Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt Nr. 43, 134. Jahrgang, 03.11.1940, S. 1.
(2. Fortsetzung.)
Gegenüber einer prächtigen Lutherlinde lehnen an der Kirchenmauer Epitaphe, die das Wetter arg zernagte. Einer von ihnen zeigt neben einem schwebenden Engel in guter Plastik ein aufgeschlagenes Buch, Posaunen, Baßgeigen und Waldhorn, aber die gewiß interessante lange Beschriftung ist leider völlig unleserlich.
Ich möchte einmal bei einer Arbeitsstunde im Werkraum des Thumer Schnitz- und Krippenvereins anwesend sein. Ich wette, da gehts bei schönem Schaffen urgemütlich zu. Ging ich schon bis hierher nur durch Thumer Stille, so ändert die Streife über den Kirchsteig daran nichts. Eine umfängliche Gärtnerei läßt mir über ihre Zäune den Blick in ihren gepflegten Zauber zu …
Nun warte ich neben dem neu vorgerichteten Marktplatz des KVG-Busses, der mich wieder zurückbringen wird. Während der Fahrt blättre ich in der Thumer Stadtgeschichte. Das mehrt meine „Entdeckungen” um reiches Wissen über die Bergbausiedlung. Etwa um 1300 ist sie gegründet worden. Ihr „Lebenslauf” ist lesenswert und ereignisreich. Durch Not ging sie und durch bessere Zeiten. Pest und Kriegsstürme rissen Lücken in die gesunde und fleißige Bevölkerung. Des Dreißigjährigen Krieges letztes Gefecht flackerte über Thumer Stadtflur … . Auch der Siebenjährige Krieg brachte ihr viel Elend. Im Hungerjahr 1772 aßen die Thumer sogar Kartoffelschalen und Gras. Immer aber haben sie auf emsige Betätigung gesonnen. Als der Bergsegen versagte, wandten sie sich der Herstellung von Posamenten zu und aus diesem vielseitigen und schönen Gewerbe entwickelte sich dann die Strumpffabrikation, die noch heute wesentliches Thumer Industriemerkmal ist. Neben all dem, was ich von Thum nun weiß, ist mirs besonders wert, auch seine stillen Gassen und abgelegenen Winkel zu kennen. Aus dieser Kenntnis heraus verstehe ich Pfarrer Schluttig-Thum am besten, wenn er sagt: „Saht, do liegt su schmuck un sauber ’s Städtel im dr Kerch herum — Bannt mei Harz mit stillem Zauber: ’s mei Heimat, ja, mei Thum!”
Neudorf hieß einstmals „Kraftsdorf”
Wie eine Reihe lebhafter schmucker Siedlungen, die sich gegenseitig die Hände reichen, ziehen nacheinander Sehma, Cranzahl und Neudorf im munteren Sehmatal entlang. Hier heißt man den Fluß wie früher noch oft: die Sehme …
Das langgestreckte Neudorf habe ich in allen Jahreszeiten gern besucht, habe mich in seiner Heimeligkeit recht wohlgefühlt und wäre manchmal länger in ihm geblieben. Die Nähe des Fichtelbergs wirkt landschaftlich beherrschend und nahe rückt der ausgedehnte Staatswald mit seinen grünen Rändern an das Dorf heran.
Wenn man ein Gebirgsdorf wie dieses so Haus um Haus kennt, sich in manches traute Fachwerk fast verliebt hat, die Kleinigkeiten im Dorfbild beachtete und etliche der gemütlichen Dörfler kennt, so liest man mit umsomehr Anteilnahme das, was der Chronist von dieser Siedlung berichtet. Auch er lobt das behäbige einladende Erbgericht. Es ist so recht … Dorfgasthof. Der Chronist verweist auf Kulturen und Pflanzgärten, die ein Oberförster zu Neudorf schon vor hundert Jahren beispielhaft anlegte und hegte. Dabei stellt er überraschend fest, daß trotz des rauhen Klimas große Mengen Laubhölzer mit viel Liebe herangezogen würden. Er verrät noch andere frühere Bezeichnungen Neudorfs: Kraftsdorf und Kraftloßdorf. In älterer Zeit nannte man es Kraksdorf.