Literarische Bilder Annabergs und seiner Umgebung um 1800 (10)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 11, 11. März 1934, S. 1

Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.

(9. Fortsetzung.)

Die Gewinnung des Eisens ist ein besonderer Zweig am großen Baume des Bergbaus. Mit dessen ausführlicher Beschreibung beginnt Engelhardt seine Darstellung des erzgebirgischen Kreises. Wir geben daraus nicht wieder, was er mit großer Genauigkeit über die Organisation und Technik, sondern nur, was er über die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen des Bergbaus sagt, und zwar soweit sie besonders im Umkreise Annabergs in die Erscheinung treten. Die Arbeit des Bergmanns ist nicht nur mit schwerer Mühe, sondern auch mit großer Gefahr verbunden. „Und doch fehlt es nicht an Bergleuten – und diesen größtenteils nicht an Frohsinn! – Aber Gewohnheit und Notdurft sind mächtige Hebel! – Schon der Knabe von 6 bis 7 Jahren tritt getrost in die Fußtapfen des Vaters, weil er – keinen andren Weg des Heils vor sich sieht und weil er – gleich andern, nach der Meinung der Eltern, anfangen muß, „sei Brud salber zu verdiene”. Wird auch hier einer verschüttet, stürzt dort ein andrer von der Fahrt in die Teufe, ertrinkt einer im durchgebrochenen Wasser, indes der andre vom Kunstgezeug ergriffen und jämmerlich zerquetscht wird, so sind das nach des Bergmanns glücklicher Selbstüberredung, Ausnahmen von der Regel, wodurch er in seiner mühseligen Wallfahrt sich weiter nicht stören, ja leider! gemeiniglich nicht einmal vorsichtiger machen läßt. Denn die meisten Unglücksfälle sind Folgen der Nachlässigkeit und des großen Vertrauens”. Von den 12 000 Bergleuten in den 600 bis 700 Gruben Sachsens verunglücken im Durchschnitt jährlich zwar nur 6 tödlich, aber sehr viele werden verstümmelt. Und im übrigen wird der Bergmann, „je nachdem sein Körper schwach ist, von Jugend auf gleichsam vergiftet. Schon der Pochknabe in der Scheidebank bereitet sich dadurch eine Art von schleichender Auszehrung, den sogenannten Bergmann oder die Bergsucht, welche ihn oft in den 30er und 40er Jahren wegrafft. Eine ähnliche Krankheit, die Hüttenkatze, trifft häufig die Hüttenarbeiter, welche viel arsenikalische Teile verschlucken müssen. Doch gibt es auch Ausnahmen und unter den Bergleuten so gut, wie in anderen Ständen, Greise von 70 und 80 Jahren, aber freilich seltner”.

Der Lohn für seine aufreibende Arbeit ist gering; „er steigt nach Beschaffenheit der Umstände und Arbeit von 6 Groschen wöchentlich, die der Scheide- oder Wäschjunge – bis zu 2 und 3 Talern, die z. B. der Obersteiger auf Ausbeutzechen (Zechen mit Ueberschuß) erhält. Der gemeine Bergmann verdient wöchentlich 21, 24, 27, 30 Groschen usw.” Wie furchtbar traf so ein Bergmann und seine Familie eine Teuerung, wenn er ein Sechspfundbrot mit 6 – 12 Groschen bezahlen sollte. Im Annaberger genoß er wie im Freiberger Bezirk den Vorteil, daß er wöchentlich nur 5 Schichten zu arbeiten brauchte, also am Sonnabend wie an Sonn- und Feiertagen einen freien Tag hatte. Stark erhöhte für den Bergmann die Anstrengungen seines Berufes der Weg zu seiner Arbeitsstätte. „Die meisten Bergleute wohnen auf Dörfern und mancher muß wohl 1 – 2 Stunden und länger laufen, ehe er seine Zeche erreicht. Den ärmsten Bergleuten räumt man immer sogenannte Bergfreiheiten ein, d. h. Häuser, die auf alten Berghalden gebaut und deshalb frei von Abgaben sind.”

Aber schon nahm sich soziale Fürsorge der verunglückten und arbeitsunfähigen Bergleute wie ihrer Hinterbliebenen an. „Wer bei der Arbeit verunglückt, wird auf Kosten seiner Zeche geheilt und empfängt auch während der Kurzeit seine Auslohnung. Stirbt er auf der Stelle oder während der Kur, so erhalten die Seinigen die Begräbniskosten und einen zweimonatlichen Gehalt. Ist er bergfertig, d. h. kann er vor Alter und Krankheit nicht mehr arbeiten, so bekommt er (wie auch seine Witwe und Waisen) Almosen (Gnadengeld) aus der Knappschaftskasse, zu welcher sämtliche Gewerken beitragen und wohin so manche besondere Abgaben, wie Strafgelder, Meistergelder usw. fließen. Den Bergleuten selbst wird am Lohn etwas (der Büchsenpfennig) für diese Kasse abgezogen.” Auch werden armen, alten oder verunglückten Bergleuten Unterstützungen aus milden Stiftungen gewährt.

Da die Berufsarbeit des Bergmanns im allgemeinen nicht soviel einträgt, als er für den Unterhalt seiner Familie braucht, so sucht er noch so manchen Nebenverdienst. Er fertigt z. B. Holzwaren, wie Schachteln, Körbe usw., pocht Streu- und Scheuersand, flicht Siebe, sammelt schöne Steinarten oder Färbekräuter, Farbenerden, klöppelt, malt Spitzenmuster, fertigt Kleisterpuppen, Bergbaumodelle usw. in Glasflaschen, sucht erzhaltige Gegenden (schürft), arbeitet auf Tagelohn in Steinbrüchen, beim Straßenbau usw., zieht einzeln oder in Gesellschaft mit Sang und Klang (besonders mit der Zither) von Wirtshaus zu Wirtshaus, von Messe zu Messe usw. Sonst reisete auch mancher auf Schätzegraben, Wünschelrutenalsanzerei und dergl. Allein diese betrügerische Art von Verdienst war von jeher nur dem Abschaum der Bergleute eigen und findet jetzt fast nicht mehr statt.”

Ein beliebtes Gewerbe armer Bewohner des oberen Erzgebirges, das nicht nur arbeitslose Bergleute betreiben, ist das sogenannte Landgehen, d. h. das Hausieren mit Spitzen, Bandwaren, Arzneien usw. Es ist in Neudorf und Umgebung wichtige Nahrungsquelle, auch in Jöhstadt, von dessen 1300 Einwohnern immer mehr als 100 solchem Handel nachgehen, da hier der Bergbau fast ganz erloschen ist, gewöhnlich nur noch 2 Bergleute anfahren. „Die sogenannten Landreisenden oder Raasenden, wie sie in der Volkssprache heißen, ziehen den größten Teil des Jahres in und außer Landes herum, besonders in die nordischen und Rheingegenden. Ihre Familie muß indes sehen, wie sie vom Klöppeln, Handarbeiten, wohl auch vom Borgen, mühselig sich ernährt. Kehrt der wandernde Hausvater zum Winter heim, so soll er die aufgesummten Reste bei Fleischer, Bäcker usw. bezahlen; dies ist aber, besonders in jetzigen Zeiten, wo dieses wandernde Verdienst auf mancherlei Art beschränkt wird, nicht allemal oder nicht ganz imstande, und so bleibt denn ein großer Teil der Landreisenden immer und ewig in einer mißlichen Lage. Ueberhaupt gehört das Landgehen in vieler Hinsicht unter die moralisch-schädlichen Nahrungszweige, denn das beständige Herumschweifen erzeugt nicht weniger als hute Sitten. Ferner von Weib und Kind werden die heiligen Bande der Häuslichkeit, die Gatten- und Vaterpflichten nur zu leicht vergessen. Das ist keine Frage. – Die schädlichste Klasse der Landreisenden sind die Olitätenkrämer oder Bergleute, wie sie sich, ihres absichtlich angelegten Berghabits wegen, nennen. (Unter Olitäten – von lateinisch oleum, Oel – versteht man ölige oder balsamische, auch pulver-, pillen- und salbenörmige Volksarzneimittel und Pflaster, die man besonders im Erzgebirge und im Thüringer Walde (Königssee) aus aromatischen Wald- und Gebirgskräutern gewann.) Ihre Arzneien nehmen sie teils von Königsseern, die in den gebirgischen Grenzorten Niederlagen zum Paschhandel nach Böhmen halten, teils fertigen sie selbst Pulver, Salben, Tees usw. Besonders suchen sie um Johannis häufig Kräuter zu Gesundheitstees, ob sie gleich von der Kräuterkunde wenig oder nichts verstehen. Die Kirchhöfe erhalten durch diese reisenden Afterärzte gewiß manches unzeitige Opfer. Sonst erzog man auch die Knaben wieder zu diesem traurigen und unsicheren Verdienst. Jungen von 14 – 15 Jahren zogen schon mit den Vätern in alle Welt, zu heilen alle Kreatur, und lernten so durch tägliche Uebung gleich beim Eintritt in die Stuben es den Leuten ansehen, ob sie an Herzwürmern, Herzgespann usw. litten. Allein seitdem das Hausieren mit Arzneiwaren und das Kurieren ohne Erlaubnis im Vaterlande, jetzt strenger als je, verboten und auch im Auslande mit Gefahr verbunden ist (mehr als einmal wurden dergleichen Reisende im Auslande tüchtig gestraft), werden jener medizinischen Wandelsterne oder vielmehr Irrlichter immer weniger. So wird und muß dieser, nur auf Täuschung Leichtgläubiger berechnete und deshalb ebenso unsichere, als unmoralische Industriezweig mit der Zeit ganz verdorren.”

Aber wir sehen doch auch einen ansprechenden Zug im Bilde des Landreisenden. „Eine besondere Eigenheit des erzgebirgischen Charakters, dem man überhaupt Treuherzigkeit und Ehrlichkeit in hohem Grade zuschreibt, ist das Heimweh. Gleich dem Schweizer, Tiroler und anderen Bergbewohnern sehnt sich auch der Erzgebirger, geht es gleich in fernen Landen ihm wohl, doch immer wieder auf seine Berge, in seine Täler zurück. Viele Hunderte ziehen fast den größten Teil des Jahres in die Fremde, „aber zum Winter kehren sie heim (manchmal erst nach mehreren Jahren), wie die Strichvögel und verzehren, umnebelt von Dünsten des vaterländischen Bodens, von Hütten- und Hochöfendampf, und oft in ganz verschneiter Heimat, den sauer erworbenen Verdienst mit Weib und Kind. Selbst die gebildeten Stände haben für ihr Gebirge, das doch in der Tat nicht immer einladend ist, eine besondere Anhänglichkeit.”

Auch das um Nebenverdienst erhöhte Einkommen des Bergmanns und überhaupt des armen Gebirgsbewohners genügte in der Regel nicht, die Kosten seines Familienhaushaltes zu bestreiten; Kinder und Frauen mußten daher mitverdienen. Sie beteiligten sich am Broterwerb fast allgemein durch Spitzenklöppeln, das ja in Annaberg seinen Ursprung hat und von Anfang an im Dienste der Aufgabe stand, Nahrungslosigkeit, die der Rückgang des Bergbaues mit sich brachte, zu bekämpfen. Genähte und gestickte Spitzen, bemerkt Engelhardt, fertigte man im Auslande, vor allem in Brüssel, von jeher. „Allein die geknüppelten oder geklöppelten Spitzen (dentelles an fuseau) sind zuverlässig vaterländische Erfindung, wozu die gestickten, besonders durch das häufige Auswandern der Niederländer in der Mitte des 16. Jahrhunderts höchstens nur die nähere Veranlassung gaben.” Barbara Uttmann, die das Spitzenklöppeln zuerst in Annaberg lehrte, „verdiente in Annaberg ein Denkmal (das man ihr ja später auch errichtet hat) und ihr Klöppelsack – wenn er noch da wäre – wenigstens eine silberne Kapsel.” Denn sie gab „dem ganzen Erzgebirge einen sonst, wie es schien, fast unerschöpflichen, jetzt durch mancherlei Umstände sehr verringerten Segen, der aber doch, nach dem Urteil Sachverständiger, fast über alle erzgebirgischen Industriezweige sich erhoben hat.” Selbst der Bergbau habe im Obererzgebirge kaum noch die hohe wirtschaftliche Bedeutung wie das Spitzenklöppeln. Selle auch sein gesamtes Ausbringen im meißnischen und erzgebirgischen Kreise noch einen Wert von 1 200 000 Talern jährlich dar, während sich der Ertrag des Spitzenklöppelns nur auf etwa 500 000 Taler jährlich belaufe, so müsse man doch bedenken, daß der weitaus größte Teil der Bergprodukte aus den Gruben Freibergs stamme, den Gewinn aus der Arbeit des Spitzenklöppelns aber schon ein Teil des erzgebirgischen Kreises seiner Bevölkerung zuführe. Dabei dürfe man nicht vergessen, daß der Bergbau ungeheure Kosten erfordere und sehr unsicher sei.

(Fortsetzung folgt.)