Erzgebirgische Volkssagen.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 43 – Sonntag, den 6. November 1927, S. 2

Der Fürst vom Greifenstein.

(Fortsetzung und Schluß.)

Da er sehr gutmütiger Natur und völlig harmlos, dabei durchaus ehrlich war, hatte ihn jedermann gern, und er fand in vielen Häusern, unter anderm auch bei Pastor Bergmann in Drebach, der ihn nicht nur bewirtete, sondern auch gewöhnlich wieder mit gutem Schuhwerk beschenkte, gastliche Aufnahme. Natürlich war er für die Straßenjugend oft die Zielscheibe des Spottes, und possierlich genug mag es auch ausgesehen haben, wenn er für 1 Pfennig in seinem wunderlichen Aufzuge dreimal die Runde tanzte oder mit den Kindern zugleich über Bäche und Gräben sprang und sich dabei oft genug absichtlich zur größen Erheiterung der Zuschauer ins Wasser fallen ließ. Hübschen drallen Bauernmädchen war er so zugetan, daß er oft auf sie zueilte, um zärtlich mit ihnen zu tun; daher war es kein Wunder, wenn sie ihm schon von ferne scheu auszuweichen suchten. Die Frauen pflegte er durchweg „Lottel“ zu nennen, und wenn er in eine saubere, frisch gescheuerte Stube trat, zog er die Stiefel aus, ging in Strümpfen umher und richtete die bescheidene Frage an die Hausfrau: „Krieg‘ ich heute etwas, mei Lottel?“ Selten war diese intime Bitte eine vergebliche.

Die liebste Herberge auf seinen Bettelwanderungen war der Gasthof zu Streckewalde, wo er immer Erbarmen und freundliche Aufnahme fand. Als dieser Gasthof einst niederbrannte, hatte unser Fürst von Habenichts auch vor dem Gerichtsamtmanne zu Wolkenstein als Zeuge darüber sich zu äußern, ob er als kurz vor dem Brande gerade anwesender Gast etwas über die Entstehung desselben anzugeben wisse, und hierbei soll er die nicht ganz witzlose Antwort gegeben haben: „Sehen Se, Herr Amtmann, das kann ich Se genau sagen. Vor 14 Tagen blieb ich dort, da brannte er nicht ab; vor 8 Tagen bin ich wieder dort geblieben, da brannte er auch nicht ab; wie ich aber das letzte Mal dort blieb, ist er abgebrannt. Hab‘ ich recht gesprochen, Herr Amtmann?“

Leider wurde er im späteren Alter sehr unreinlich. Der jedenfalls geistig etwas gestörte, überall aber wegen seiner freundlichen Bescheidenheit und makellosen Ehrlichkeit gern geduldete und unterstützte Sonderling verlotterte zuletzt so sehr, daß er öfters mit Schub nach seiner Heimat Drebach zurückgebracht und dort gänzlich neu ausstaffiert werden mußte. Da er im Heimatsorte öfter Steine zu klopfen und andere ihm sehr unbequeme Arbeiten zu verrichten hatte und zu diesen nicht selten mit großer Strenge angehalten ward, machte er sich zu wiederholten Malen aus dem Staube, bis er endlich gänzlich hilflos im Alter von 67 Jahren im Armenhause zu Drebach sein Stromerleben endete.

(„Glückauf“.)

Den Schluß bilde aus des alten Pfarrers Lehmann Historischem Schauplatze ein Bericht über den Greifenstein, wie er anno 1683 den 7. August befunden worden ist:

Selbiger lieget zwischen Geyer, Thum und ehren-Friedersdorff, von jedem fast 1 Stunde weit, auf einer wilden Höhe im Holtze, so itze meist abgetrieben, auf Ehrenfriedersdorffer Jurisdiction, daselbst der Rath auch den Greiffensteiner Steinbruch verleiht. Aus dem Erdboden steigen jählinge Felsen, höher und niedriger in die Höhe, die anzusehen sind, als wären die großen Steine mit Fleiß in der Ordnung auf einander gelegt, unten herum liegen viel große Brüche und Steine, theils mit Erde bedeckt, überraset mit Bäumen und Gesträuchern, auch Heide, Hind-, Erd-, Schwartzen- und Preiselbeer-Sträucher bewachsen und überzogen, die Felsen sind klüfftig von groben weißlichten Sandstein, am äußersten Ort allenthalben bestoßen, daß man wohl merken kann, wie die Sündflut dran gearbeitet, deren Merkmahl man auch unter der Erde daselbst wahrnehmen kan wie sie das Land von Abend gegen Morgen gestürtzet habe. Auf etliche solchev Felsen, Schrofen oder Tauren kan man gar nicht kommen ohne Farthen, oder so etliche sich hinauf gewaget, sind sie schwerlich und mit Leibes- und Lebens-Gefahr wieder herabkommen. Von ferne lassen sie sich ansehen als „rudera“ von alten Thürmen, etliche kan man besteigen, von den niedrigen auf höhere Felsen, wie ich denn selbst samt etlichen Geferten damals auf den Felß gestiegen und mich wohl umsehen können, auf welchem etliche ausgehöhlte Steine waren, wie Kessel, darein sich das Regenwasser aufhalten kan, daher bey etlichen der Wahn entsprungen, es wäre ein Brunn daroben. Der Umfang dieser in die Höhe steigenden Felsen, deren 9 so ziemlich hoch sind, die andern aber niedriger, und theils als niedergeworfen und abgestürtzet, möchte so groß seyn, als der Umfang des Klosters zu St. Annaberg. Es sind daran große Klüffte, gespaltene und in der Höhe ziemlich weit von einander stehende, auch andere überhängende Felsen zu sehen, daß man sich wundern muß, wie sie bestehen können. Unter einem großen Felß, allwo der Vermuthung nach das alte Schloß gestanden, ist ein offenes Loch zu sehen, darin eine Mannesperson gemächlich kriechen kan, wie in meynem Beyseyn der eine Steinmetze hereinkroche, aber drinnen nichts fand als eine Weite, so demAnsehen nach von Bergleuten gemacht worden. Von solchem Loch aber sollen alte Leute erzehlet haben, daß einst eine Magd, die sonst, wann sie des Orts gegraset, öffters daselbst mit Nahmen geruffen worden, im Beyseyn einer andern Magd auf abermahliges ruffen hinein gegangen wäre, mit dem Verlaß, wenn sie schreyen würde, daß ihr die andere zu Hülffe kommen solte. Es hätte aber die hinein gehende einen großen Kasten mit Gold und Geld und einen Hund darbey liegend angetroffen, und auf Befehl einer Stimme das Grastuch damit angefüllet. Als aber inzwischen der Eingang gantz enge worden wäre, daß sie auf die andere Magd um Hülffe geschrien, wäre der Hund auf sie loßgesprungen, und hätte alles eingefassete wieder aus dem Grastuch gescharret, darauf sie voller Schrecken von der andern herausgezogen worden, und des dritten Tages darauf wäre sie gestorben. Obs wohl einem Mährlein ähnlich, jedoch weils vor wahr ausgegeben worden, hab ichs nicht praeteriren wollen, in gesamt aber bejaheten die Anwesende, daß es die Leute um solche Felsen öfters verführe, auch bey hellem Tage. Der alte Christoph Hackebeil sey einst verführt worden, daß er des Nachts über in einer Höhle bleiben müssen. Es hat das Ansehen, daß vor alten Zeiten der Platz zwischen 2 hohen Felsen sey mit Mauern eingeschlossen gewesen, wie man denn die „rudera“ des alten Gemäuers sehen kan, auch bißweilen dicke Schirpel von Töpfen, Nägel, Eisenwerck, Pfitzschpfeile, Todtengebeine, Schweinszähne, alte unbekandte Schlüssel, Gräten von Stockfischen findet. Vor acht Jahren ist eyn klein silbern Ringlein mit Creutzelein und Buchstaben des Namens Maria gefunden worden. Man findet auch Kalk, der auch in alten Mauersteinen klebt u. s. w. wovon ich etliches selbst gesehen. Und ist die Vermuthung, es wäre ein alt Raub-Schloß da gestanden, von welchem die Räuber auf dem Schellenberg, wo itzo Augustburg, stehet, hätten Zeichen geben können. Unweit davon ist der Steinbruch, welchen itzo Georg, Christoff und Hanß die Ulliche, Brüder, inne haben, und daraus allerley Werckstücke, Thürstöcke, Fensterseulen, Grabsteine und Mühlsteine brechen, solcher Bruch steht gutes teils voll Wasser, darinn sie Hechte haben. Wenn die Wasser überhandnehmen, müssen sie solche durch einen weiten Riß und grße Kluft außfördern. Diese Leute nehren sich gar wohl von ihrem Steinbruch, weil die Steine fest und weit verführet werden. Um den Greiffenstein, davon sie die beste Nachricht geben können, haben sie niemahls gifftiges Ungeziefer, Schlangen, Ottern u. s. w. gemercket. Auf dem Felsen pflegen etliche denen Krienitzen zu stellen. Gegen Ehrenfriedersdorff, nicht weit vom Greiffenstein, sind alte Zechen, zu Johannis genannt, darin weiland die Bergleute durch Feuersetzen unterirdische Weiten und Hölen gemacht (Ritter- und Stülpnerhöhle!), den Zwitter zu gewinnen, daß man sich wundern muß, und können sich viel 100 Personen drein verbergen. Man kann wegen der Brüche zu Fuße hineingehen, und unter Erde anderswo wieder heraus kommen. Es finden die Steinmetzen in ihrem Bruch öffters etwas Zwitter mit, welchen sie aushalten, und nach ihrer Gelegenheit zu gut machen. Es ist aber daraus abzunehmen, daß unter der Erden der Felß sehr groß und tieff seyn, der Greiffenstein aber nur als eine Krone darauf seyn müsse. Woher er den Nahmen habe, weiß niemand, außer daß man sagt, es hätte ein Greiff daselbst genistet. Ich halte aber die Räuber mögen die Greiffen gewesen seyn, oder geheißen haben.