Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 129. Jahrgang, Nr. 53, 29. Dezember 1935, S. 6
Von Karl Waldemar.
Die Silvesterfeiern in der Welt sind so bunt und verschieden wie die Völker selbst. Schon der Zeitpunkt der Silvesterfeiern stimmt nicht überein. Trotzdem geht durch alle Neujahrsbräuche ein einheitlicher Zug, der Humor überwiegt den Ernst. Und auch die ernsteste Besinnung endet schließlich in Fröhlichkeit. Das war in jahrhundertealter Vergangenheit schon so und wird auch in Zukunft bleiben. In Oesterreich ragt das Weihnachtsfest noch zu sehr in das neue Jahr hinein, um der Silvester-Ausgelassenheit Platz zu machen! Der „Nikolo“ verdrängt sie. Er zaubert wochenlang bei rotem Lichtschein Teufelsfratzen in die Fenster, die auf Ansichtskarten grinsend mit den Priestern um die gläubigen Seelen ringen. Kinder gehen mit bunten Laternen vor’m Gesicht von Haus zu Haus und geben sich – die Rute in der Hand – „schlagfertig” für den „Krampus“ aus. Erwachsene bleiben furchtsam hübsch zu Hause, mit eingeladenen Freunden bei Strauß-Musik im Rundfunk – natürlich der des Walzerkönigs – bei altem Heurigen um Mitternacht das neue Jahr zu feiern. In England werden kurz vor Jahresschluß die Kirchenglocken mit zerrissenen Säcken und Lumpen umwickelt, um das alte Jahr so disharmonisch in’s Grab zu läuten. Im letzten Augenblick entfernt man die Umhüllung, dann wird in reinen vollen Tönen das neue Jahr „als festlich hoher Gruß dem Morgen zugebracht!” Glänzender „Soupers bei Militär-Konzert” finden während dieser Zeit in reich geschmückten Sälen statt. Punkt zwölf erheben sich die Gäste und bringen ihren Glückwunsch aus. Dann reichen sie die Hände über Kreuz und singen fröhliche Neujahrslieder. Aus Knallbonbons von riesiger Größe steigt Fortuna und ziert die Tische. Aber nicht sehr lange, denn Neujahr ist hier ja kein Feiertag.
Schottland feiert Weihnachten erst am Neujahrstag, wo sich die Freude doppelt auswächst, aber immer nur im Familienkreise!
Frankreich legt dem Silvester-Abend wenig Bedeutung bei, denn wie in England ist hier Neujahr Arbeitstag. Nur die Künstler lassen es sich nicht nehmen, den Übergang in Sälen von Montmartre laut, vereint zu feiern. Geistreicher Witz steht dann in vollster Blüte.
Italien legt das Hauptgewicht aufs Essen. Ein lukullisches Silvestermahl darf nirgends fehlen. Wohl wird auch hier und da noch in den Straßen und Kanälen Polterabend gefeiert, das heißt im Übermut Porzellan zerschlagen, um die Stimmung zu erhöhen, aber das sind Überbleibsel aus der alten Zeit, die immer mehr verschwinden. Der Neujahrs-Morgen sieht die Menschen in den Kirchen.
Schweden feiert Neujahr auf dem Lande. Alles fährt mit Ski und Rodelschlitten schon am Tag vorher in die Umgebung. Dort setzt man sich in den Bergen fest, das neue Jahr beim Wintersport zu feiern. Daß gutes Essen und ein steifer Rotweinpunsch dabei nicht fehlen darf, betrachten die Schweden nur als selbstverständlich. Scheint der Mond, dann geht’s mit Schneeballschlacht ins neue Jahr!
Dänemark liebt es, Silvester so wie wir zu feiern. Nur mit dem Unterschied, daß der Däne statt Karpfen Wagenladungen voll Hummern hinunterschlingt, anstelle von Weiß- oder Rotwein aber seinen Aquavit vorzieht. Macht die oder der Gewohnheit! Sobald die Glocke aber Mitternacht anzeigt, trinkt er der Hoffnung mit französischem Champagner zu! Dann werden die Fenster weit geöffnet, aus ihnen wie in allen Straßen Feuerwerke losgelassen, als gälte es, dem beliebten Tivoli Konkurrenz zu machen! Ohne mehrere Dutzend Raketen, Schwärmer, Frösche und Kanonenschläge in den Taschen wagt sich diesen Abend niemand in Gesellschaft. Sind sie abgebrannt, setzt überall ein lustiges, buntes Treiben ein und der Übermut regiert die Stunde – tout comme chez nous!
Auch in Spanien liebt man zu Silvester den Lärm. Je toller, um so besser! Alles was nicht niet- und nagelfest ist, wird da aus den Küchen geholt und ohrenbetäubende Umzüge durch die Straßen werden damit veranstaltet. Die Honorationen sitzen unter Palmen und begleiten diese Blechmusik mit Löffeln in den Gläsern. Mit dem Glockenschlage zwölf beginnen sie 12 Weinbeeren aufzuessen – bei jedem Schlag eine – und wem es gelingt, sie so rasch zu verschlingen, wie die Uhr schlägt, der hat im neuen Jahr viel Glück!
USA ist in seiner Silvesterfeier vor allem laut. Man stelle sich den Berliner Silvesternachtlärm ins Quadrat erhoben vor – und man hat Newyork. Selbst in den Zeiten der Prohibition war die Feier niemals „trocken“. Wer in Familie feierte, hatte schon rechtzeitig ein paar Flaschen Whisky oder Kognak oder Bordeaux beiseite gebracht. Und wer es außer dem Hause tat, der wußte ganz genau, wo er die nach scharfen alkoholischen Getränken durstige Kehle ausspülen konnte. Nach Aufhebung der Prohibition ist das alles noch ein bißchen öffentlicher geworden. Außerdem bringt der Jahreswechsel in den Varietés, den Revuetheatern und den Kabaretts den amerikanischen Groteskhumor noch mehr zum Ausdruck als an gewöhnlichen Abenden. Am Neujahrstage darf keineswegs beim Fest-Diner der Truthahn fehlen. Am originellsten feiert Finnland Neujahr. Brautwerbung lautet bei den Bauern die Parole. Der Vater des Bräutigams tritt unbemerkt um Mitternacht vor’s Haus der Auserwählten. Er legt ein Honigbrot auf dessen Schwelle, klopft dann ans Fenster und ruft den Namen seines Sohnes hinein. Danach läuft er weg, so schnell er kann und wird dann von den Angehörigen der Braut verfolgt. Erhaschen sie ihn, so gilt die Werbung als mißglückt. Entkommt er aber, muß ihr stattgegeben werden. Am Neujahrsmorgen wird die Braut im feierlichen Zuge in das Haus des Bräutigams geführt, wo es ein bis zum Abend dauerndes Frühstück gibt. – Sieht man in dortiger Gegend alte Herren im Laufen trainieren, kann man darauf schwören, daß es damit zusammen hängt!