnahmen.“
Nach dem Abzug der Wallensteiner glaubten die Schlettauer vorläufig Ruhe vor Plünderungen und Untaten zu haben. Sie sollten sich aber darin sehr täuschen. Noch in demselben Jahre, Ende Dezember, rückte General Holck mit seinen Scharen von neuem in Schlettau ein. Was die Schlettauer dieses Mal ausstehen mußten, erzählt uns Christian Lehmann wie folgt:
„In der Schletta wurden 21 Bürger beschädigt und Weiber und Jungfrauen geschändet. Weil es den Soldaten an Gefäßen mangelte, hatten sie auf der Gasse in das Eis Löcher gehauen, worein sie Bier gossen und die Pferde saufen ließen. Alles wurde geplündert, auch alles Vieh geraubt. Dieses wurde teils geschlachtet und gekocht, teils zusammen mit dem Vieh aus der Umgebung Annabergs auf Fuhrwerken und im Heereszuge mitgenommen und nach Böhmen getrieben.
General Holck lag auf dem Schloß mit etlichen Kompagnien bis zum 28. Dezember und zog dann seinem Kriegsvolke nach. Bei seinem Aufbruch befahl er dem Pachtinhaber Hans Ernst Pistoris, er solle die Zugbrücke hinter ihm aufziehen, damit seine Leute nicht einfallen und Schaden tun könnten. Ehe er jedoch dies verrichten konnte, drangen Musketiere ein, zogen den Ortspfarrer und sein Weib sowie den Diakonus „fingernackendt auß, daß Sie sich vor einander schemen müßten“. Die Pachtfrau entsprang halbnackend und klagte es dem General Holck. Dieser ließ die Räuber nicht nur herausprügeln, sondern schoß auch einen von ihnen selbst nieder, „daß er mit den raub und seiner bürden strax liegen blieben.“
Auch in der Folgezeit hatte Schlettau viel unter den Kaiserlichen zu leiden, von denen Christian Lehmann sagt, sie „wüdeten ärger den(n) die reißenden Wölffe, die doch auch grimmig gnug sindt in diesen gebirge.“