Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 10, 4. März 1934, S. 1
Von Dr. Ernst Gehmlich, Zwickau.
(8. Fortsetzung.)
Da jedoch, wie das Sprichwort sagt: „auch ein Brunn ausgeschöpft wird”, so verarmten immer mehrere, und die Anzahl solcher wurde immer größer, die Unterstützung suchten. Das kam nun vorzüglich mit daher, weil niemand hier geklöppelte Spitzen kaufen wollte.”
Am Beginn solcher Notzeit, die noch lange anhielt, stand man also, als Engelhardt seine Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse Annabergs gab. Neben der Spitzenweberei, von deren Lage er ausgeht, erwähnt er als verwandten wichtigen Erwerbszweig der Stadt die Bandmanufaktur, die hier gegen Ende des 16. Jahrhunderts von ausgewanderten Niederländern gegründet worden sei. Sie „beschäftigt jetzt gegen 400 Meister, 200 Gesellen und 300 Lehrlinge. Gegen 800 arbeiten auf Bandstühlen, die übrigen fertigen Räupchen, seidne und zwirnene Fransen, gewirkte Spitzen und andre Posamentierarbeiten. – Nächst den genannten sind Ackerbau, Brauerei, Bergbau, Handel nach Böhmen und einige Jahrmärkte die bedeutendsten Nahrungszweige. Auch gibt es hier eine Buchhandlung und eine Buchdruckerei. Viele Arme fertigen (wie in Schneeberg) Kleisterpuppen, welche auf in- und ausländischen Märkten vertrieben werden. Der Annenmarkt, welcher allemal am St. Annentage beginnt, dauert 8 Tage, hat Meßfreiheit und wird auch als Messe ein- und ausgelauten. Die hiesigen Kaufleute sind zünftig und es darf keiner mit Würz- oder Schnittwaren handeln, wenn er nicht die Lehrjahre bestanden hat und zur Kramerinnung gehört.”
Etwas genauere Nachrichten fügt er über den Bergbau bei. Im Bergamtsreviere Annaberg „fahren 380 Mann an, nämlich 44 Steiger, 274 Häuer, 51 Knechte, 11 Jungen. Die Hauptbergprodukte sind Silber, Kobalt (1801 gegen 1600 Ztr.) und etwas Kupferkies. 1801 gewann man für 27000 Taler Bergprodukte.” „Die reichsten Gänge sind noch im Schreckenberge, und die beste Grube ist Markus Röling.” Von der Bedeutung des Bergbaus für Annaberg zeuge auch der Umstand, daß es die einzige Stadt sei, die eine eigene Bergkirche mit einem Bergprediger habe.
Damit kommt Engelhardt auf das Kirchen- und Schulwesen Annabergs zu sprechen. „Am Trinitatisfeste wird allemal auf dem Kirchhofe von einer, außen an der Kirche befestigten Kanzel und bei schlechtem Wetter in der Hospitalkirche die Kirchweihpredigt gehalten, zu welcher immer viel Menschen wallfahrten. Der Kirchhof enthält außer mehrern, selbst von Künstlern geschätzten, alten Monumenten, eine merkwürdige umgestürzte Linde, deren Wurzeln nach oben zu, gleich Aesten gekehrt sind und eine Art von Nische bilden. Vor einem großen steinernen Kruzifix ist die im Oktober 1519 aus Rom hierher geschaffte und durch den Bischof ausgestreute und geweihte Erde noch umzäunt (ein Ueberrest des Katholizismus), in welcher nur gegen 10 Taler ein Begräbnis verstattet wird.” Nur wenig Worte widmet er der „großen und schönen Hauptkirche”; sie habe einen Marmoraltar, steinerne Emporkirchen, zum Teil mit Musivarbeit verziert, mehrere schöne Denkmäler und einige Gemälde von Lucas Cranach. Auch die Lateinschule kommt kurz weg: „Das Gymnasium, für welches 1795 ein kostbares Gebäude, meist durch freiwillige Beiträge von Einwohnern und Auswärtigen angelegt wurde, soll zum Teil in eine Bürgerschule verwandelt werden.” – Im Zusammenhange mit dem Bildungswesen gedenkt Engelhardt sozialer Einrichtungen der Stadt. seit 1772 habe Annaberg ein gut eingerichtetes Waisenhaus. In Erinnerung an das entsetzliche Elend der Jahre 1771 und 1772, wo Hunger und Krankheit Tausende wegrafften, hätte sich, um ähnlicher furchtbarer Not vorzubeugen, eine Gesellschaft gebildet und zu diesem Zwecke ein Mehlmagazin angelegt, „wozu jeder Bürger, so lange die Preise niedrig standen, Geldbeiträge geben, und dafür, wenn Teuerung eintrat, wöchentlich eine bestimmte Zahl Brote für billigern Preis erhalten konnte. Doch ist dies Magazin jetzt ganz verzehrt, weil seit mehrern Jahren an wohlfeiles Korn leider! nicht zu denken ist.” Im ehemaligen Franziskanerkloster lasse jetzt der Kurfürst ein großes Magazin für die Bergleute anlegen. „Gegen das Bettelwesen hat man die besten Anstalten getroffen. Eine Bürgerwache unter den Toren verwehrt Vagabunden den Eingang, begleitet Handwerksburschen auf die Herberge zum Geschenk und führt sie, wenn sie nicht Arbeit bekommen, wieder zur Stadt hinaus. Auch geben die Bürger, zur Steuerung des Bettelwesens, wöchentlich Beiträge.”
Seit mehreren Jahren habe man um die Stadt Alleen von Linden, Kastanien und Pappeln angelegt. „Der vor dem böhmischen Tore befindliche große Teich dient zum Wasservorrat bei Feuersgefahr, hält aber auch Fische, besonders gute Karpfen.” Trinkwasser bekomme man teils vom Pöhlberg, teils von näher liegenden Quellen; man leite es in hölzernen Röhren in die Stadt und verteile es in mehr als 300 Armen. Seinen Holzbedarf decke Annaberg großenteils durch den Floßgraben, „der von der böhmischen Grenze über Bärenstein 3 Stunden weit fortgeführt ist und sein Wasser aus der Pöhl- oder Grenzbach erhält, die zwischen Bärenstein und Weipert Böhmen und Sachsen trennt. Der Ausguß des Floßgrabens ist dicht am Pöhlberge.” Man flöße darauf (meist aus den Annaberger Kommunalwäldern) jährlich gegen 1200 Klaftern.
Wir lassen nun noch einige Bilder aus Annabergs Umgebung, wie sie Engelhardt zeichent, an unserem Auge vorüberziehen. Zunächst folgen wir ihm auf den Pöhlberg, „auf dessen sanfterem Abhang die Stadt selbst liegt. Der Fuß des Berges hat wenigstens 2 Stunden im Umfang, die höchste Fläche aber (gegen 3000 Fuß über Wittenberg) von Mitternacht nach Mittag 800 Fuß im Durchmesser. Die sanftern Abhänge sind mit Feldern, Wiesen, Dörfern und einer Stadt (Annaberg) bedeckt. Die schnell ansteigende Kuppe ist ganz kahl und besteht nur aus Felsentrümmern und Moorland (?); auf mehreren Seiten sieht man Spuren großer Naturrevolutionen, und, wenn Basalt vulkanisches Produkt ist, so machte der Pöhlberg mit dem Scheibenberg und Bärenstein in Zeiten, wo es noch keine Geschichte gab, gewiß einen Triangel, dessen Winkel durch Feuer und Flammen bezeichnet wurden. Denn gleich jenen enthält der Pöhlberg auf der Nordseite zu Tage ausgehende Basaltsäulen von 20 bis 30 Fuß Höhe und 5 bis 6 Fuß Durchmesser. Doch sind sie bei weitem nicht so schön an Korn und Farbe, als die Stolpner.” Der früher am Pöhlberge betriebene Erzbergbau sei längst erloschen; eine vor 5 bis 6 Jahren wieder aufgenommene Gewerkenzeche, die Bricciusgrube, gebe noch keine Ausbeute. „Von dem Jungfernbrunnen, einem Quell oder wohl nur von Felsentrümmern gebildetem Regenwasserbehälter, erzählt der Aberglaube gar schauerliche Dinge.”
Die weitere Umgebung Annabergs betrachtet Engelhardt unter dem Leitgedanken, daß – wie schon erwähnt – die Industrie im Mittelpunkte jeder Erdbeschreibung stehen müsse. Er schickt einige Bemerkungen über die Natur des Landes voraus. „Die Gegend über Eibenstock, Johanngeorgenstadt, Wiesenthal, Jöhstadt usw., bis nach Böhmen auf der einen und bis ins Vogtland auf der andern Seite, nennt man gewöhnlich das Sächsische Sibirien, ein Name, der freilich paßt, wenn man jene Gegenden mit meißnischen oder thüringischen vergleicht. 9) Denn man erblickt dort, außer etwas kärglichem Ackerbau, fast nichts als Wald und Wüstung.” Den „Bewohner dieses sächsischen Nordpols kümmere es freilich wenig, daß der Winter mit gewaltigen Schneemassen oft schon früh einfalle und erst spät im Frühjahr weiche. Er bahne sich geduldig mit der Schaufel den Weg aus dem verschneiten Hause. Auch versteht er sich auf den Gebrauch der Fußbretter, und gleitet damit ebenso künstlich als schnell über den tiefsten Schnee. Oede und einfach sind also diese Gegenden, besonders im Winter, im höchsten Grad und doch auch voll Leben und Lärm. Denn es liegen hier gegen 10 10) Eisenhämmer mit Hochöfen, wo es Tag und Nacht brennt. Das ewige Getöse der Hämmer, das fürchterliche Keuchen und Heulen der Blasebälge, das Lärmen der Pochwerke, die Wolken- oder Dampfsäulen aus den Hütten, die Feuersäulen aus den Hochöfen – dies alles gibt, besonders im Finstern, eine schauerliche Lebhaftigkeit, die an Interesse gewinnt, wenn man des tausendfachen Nutzens, der namenlosen Bequemlichkeiten und Bedürfnisse sich erinnert, welche in diesem vaterländischen Reiche des Vulkans gegossen, geschmiedet und gehämmert werden! Auch der Luxus hat seine Fundgruben, denn viele unsrer Edelsteine sind hier einheimisch.”
Die meisten Hammerwerke des erzgebirgischen Kreises liegen im Schwarzenberger Amte, aber auch bei Annaberg finden sich solche, so einige bei Unterwiesenthal und am Pöhlbach, einer bei Schmalzgrube, der im Jahre 1800 beinahe für 10 000 Taler Eisenwaren, einer in Mittelschmiedeberg, der in demselben Jahre fast für 12 000 Taler Stabeisen verfertigte.
Was Engelhardt von der Einrichtung und dem Verfahren der Eisenhämmer erzählt, wird allen Nichtfachleuten gleichgültig sein, nicht aber, was er über die Art und das Schicksal ihrer Arbeiter berichtet. „In alten Zeiten”, sagt er, „möchten die Hammerschmiede ein ziemlich lustiges und wildes Völkchen sein, denn sie heißen in Privilegien des 16. Jahrhunderts das unbändige Hammervolk”. Nach Kosegarten verdienten sie freilich diesen Namen auch um 1800 noch. Ihre Arbeit ist außerordentlich schwer. „Das Aufgeben der Kohlen und Steine in die Flammenmündung des Hochofens, das beständige Anschüren der Kohlen, das Teilen, das Halten, das Hin- und Herschleppen großer Eisenstücke, das Umrühren der stinkenden Zinnbeize in einem mit Kohlen geheizten Gewölbe, wo jeder, außer dem Verzinner, es kaum zwei Sekunden aushalten kann – diese und andere dergleichen Arbeiten gehören gewiß nichts weniger als zu den leichten und gesunden. Und doch sind die Leute, welche sie täglich verrichten, meist kerngesund, ja sie kränkeln immer erst, wenn sie viel Ruhe haben und erreichen nicht selten ein hohes Alter. Ein Beweis, was Gewohnheit von Jugend auf den Körper vermag. – Denn flugs im 9. Jahre schon arbeiten sie in der Hammerhütte und beim Hochofen. Aber freilich kann der Hammerarbeiter auch von Brot und Wasser nicht leben, wenn er Kräfte behalten soll. Deshalb wird er gewöhnlich besser, als andere Hüttenleute, bezahlt. Uebrigens trägt auch häufiges Waschen und Baden, besonders in dem Wasser, wo die Eisenschlacken abgekühlt worden sind, nicht wenig zur Gesundheit des Hammerarbeiters bei. Denn alle Sonnabende, im Sommer oft auch während der Arbeit, wenn er halbwege dazu kommen kann, springt er ins Schlackenbad, welches ihm wenig Zeit und Mühe kostet, da er den ganzen Tag im bloßen Hemde herumläuft und nichts als ein Schurzfell trägt. Im Winter geht er in der größten Kälte flugs barfuß nach Hause. Der Kohlenstaub, den man in der Regel für schädlich hält, soll dem Hammerarbeiter sogar nützlich sein.
Die gewöhnlichen Uebel, welche ihm im Alter treffen, sind Blödsichtigkeit und Taubheit. Die erstere ist wahrscheinlich Folge der Hitze, die letztere erzeugt das ewige Getöse der Hämmer. Wenn der Hammerschmied nicht mehr arbeiten kann, wandert er bittend von einem Hammerwerk zum andern und stirbt auf diese Art selten in seiner Heimat. Daher das Sprichwort: Kein Hammerschmied stirbt, sondern er kommt von der Welt, man weiß nicht wie? Jetzt geht man damit um, eine Kasse zu errichten, aus welcher arbeitsunfähige Hammerarbeiter unterstützt werden sollen.”
9) Gelegentlich bemerkt er, daß diese Bezeichnung eine Übertreibung enthalte.
10) Hier scheint ein Druckfehler vorzuliegen; an anderer Stelle spricht E. von 40 Eisenhämmern, was jedenfalls der Wirklichkeit entspricht.