Schloß Greifenstein.

Von Adolf Siegel, Siegmar-Schönau.

Glückauf. Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. 59. Jahrgang. Juni Nr. 6/1939. S. 123 – 128.

Die Spiele auf der Freilichtbühne des Greifensteins haben in den letzten Jahren dieses Naturdenkmal des Erzgebirges weitesten Volkskreisen bekannt gemacht. Geschichtlich interessierte Besucher haben aber auf eine etwaige Frage nach dem alten Schlosse Greifenstein, das in mehreren Sagen eine Rolle spielt, sicherlich keine Antwort gefunden. Selbst die „Greifensteinritter”, die tagtäglich jahraus und jahrein den Berg besuchen, haben noch niemals etwas von ehemaliger Schloßherrlichkeit gespürt.

Die Greifensteine mit Thum im Hintergrund

Und doch erwähnen auch unsere vaterländischen Geschichtskenner ein Schloß Greifenstein. So schreibt O. E. Schmidt im 5. Bande seiner Kursächsischen Streifzüge, daß nach dem Lehnsbuch Friedrichs des Strengen Johann von Waldenburg 1349 zu Lehen hat „Wolkenstein, Greifenstein, Zeinewerck, Bergwerck, dy Schape, Scharfenstein” und daß am 23. November 1372 Karl VI. den meißnischen Markgrafen gelobt, sie nicht zu hindern an den „slozsen Luterstein, Ruwendtein, Scharfenstein, Gryfenstein, Wolkenstein”. O. E. Schmidt nimmt an, daß die Waldenburge die Burg Greifenstein im Interesse ihres Bergbaues errichtet haben und daß sie 1429 beim Hussiteneinfall zerstört worden sei. Dazu sei gesagt, daß die Hussiten wohl garnicht im Greifensteingebiet gewesen sind.

Seit Jahrzehnten habe ich mich immer wieder gefragt: Wo hat das Schloß Greifenstein gestanden? Auf den Felsen? Unmöglich! Zwischen den Felsen oder auf einer Seite derselben? Auch nicht! Denn dann würden Steinbrecher oder die Arbeiter der Haus- und umfangreicher Wege- und Platzbauten doch einmal auf irgendwelche Mauerreste gestoßen sein. Wohin sollten vor allem die Materialien der zerstörten Burg gekommen sein? Nun berichtet zwar Pfarrer Christian Lehmann in seinem „Historischen Schauplatz derer natürlichen Merkwürdigkeiten in dem Meißnischen Obererzgebirge”:

„Es hat das Ansehen, daß vor alten Zeiten der Platz zwischen zwei hohen Felsen sey mit Mauern eingeschlossen gewesen, wie man denn die rudera des alten Gemäuers sehen kann, auch bisweilen dicke Schörbel von Töpfen, Nägel, Eisenwerk, Pfitzschpfeile, Todtengebein, Schweinszähne, alte unbekannte Schlüssel, Gräten von Stockfisch findet.”

Wahrscheinlich ist, daß die vielen Bergleute rund um den Greifenstein im 15. und 16. Jahrhundert bei den Felsen eine Schutzhütte oder auch eine Schmiede zur Instandhaltung ihrer Werkzeuge errichtet hatten. Nach Erlöschen des Bergbaues ist alles verfallen und in Vergessenheit geraten. Die Bedeutung, Entstehen und Vergehen der Burg bleibt ein Rätsel, dessen Lösung man nicht findet, wenn man die Felsgebilde und das Schloß als räumliche Einheit faßt. Darum zunächst ein Wort über den Namen Greifenstein!

Wenn es in dem Artikel „Ehrenfriedersdorf” im Oktoberheft des „Glückauf” 1938 heißt: „Der Name Greifenstein erfährt seine Deutung als die auf dem Felsen (Stein) von Grifo erbaute Burg”, so will das nicht viel sagen. Denn außer einem Greifenstein im Schweizer Kanton Graubünden und einem solchen bei Bozen, gibt es neben dem erzgebirgischen im deutschen Vaterlande noch weitere sechs Greifensteine, für die alle die obige Namensdeutung gelten könnte: Bei Blankenburg-Rudolstadt, in der fränkischen Schweiz, bei Eschwege, bei Bonnland westlich von Schweinfurt, bei Greiffenberg in Schlesien und bei Wetzlar. Ich kenne sie alle, den bei Wetzlar im Westerwalde erst seit kurzem. Aber gerade hier sind mir die Augen aufgegangen über den heimischen Greifenstein, zumal ich noch in einem dort vorgefundenen Buche „Greifensteiner Chronik” von F. H. Himmelreich (Wetzlar 1903) mancherlei Fingerzeige gefunden habe. Nach dieser Chronik reichen die Urkunden für die dortige Gegend bis ins achte Jahrhundert zurück. Die rauflustigen Greifensteiner saßen auf ihrer festen Burg schon um Elfhundert. Als ein hartes Herrengeschlecht geboten sie über das ganze Dilltal und die weite Umgegend von Weilburg an der Lahn. Die Freibauern wurden wegen der kostspieligen Kriegsdienste für diese Herren lieber hörig und wanderten aus. Die Burg wurde 1298 einmal zerstört, aber 1322 wieder aufgebaut. Sie ging nach dem Aussterben der Greifensteiner in den Besitz der Grafen Solms über. Als dem Grafen Wilhelm II. die Herrschaft Braunfels zugefallen war, hörte der Greifenstein 1694 als Residenz auf. Nachdem später auch noch die gräfliche Fortsverwaltung verlegt worden war, wurde das Schloß wüste, und seine Mauern zerfielen mehr und mehr. Aber noch immer stehen neben dem Dörfchen Greifenstein auf felsiger Anhöhe nicht unbedeutende Teile der ehemals stolzen Feste: zwei gewaltige Bergfriede, die unterm Dache durch einen Wehrgang verbunden sind, das Amtshaus (jetzt Pfarrhaus), mehrere bewohnte kleine Häuschen und die Schloßkirche, die der reformierten Dorfgemeinde dient. Ihr Inneres ist sehenswert, weil es vor Umzug der Grafen nach Braunfels von italienischen Künstlern in mehrjähriger Arbeit reich geschmückt worden war. Der Kirchturm fehlt; wegen Baufälligkeit hat ihn das Presbyterium abtragen und die Glocken in einem der Wehrtürme aufhängen lassen.

Auf dem Burgplatze hat man einen wunderbaren Rundblick, der dem auf dem erzgebirgischen Greifenstein gleich ist: Nach allen Seiten dehnen sich Wälder, reiht sich Hügel an Hügel, Bergrücken an Bergrücken, und in den Talmulden breiten sich zahllose Ortschaften, von Feldern eingerahmt. Und das Überraschendste: viereinhalb Kilometer in nordwestlicher Richtung liegt hinter Wald gebettet, nicht sichtbar, ein Dörfchen Guntersdorf und im Süden dehnt sich der Greifentaler Wald. Gibt es nun nicht auch viereinhalb Kilometer in nordwestlicher Richtung vom erzgebirgischen Greifenstein, versteckt hinter dem Walde, ins Zwönitztal gehörig, ein Dorf gleichen Namens: Günsdorf, das ist Guntersdorf? Das kann nicht Zufall sein! Wenn schon um 1200 Rheinfranken gerade im Tale der Zwönitz gesiedelt haben, dann ist der Schluß berechtigt, daß Günsdorf von Gunterdorfer Bauern des Westerwaldes gegründet worden ist und daß diese Siedler in Erinnerung der zackigen Burg Greifenstein auf Bergeshöhe in der alten Heimat den zackigen Bergfelsen der neuen Heimat den Namen Greifenstein gegeben haben.

Noch zweier Kleinigkeiten muß ich dabei Erwähnung tun. Es klang so anheimelnd, daß ich meinen Ohren fast nicht trauen mochte, als eine Greifensteiner Bäuerin ein Wässerchen „de Ulbooch” nannte, also die Booch wie daheim im Erzgebirge. Und wenn Günsdorfer Bewohner manchmal jemanden seines Wesens wegen „altfränkisch” nennen, so scheint es in dunkler Ahnung des fernen Ursprungs zu geschehen.

Wie steht es nun aber um das Schloß Greifenstein? Benannt ist es in Anlehnung an die Schloßnamen Scharfenstein, Lauterstein, Rauenstein, Wolkenstein. Es stand aber nicht bei den Felsen, die bei seiner Erbauung bereits Greifenstein hießen.

Ehrenfriedersdorf, Geyer und Thum nennen sich gern die Greifensteinstädte. Sie liegen alle drei gleichweit vom Greifensteine entfernt. Ein Blick vom Aussichtsfelsen lehrt jedoch, daß Thum der Greifensteinort im engsten Sinne des Wortes ist; der größte Teil des Städtchens liegt sichtbar am Fuße des Berges ausgebreitet. Von Ehrenfriedersdorf ist gar nichts zu sehen, von Geyer zeigen sich nur wenige abgelegene Häuser. Auch in der Frühzeit dieser Orte, als der Wald tief in die Täler reichte, konnte nur von Thum aus der Greifenstein gesehen werden, besonders gut, greifbar nahe, vom Schlosserberge aus — Luftlinie 2700 Meter. Nun steht fest, daß Thum oder „der Thumb” seit ältester Zeit Besitz der Waldenburge, eine Herrschaft war. Thumb war zunächst die spöttische aber treffende Bezeichnung aus dem Munde zugewanderter Bergleute für den alten Dorfteich der Sorben, die bis hierher an der Wiltzsch aufwärts in die Waldwildnis eingedrungen waren, wurde dann aber der Name für den Ort. Noch heute ist das Wort Thumb = Tümpel hier ortsgebräuchlich, vornehmlich in den Zusammensetzungen Kalktump, Jauchentump. Die Schreibweise „Thumb” für das Städtchen ist ja auch bis nach 1700 üblich gewesen. Der Thumb, der Teich, wurde erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts zugeschüttet. Etwa 50 Meter nördlich von diesem Teiche lief der Sorbenpfad von Wiltzsch = Gelenau in gerader Linie nach dem sorbischen Weiler Gyr = Geyer. Dieser Weg besteht noch: von Wiltzsch am Gelenauer Lehngericht, einem ehemals sorbischen Edelsitze (Dr. Fritzsche, Aus Gelenaus Vergangenheit) vorbei bis an Thum heran als Hahnweg, ist dann zweimal kurz unterbrochen dadurch, daß die ursprüngliche Dorfanlage in eine städtische mit rechtwinkelig aufeinander stoßenden Straßen umgewandelt wurde, um jenseits des Marktplatzes als Schlosserbergweg, Greifensteinweg und Alte Geyersche Straße weiterzuführen. Da dieser Weg schon vor Gründung der germanischen Waldhufensiedelungen Thum und Jahnsbach bestand, schneidet er in beiden Orten viele Flurstreifen schräg durch, die bei der Verteilung des Siedlungsraumes rechtwinkelig zu den Quellbächen angesetzt wurden.

Der erwähnte Schlosserberg ist geographisch der vorgestreckte Fuß des Bergmassivs, das sich zwischen den Quellbächen von Thum und Jahnsbach erhebt, die in einem Winkel von etwa 65 Grad aufeinander zufließen und sich 250 Meter südöstlich vom Schlosserberg vereinigen. Wenn der Schlosserberg auch nur eine bescheidene Anhöhe ist, so gibt er dennoch den daraufstehenden Häusern eine den Kern des Städtchens überragende und beherrschende Stellung.

Thum

Und hier auf dieser Anhöhe, am Schnittpunkt zweier Täler, im Angesicht des Greifensteins im Walde, war der Sitz der Grundherren von Thum, der Sitz der Waldenburge: Schloß Greifenstein. Sicherlich war es keine Burg mit festen Wehrtürmen zum Schutze gegen räuberische Überfälle, aber ein umfänglicher Hof mit stattlichem Herrenhaus. Denn Thum war eine Herrschaft, weshalb es auch in Schiffners Handbuch der Geographie des Königreichs Sachsen heißt: „Im fünfzehnten Jahrhundert begriff die Herrschaft Thum den Ort selbst, Oberdorf, Gelenau, Herold und Jahnsbach, wurde von den Waldenburger Dynasten mit Wolkenstein vereinigt.” Und bis heute gibt es für die auf dem Schlosserberg befindlichen Gebäudeanlagen im Volksmunde keine andere Bezeichnung als „Dr Huf”, „im Huf”, und der Besitzer ist „Dr Hufharr”. Schlosserberg ist entstanden aus „Schloßberg” oder „Schlossherr-Berg”.

Die Waldenburge saßen ursprünglich auf Wartta (Neukirchen bei Chemnitz), dann an der Mulde, auf Rabenstein und bereits 1241 auf Wolkenstein. Schloß Greifenstein dürfte von hier aus Mitte des dreizehnten Jahrhunderts bergbaulicher Belange halber errichtet worden sein, schon vor der Gründung von Thum und Jahnsbach als Waldhufenorte. Nur 250 m entfernt, aber am andern Bachufer, erstand als zweiter Herrensitz das Rittergut Thum, das jedoch seine Macht über Herold und einen Teil von Drebach ausdehnte und niemals in irgendwelchen engen Beziehungen zum Städtchen gestanden hat. Es wurde 1882/83 bis auf ein Restgut aufgelöst: sein Herrenhaus dient seitdem als städtisches Rathaus. Auch die Zeit des Schloßuntergangs läßt sich erschließen: nicht vor 1377 und nicht nach 1407. In einer Urkunde von 1377, wonach die Herren von Waldenburg-Wolkenstein mit dem Markgrafen von Sachsen wegen des Bergzehnten Verträge abschlossen, ist nur von dem „Bergwerk um Ehrenfriedersdorf und auf allen ihren Gütern” die Rede, woraus hervorgeht, daß Thumb noch kein selbständiger Ort, noch Schloßgemeinde oder Gutsdorf ist, der Länge wegen in Nieder- oder Oberdorf unterschieden (siehe Stollberg: Nieder-, Mittel- und Oberdorf). Als später Thumb ein Bergstädtchen wurde mit mancherlei Vorrechten und Freiheiten, wurde Oberdorf abgedrückt. So nur ist es erklärlich, daß dieses als Ort Oberdorf ein selbständiges Gemeindeleben geführt hat, bis es 1822 mit dem Städtchen verschmolzen wurde.

Im Vertrage derselben Herren von 1407, Domenica Galli in Grimma aufgerichtet, wird innerhalb des gleichen Gebietes noch „des Thumbs, welches ein Zinnbergwerk bei einer halben Meile Wegs von Ehrenfriedersdorff gedacht, item des Wolkensteins und Tschopa”: Thumb hat also inzwischen Selbständigkeit erlangt. Die Schloßherren halten sich nur noch in Wolkenstein auf, haben beide Herrschaften vereinigt. Seit Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts wird in Urkunden über Thum von einer „wüsten Hofstatt — das Gericht genannt — und dem Hof zum Thumb, bei der Kirche gelegen” gesprochen, also Hofstatt und Hof nebeneinander. Die „wüste Hofstatt” ist das abgebrannte Herrenhaus, der „Hof zum Thumb, bei der Kirche gelegen” die Gutswirtschaft. Die Waldenburge hatten nicht mehr die Mittel, das Herrenhaus neu erstehen zu lassen; doch ruhen auf der wüsten Hofstatt auch weiterhin alle grundherrlichen Gerechtsame.

Ein Zufall hat darüber Licht gebracht. Im Sommer 1937 wurde in einer Kiste auf dem Dachboden des „Hufs” der zeichnerisch schöne Plan für den Erneuerungsbau im Jahre 1478 gefunden. Der ausgeführte Bau ist ein ungewöhnlich stattliches Haus. Nach fachmännischer Beurteilung ist die Ausführung nicht einheitlich. Die Wände des Erdgeschosses, teilweise auch des Obergeschosses, ruhen auf außerordentlich dicken Umfassungs- und Verbindungsmauern. Durch den weiten Kellerraum laufen lange Gänge, in die durch kleinste Fensterchen in den dicken Mauern spärliches Licht fällt. Wunderbar schön sind die Kellergewölbe. Im Erdgeschoß sind die Hausflur — infolge längerer Ruinenzeit ausgebessert — und ein paar anstoßende Räume, wovon der eine vermutlich die Milchkammer war, in gleicher Weise gewölbt. So hat kein Bauer, kein Bergmann oder Bürger gebaut! Grund- und Kellermauern und alle Gewölbe sind die Überreste der „wüste” gewordenen „Hofstatt, das Gericht genannt”, Überreste des Schlosses Greifenstein als Herrschaftssitz der Waldenburge.

In unmittelbarer Nähe steht auch noch ein als „Fronfeste” bekanntes Haus, über dessen Zweck alte Leute uns Kindern gar gruselige Geschichten zu erzählen wußten. Nicht unwesentlich ist wohl auch, daß sich altem Herkommen gemäß neben beiden Häusern die Kirche befindet. Das Schloß ist umso leichter in Vergessenheit geraten, als sein Name auch weiterhin auf die nahe Waldeshöhe mit ihren Felsen hinwies.

Der erste Besitzer der „wüsten Hofstatt, das Gericht genannt”, war „Hans Rabe, welcher die Belehnung über die Gerichte und Zubehörigkeit erhielt, jedoch so, daß die Steuer, Folge, Jagd, Renten u. a. m. reserviert wurde”, d. h. den Waldenburgern als Grundherren verblieb. Bei seinem Nachfolger bis 1442, Nikolaus Rabe, wird ausdrücklich gesagt, daß er „Anteil hatte an dem Bergwerke, welches vor der bei seinem Hof gelegenen Mühle, der sogenannten Herrenmühle, und Hütte lag”. Ihm folgte Johann Receptier laut Lehnbrief, der ihm von Heinrich von Waldenburg, Herrn zu Wolkenstein, Montag nach Lichtmeß 1442 gereicht worden ist. Receptiers Nachfolger wurde 1445 Franz Schmelzer, der 1453 die Gerichte an Michael Hofmann verkaufte.

Da die Waldenburge 1439 Thum auf sechs Jahre verkauft hatten, allerdings bedingt, fiel es 1445 an die Wettiner, und so kam es, daß Michael Hofmann von Friedrich dem Sanftmütigen mit der wüsten Hofstatt und dem Hof bei der Kirche belehnt wurde. Dieser Hofmann verkaufte, wahrscheinlich weil er keinen männlichen Erben hatte, Mittwoch vor Mitfasten 1469 die Gerichte, d. h. die auf der wüsten Hofstatt ruhende Jurisdiktion mit allen ihren Eigenschaften, seit Hans Rabe durch die Grundherren nicht unwesentlich gemindert, an die Gemeinde Thum und übergab dem Vorsteher Hans Hänel alle Dokumente. Durch diesen Kauf entstanden später Streitigkeiten, die die frühere Hofhaltung der Waldenburge in Thum deutlich beweisen.

Magister Steinbach, der Chronist von Thum, berichtet darüber: „1469 nämlich hat Michael Hofmann die Gerichte oberst und niederst der Gemeinde zu Thum verkauft. Die Gerichtsherren wurden nur Richter genannt, weil nach dem alten Rechtsstile alle Lehnsherren, groß und klein, diesen Namen geführt, welche ihre Unterrichter oder Schultheiße hatten, die nur mit den Schulden und geringen Sachen zu tun, in peinlichen und andern wichtigen Fällen aber nichts zu sprechen hatten”. So hatte nun Thum seit 1469 an der Spitze seines Gemeinwesens einen Richter und keinen Bürgermeister wie die Städte im allgemeinen. Dazu besaß dieser Richter außerordentliche Machtbefugnisse. Denn Steinbach sagt des weiteren_ „Die Erb- und Gerichtsherren zu Thum waren keine gemeinen Lehn- oder Dorfrichter, sondern wahrhaftige Lehn- und Gerichtsherren, welche ihre Unterrichter nebst Schöppen jedesmal gesetzt und konfrmiert. — Das Gerichtsbuch weist viele von dem Rat zu Thum entschiedene Gerichtsfälle bei Totschlag, Diebereien und andern peinlichen Sachen auf, wie auch wiederholt der Galgen erbaut wurde. Die Akten hierüber wurden öfters nach Leipzig vor der Juristenfakultät Schöppenstuhl, oder nach Wittenberg in der Juristen Fakultät geschickt. Auch wurden Thumer Urtel gefunden in corpus juris.” Der Thumer Richter war eben der Rechtsnachfolger des Schloßherrn; das Jahr 1469 darf als das Geburtsjahr von Thum als Stadt bezeichnet werden. Die städtische Selbstherrlichkeit im Gerichtswesen erlosch erst mit der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit am 31. Dezember 1855.

Rathaus zu Thum (1677 erneuert) mit barockem Löwenportal.

Am 15. Juni 1499 war Thum nebst Oberdorf vom Herzog Georg in den Besitz der Familie von Schönberg übergegangen, und damit auch der alte Sitz der Waldenburge, die übrigens 1475 ohne Macht und Ansehen ausgestorben waren, so daß Theodor Schön in seiner Geschichte der Waldenburge sagt: „Nur bescheiden war der Besitz, den der letzte Herr von Waldenburg noch sein nannte. Auch dieser wäre wohl den Händen des Geschlechts entschlüpft, wenn nicht die Parze den Lebensfaden desselben durchschnitten hätte.” Daß mit diesem Tode der Wiederaufbau des Thumer Herrenhauses nach langen Jahren Wüsteseins zeitlich zusammenfällt, sei nur nebenbei erwähnt.

Thum, Rathausportal (erneuert 1938/39)

Inhaber des Schönbergschen Besitzes Gelenauer Linie wurde 1586 Joachim II. Dieser wollte auf einmal die Gerichtsherren in Thum selbst wählen und konfirmieren, ließ den Galgen einhauen, verbot alle Gerichtshändel u. a. m. Die Thumer ließen sich in der Ausübung ihrer Rechte jedoch nicht beirren und es kam deshalb zu einem Prozeß, der 1612 auf dem kurfürstlichen Amte Wolkenstein entschieden wurde. Richter und Rat des Städtchens mußten den Amtsschössern zu Augustusburg und Wolkenstein alle Urkunden vorlegen, und auf Grund derselben verblieben sie im allgemeinen in ihren bisherigen Rechten.

Um jedoch Herrn von Schönberg einigermaßen zu befriedigen, wurden ihm im bedingten Maße die Obergerichte zugesprochen, die Konfirmation der Richter und außerdem das Kirchenpatronat, das ja auch ein Recht der ehemaligen Schloßherrschaft war. Steinbach sagt dazu: „Fiel etwas vor, das in die Obergerichte lief, so mußte es in Thum auf dem Rathause durch den Gerichtsverwalter von Gelenau traktiert werden, wobei der Rat die Assessores waren. Die Unkosten sämtlicher peinlichen Fälle mußte der Herr von Schönberg allein tragen, auch für die Gerichtsstätte aufkommen, es mochte gehängt oder geköpft werden.” Richter und Rat durfte das Städtchen allein wählen, Herrn von Schönberg stand nur die Konfirmation zu. Wiewohl der Thumer Hof schon lange nicht mehr in den Händen derer von Schönberg war, haben diese Herren die Kollatur über die Kirche zu Thum bis 1898 innegehabt und nur verloren, weil sie zu einem andern Glaubensbekenntnis übergetreten waren.

Wahrscheinlich in Ansehung der erwähnten Rechteschmälerung entband sieben Jahre darnach Kurfürst Johann Georg I. die Thumer des gewöhnlichen Lehngroschens, gab ihnen die Befugnis, Fremde als Bürger und Untertane aufzunehmen, Zins von ihnen zu fordern und auf den Fluren des Städtchens und Oberdorfs die niedere Jagd auszuüben. Im übrigen sei an dieser Stelle bemerkt, daß bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beim Lehnhof in Dresden ein Lehenträger für Thum bestellt worden ist, der allemal die Lehen über die Gerichte und die Hofstatt empfing.

Die Außenfluren des Thumer Hofs haben die Schönberge anscheinend frühzeitig parzelliert; denn nur so lassen sich die Herrenzinsen erklären, die Bewohner von Thum in verschiedener Form jahrhundertelang nach dem Rittergute Gelenau gezahlt haben.

Zum Schloßbesitzstand der Waldenburge gehörten auch Fluren am untersten und am obersten Ende von Jahnsbach, um so dieses Waldhufendorf bei seiner Gründung zu umklammern. Während das Flurstück im Niederdorfe, „die Hofwiesen” bis heutigen Tags genannt, auf dem rechten Bachufer liegen und an die Herrschaftsflur angrenzten ist der Besitz im Oberdorfe im Ausmaße von 46 ha auf der linken Seite des Baches; er heißt „Rabenholz”, jedenfalls nach dem ersten Besitzer der wüsten Hofstatt Hans Rabe und ist noch immer Wald. Die Hofwiesen wurden im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts für die Bebauung gegen Herrenzins aufgeteilt. Als Hofwiesenkind hörte ich des öfteren darüber klagen, daß der wohlhabendste Hausbesitzer vierteljährlich nur 37 Pfg. d. i. „drei gute Groschen” entrichtete, jeder andere dagegen 1,37 M. d. i. „elf gute Groschen” zahlen mußte. Der Unterschied kam daher, daß Herr von Schönberg auf Gelenau einmal einer armen Witwe acht Groschen für den Termin erlassen hatte. Erst um die Jahrhundertwende sind diese Renten erloschen.

Endlich sind zwei Besitzteile zu nennen, die auch noch von dem Glanze der versunkenen Schloßherrschaft Thum künden: die „Herrenmühle” und die „Herrenteiche”. Die Herrenmühle steht am Zusammenflusse des Jahnsbacher und des Thumer Baches, von dem oben erwähnten Rittergut Thum nur durch einen Weg getrennt. Die Herrenteiche liegen an den Quellen des Thumer Baches, fernab vom alten Herrensitz.

Noch einmal war dieser Hof zu Macht und Ansehen erstanden. Im Jahre 1815 eröffnete daselbst Leberecht Hofmann, ein Strumpfwirker aus Jahnsbach, die Wirkwarenherstellung unter bescheidenen Verhältnissen. Mit dem Schiebebock fuhren er und auch seine Söhne die Erzeugnisse, vorerst nur halbleinene Mannsstrümpfe und baumwollene Mützen, zur Messe nach Leipzig. Unter seinem Enkel Ottomar Hofmann beschäftigte die Fabrik dreivierteltausend Arbeiter und feierte 1915 das hundertjährige Bestehen. Durch den Weltkrieg mit seinen Nachwehen ist das Geschäft leider völlig zusammengebrochen. Der Hof ist ein zweites Mal wüste geworden und harrt aufs neue des Mannes, der in den weiten Räumen wiederum Leben erweckt, das der alten historischen Stätte würdig ist.

Mag Ehrenfriedersdorf als Besitzer des Greifensteins dieses Kleinod zur Freude aller Naturfreunde auch in Zukunft hüten und pflegen, Thum wird mit seinem „Hof” und der „Fronfeste” auf dem „Schlosserberg”, mit der „Herrenmühle”, den „Herrenteichen”, den „Hofwiesen” und dem „Rabenholz” und nicht zuletzt mit seiner dahingegangenen machtvollen „Richterzeit im Stadtleben” vier Jahrhunderte hindurch die Erinnerung an das Schloß Greifenstein weiterhin wachhalten.

Anmerkung: Gegenwärtig hört und liest man vielfach „die Greifensteine”. Die Mehrzahlsform des Namens macht das Naturmal weder umfangreicher noch schöner. Außer dem Aussichtsfelsen ist keins der Felsgebilde, das für sich allein einen Besucher locken würde; zum Beschauer sprechen nur die Felsen in ihrer Gesamtheit. Möchte doch darum die historische Form „der Greifenstein” gewahrt bleiben!

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