Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 32, 8. August 1926, S. 6
Von Studienrat D. Herrfurth, Stollberg i. Erzgeb.
Welch große Fülle von den verschiedensten Gefühlen und Gedanken vermag doch dies eine Wort „Pilze!” in den Menschen auslösen! Der eine gedenkt mit ängstlicher Scheu der winzigen (mikroskopischen) verschiedenartigen Krankheitserreger bei Menschen, Tieren und Pflanzen, der Spaltpilze (Schizomyceten), der Fadenpilze (Phykomyceten), sowie der Brandpilze (Ustilagineen) und der Rostpilze (Uredineen). Der andere wieder erinnert sich ihrer als Helfer im Haushalte der Natur zur Bewirkung von Umwandlungen und Zersetzungen, der Fäulniserreger wie auch der Sproß- und Hefepilze (Saccharomyceten), oder derer, die Beihilfe leisten bei der Ernährung anderer Pflanzen (Symbiose). Wohl die meisten Menschen aber gedenken dabei sicher nur der größeren (makroskopischen) Pilzgruppen, der Ständer- oder Basidienpilze (Basydiomyceten), und der Schlauchpilze (Ascomyceten). Aber die einen erinnern sich dieser Pilze auch nur mit Scheu und Furcht als der Ureheber so vieler und schwerer Vergiftungen, denn als Schreckgespenst stehen vor ihren Augen die jedes Jahr sich wiederholenden vielen Zeitungsberichte von schlimmen Folgen des Pilzgenusses. Niemand vermag sie zu bewegen, die lieblichen Pilzgerichte auch nur zu kosten. Es kostet sie unter Umständen schon eine große Überwindung, wenn sie sich an ein Gericht von Steinpilzen oder von Pfifferlingen (Eierschwämmchen) heranwagen sollen. Anderen Menschen wieder, und deren Zahl ist durch die Not der verflossenen Kriegsjahre eine sehr große geworden, erweckt das Wort „Pilze!” sehnsuchtvolles Verlangen nach einem Pilzgerichte, und sie jauchzen hell auf beim Erblicken eines eßbaren Pilzes im Walde, in der richtigen Erkenntnis des beträchtlichen Nährwertes der Pilze und des pikanten Geschmackes eines gut zubereiteten Pilzgerichtes. Die warnenden Zeitungsnotizen verfehlen bei ihnen ihre Wirkung. Ja, viele unter ihnen verlassen sich auf ihre wirkliche oder auch nur vermeintliche sichere Kenntnis der eßbaren und giftigen Pilze oder trauen vielleicht allzu sorglos der Sachkenntnis der Pilzverkäufer.
Und was sagt die Erfahrung zu diesen verschiedenen Beurteilungen?
Der Allzuängstliche läßt sich in seiner Unkenntnis und Verblendung ein so billiges, wohlschmeckendes und gesundes Volksnahrungsmittel und die Freuden und gesundheitlichen Vorteile des Pilzsammelns entgehen. Die anderen aber, auf einseitige Pilzkenntnis vertrauend, tragen jahrelang oft minderwertige Sorten mit ein, während sie wohlschmeckendere, zumeist in großen Menge zu findende Pilze als schädliche ansehen, sie stehen lassen oder gar lieblos mit dem Fuße umstoßen und anderen sachkundigen Sammlern die Freude verderben. In vielen Fällen führt gerade die angewendete Vorsicht, die sich nur mit dem Sammeln weniger Sorten begnügt, um Pilzvergiftungen zu entgehen, zu solchen Schädigungen. Die vermeintliche Erkennbarkeit und Untrüglichkeit der von solchen Pilzfreunden gesuchten Arten läßt ihnen, wie ich schon oft wieder beobachtete, gefährliche Doppelgänger (z. B. Gallenröhrling – ly opilus jelleus Bull, anstatt Steinpilz – Bolelus edulis Bull.) mit unterschlüpfen, die sie nicht kennen oder nicht genügend zu unterscheiden wissen. In allen Gegenden und in allen Kreisen der Bevölkerung tritt trotz vielfacher Belehrungen und guter Pilzbildwerke immer noch eine große Verwirrung zutage, die hinsichtlich der Kenntnis und Verwertung eßbarer und giftiger oder schädlicher Pilze vorherrscht. Ein baldiger Wandel ist dringendes Bedürfnis.
Der Mittel gibt es da wohl viele, aber unstreitig sind zweckmäßig eingerichtete, größere und kleinere, sich regelmäßig wiederholende Pilzausstellungen mit steten Führungen und vielen praktischen Vorträgen die erfolgreichste Art zu rechter Verbreitung von Pilzkenntnis und Pilzverständnis im Volke. Den Schulen, Volksschulen wie höheren Schulen, erwächst aber für die Verbreitung guter Pilzkenntnisse eine große Aufgabe im naturkundlichen Unterricht; denn weitgehendste Verbreitung von richtiger Pilzkenntnis ist zum Wohle unseres Volkes unbedingt notwendig, einesteils, damit der unermeßliche Pilzreichtum unserer Wälder, der immer noch, besonders in weniger bevölkerten, waldreichen Gegenden, zum großen bezw. allergrößten Teile dem Verderben anheimfällt, als Volksnahrungsmittel weitgehendst ausgenutzt wird; andernteils, damit bei dieser Ausbeute die jetzt so zahlreich gemeldeten Pilzvergiftungen sich nicht vermehren, sondern möglichst ganz verschwinden. Es genügt aber nicht, daß in der Schule Pilze mitbesprochen werden an Hand guter Pilzwandtafeln und auch mitgebrachter Naturobjekte, sondern es müssen auch recht oft Pilzlehrgänge in die Fluren und Wälder unternommen werden, damit die Schüler die Pilze an ihren Standorten kennen lernen in der Reichhaltigkeit ihrer Formen und Farben und in ihren Lebensbedingungen. Die Schulen sollen die Pilze so nicht nur als nützlich für unserer Ernährung, sondern auch als notwendiges Glied im Haushalte der Natur und als Schmuck derselben kennen lernen, und bei aller Ausbeutung derselben zur Verwendung für die Menschen sie doch mit Schonung behandeln lernen. Voraussetzung für solche Pilzbelehrung ist natürlich, daß der Lehrer selbst weitgehende und ausreichende Pilzkenntnis besitzt. Meine Erfahrung in meiner langen unterrichtlichen Tätigkeit hat mir leider immer und immer wieder bestätigt, daß es hier noch sehr im argen liegt, ja daß selbst manche Naturwissenschaftler sich über Pilze recht wenig im klaren waren. Dies ist unzweifelhaft ein Verschulden der höheren Schulen, die bei ihrer Wissenschaftlichkeit leider oft die Berücksichtigung der Nöte des Lebens vergessen. In neuerer Zeit sind zwar erfreulicherweise hier Ansätze zur Besserung zu spüren, aber viel bleibt noch zu tun übrig. Manche Regierungen bezw. Ortsverwaltungen hatten in der Kriegszeit diesen Mangel erkannt und darum ein ausgebreitetes Netz von Pilzkontrollstellen und Pilzberatungsstellen eingerichtet oder deren Entstehung angeregt oder gefördert durch finanzielle Beihilfen. Leider muß es jetzt gesagt werden, daß dies vielfach nur einem Strohfeuer glich und daß man leider solche Stellen, obwohl sie meist ehrenamtlich waren, wieder eingehen ließ durch Versagung der notwendigen, verhältnismäßig geringen gewährten Mittel. Möge doch bald rechte Erkenntnis des Schadens kommen, den diese Unterlassungen zur Folge haben!
Im Volke sind vielfach Pilzregeln verbreitet, durch die man Pilze meint unterscheiden oder sich vor Pilzvergiftungen bewahren zu können. Leider waren dies meist nur irreführende Regeln; es sei nur erinnert an die ganz falschen Regeln, daß man giftige Pilze am Blauwerden erkenne oder durch Schwarzwerden der Zwiebeln oder des Silbers herausfinden könne. Selbst die im vorigen Jahre von einem Fachmann veröffentlichten neu aufgestellten Regeln enthielten neben richtigen Sätzen noch lebensgefährdende Pilzregeln, wie ich dies des näheren in der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Pilzkunde und in der Chemnitzer Allgemeinen Zeitung eingehend darlegte. Darum auch hierin größte Vorsicht! Sachkundige Kontrolle von Pressenotizen über Pilze wäre sehr am Platze!
Neben Pilzlehrgängen ist zur Erlangung richtiger Pilzkenntnis erforderlich das Studium guter Pilzliteratur mit naturgetreuen farbigen Pilzabbildungen nicht nur für den Laien, sondern, wie man es jetzt rückhaltlos anerkennt, auch zur wissenschaftlichen Kenntnis und Forschung.
Bahnbrechend und trotz so mancher neuerdings erschienener Pilzwerke bleibt unerreicht in der naturgetreuen Darstellung und der Reichhaltigkeit der dargestellten Pilze sowie an Billigkeit der Michael-Schulz’sche Führer für Pilzfreunde. Wer an der Hand dieses Pilzwerkes Pilze studiert oder sammelt, wird sich bei der erforderlichen Aufmerksamkeit kaum in der Art eines Pilzes irren.
Von den in natürlichen Farben und Größen abgebildeten Pilzen seien hier einige verkleinert in Schwarzdruck wiedergegeben, und zwar Repräsentanten der wichtigsten Gattungen der Ständer- und Schlauchpilze. Freilich ist aus diesen die Schönheit der Originale nicht zu erkennen. Wer diese im Original kennen lernen will und noch die Anschaffung der Ausgabe B in 3 Bänden scheut, der kaufe sich zunächst den kleinen Führer, Ausgabe C mit 44 Pilzbildern. Er wird seine helle Freude daran haben und bald zur Beschaffung der größeren Ausgabe B, deren Bände auch einzeln käuflich sind, sich innerlich gedrängt fühlen.
Der Wert ist in jeder Buchhandlung zu haben. Farbige Probetafeln mit Angabe sämtlicher Ausgaben (Inhalt und Preis) versendet der Verlag Förster & Borries, Zwickau i. Sa., völlig kostenfrei.