Silberrausch und Bergfluch.

Von Guido Wolf Günther.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 24 – Sonntag, den 12. Juni 1927, S. 3

Der Bergaufzug und Berggottesdienst der Jöhstädter Berg-Knapp- und Brüderschaft am 3. Pfingstfeiertag ließ unsere Gedanken wieder zurückschweifen in die gesegnete Zeit, da der Erzreichtum aus kärglich bevölkerter Schwarzwaldwildnis ein reichbesiedeltes Gebiet werden ließ, in dem zu wohnen manchem der Himmel auf Erden dünkte, wenn – er Anteil hatte an den Fundgruben, die in schier übermütiger Geberlaune ihre Schätze darboten. War doch dieses Zeitalter, dessen Blüte etwa um 1470 einsetzte, so vom köstlichen Silberglanz übersonnt, daß Wetterunbill und gebirgische Abgeschiedenheit gerne vergessen wurden im Sehnen, fast mühelos zu Reichtum zu kommen. Das Gretchenwort vom Golde, nach dem wir alle drängen, an dem wir alle hängen, schien in jener merkwürdigen Zeit im Silber sich tausenfältig zu bezeugen und es ist unsere Zeit, die den Taumel der Inflation kaum erst überstanden hat, recht nachdenksam und nützlich, im Spiegel des Silberrausches den Menschen zu schauen, wie er sich darstellt, wenn der Hochmut über leicht erworbenen Besitz alle Hüllen vom Charakterbild reißt. –

Wenn eine alte Chronik erzählt, daß in den Jahren 1471-1550 allein 913 742 258 Speziesthaler an Bergabgaben in die Staatskasse geflossen seien, so können wir ruhig bei fünfhundert Millionen Speziesthalern bleiben, die dem sächsischen Staate als „Bergzehnter“ zugekommen sind! Ein Speziesthaler, – nach dem aufgeprägten Gesicht (lat.: species = das Gesicht) so bezeichnet, – galt zwischen vier und fünf Mark, und es sei dabei an den Wert des Geldes in jenen Zeiten außerdem erinnert! Was mögen da die Bergherren selbst eingenommen haben, wenn allein die Steuern in Milliarden liefen? Besonders reich mag der Ertrag der Schneeberger St. Georgengrube gewesen sein: 1477 soll Herzog Albert von Sachsen bei einer Bergwerksbesichtigung mit seinem Gefolge an einer Silberstufe gespeist haben, aus der man nachmals gegen 400 Zentner Silber schmolz! Und 1478 beschwert sich eine „Aktionärin“ dieser Grube darüber, daß man den Armen statt Geld „Silberkuchen“ (ungemünztes Metall … Textverlust), weil die Münze den Segen gar nicht schnell genug ausprägen konnte.

Auch im engeren Heimatgebiete, am Schrecken- und Schottenberge und den größeren Bergen (Bärenstein, Pöhlberg, Scheibenberg) bis hinauf zum Vater Fichtelberg blühte der Bergbau um diese Zeit ganz hervorragend und die Sage webt um jene Glanzzeit märchenhafte Bilder des Reichtumes, wie sie nur die Phantasie des Orientalen sonst zu malen weiß. – Einige Angaben über den Ertrag einzelner Fundgruben seien vorausgeschickt, ehe die mancherlei Sagen aus dem Silberrausch aufklingen und menschlich Irren und Wähnen zeichnen.

Der Fronleichnams-Stollen, den ein Frohnauer Bergmann beim Fischen an der Sehma am Vorabend des katholischen Hochfestes entdeckte, soll eine Ausbeute von 400 000 Speziesthalern gebracht haben. – Aus der Zeche Marcus Röhling holten die Bergherren in den Jahren 1546-1565 gegen 800 000 Speziesthaler heraus und insgesamt sollen in den Gruben am Schreckenberge in den hundert Jahren besten Ertrages (1496-1596) etwa 3 500 000 Speziesthaler an die Grubenbesitzer verteilt worden sein. – Von den Buchholzer Gruben St. Dorothea und St. Conrad, – den reichsten unter vielen anderen, – berichten die Chronisten, daß 250 000 Mark (nach unserer Währung) in wenig Monaten zu erzielen waren! –

Kann es uns da Wunder nehmen, wenn die „Gewerken“ (Besitzer der Anteilscheine der Gruben) über solchem Silbersegen fast närrisch wurden und der Hochmut und Größenwahn manche Torheit zuwege kommen ließen, die an Gotteslästerung bedenklich heranreichte? Menschliche, allzumenschliche Schwächen zeigen sich dem Chronisten jener Zeit, und uns Gebirglern der gegenwärtigen Notzeit schauen beim Betrachten jener Kulturzustände, die Fratzen der Inflationsleidenszeit bedeutsam über die Schulter: ewige Wiederholung menschlicher Großmannssucht …

Da zahlte wohl um 1320 die Fundgrube „Himmlisch Heer“ einmal 800 und dann gar 1400 Speziesthaler auf einen „Kux“ (Anteilschein) aus; das ging einer Bäuerin in Frohnau, die solche Kuxe ein artig Päckchen besaß, so zu Kopfe, daß sie im üppigsten Wohlleben den Silbersegen zu verschwenden suchte. Und da keine Torheit groß genug ist, daß sie nicht von einer gefallsüchtigen Frau geübt werde, so badete sich das eitle Weib täglich in edlem Wein, auf daß man ihr die Bäuerin nicht mehr ansehen möchte! Ob sie wirklich den Badewein mit Semmeln vermischt hinterher dem armen Volke als „Labung“ hat reichen lassen, wie ein altes Spottlied wissen will, mag der Chronist nicht beschwören; möglich ist es aber gewesen in jener Zeit des Uebermutes. Am Schottenberge hat „die Bäuerin“ dann wohl neuen Bergsegen erhofft und heute noch tragen Ueberreste vom Bergbau ihren Namen.

Von dem sonst als verständig und tüchtig gerühmten Bürgermeister Kaspar Kürschner in Annaberg der vom Stollen „Himmlisch Heer“ acht Kuxe besaß, meldet die Historie auch des öfteren, daß er sich im Weine badete und mit geröstetem Weißbrot seine Füße abreiben ließ, „den Appetit zum Essen und Trinken zu befördern“. Wie ein römischer Lebemann der schlimmsten Zeit muß dieser Genußmensch gelebt haben, und daß er auf der Stadtratswage 1554 „nur“ zwei Zentner und 12 Pfund wog, war nicht einmal so schlimm, denn ein guter Freund von ihm, Heinrich Korndörfer geheißen, hatte es auf zwei Zentner und 15 Pfund gebracht! Daß dieser Mann es fertig brachte, beim „Bürgermeisteressen“ (anläßlich seiner Wahl) sämtliche Männer und Frauen mit Speise und Trank so zu „traktieren, daß Männer und Weiber für tot (als Ohnmächtige oder Berauschte!) auf Schlitten heimgefahren werden mußten.“ Und dieser „Lebenskünstler“ starb als Ortsarmer, der trotz vieler wohltätiger Stiftungen, die er einst gemacht hatte, von Almosen kümmerlich sich ernährte!

Auch die Schneeberger Fundgrübner waren durch den Bergsegen reichlich übermütig geworden, und die Chronik meldet von den „Meerbiken“, daß sie ebensolche Völlerei trieben wie die Bergherren in und um Annaberg. Daß auch der Schneeberger Uebermut meist mit dem Bettelstab endigte, ist eine recht lehrreiche Bestätigung für unsere Volksweisheit, daß Hochmut zu Fall kommt. – Die Herren von Thäler (?) waren durch Silbersegen so hochmütig geworden, daß sie selbst die Hufeisen ihrer Pferde aus Silber schlagen ließen, um ihren Reichtum zu zeigen. Einstmals, so erzählt der Chronist Engelhardt, hielten die Herren unter Tag mit guten Freunden ein Bankett ab, bei dem gegen hundert Personen aufs glänzendste bewirtet wurden. Während nun tief im Bergwerke (bei Höckendorf) in einer erzgleißenden Hohlung Wein in Strömen floß und die übermütigen Zecher die Berggeister hochleben ließen, brachen plötzlich, durch einen Wolkenbruch über Tage gedrängt, die Stollenwässer in den Festraum durch und verschlangen mit wilden Wogen die Hälfte der Gäste; nur mit knapper Not entrannen die übrigen dem Unheil!

Silberrausch und Bergfluch, – sie wohnten nahe beieinander, und die Menschen zappelten im Netz, das gleißend in Silberadern durch den Schoß der Berge zog. Sind wir aber klüger geworden seitdem? Wird nicht auch uns oft ein „Silberblick“ zum Irrlicht, dem wir nachziehen, auch wenn es ins Verderben geht? Mögen uns die köstlichen Berge der Heimat zum Talisman gegen allen Silber- und Goldrausch werden, möchten sie uns erziehen zu Zufriedenheit und Heimatfreude! –