Guido Wolf Günther.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 19 – Sonntag, den 8. Mai 1927, S. 1
(Fortsetzung.)
Geyer mit Walthershöhe.
Die Kleinbahn bringt uns nach Geyer. Mit zwei Haltestellen u. einem „Hauptbahnhof“ nimmt das Bingenstädtel den „Riesenstrom“ der Reisenden auf, die in der industriereichen Stadt Geschäfte zu erledigen haben oder die am Sonntag aus der weiteren Umgegend zum berühmten Ratskeller-Tänzchen fahren. Schrillend befiehlt die Pfeife dem Zügele zu halten: Siebenhöfen ist erreicht. „Geyer Südbahnhof“ witzeln ein paar blaumütztge Beamtenschüler, die hier „auf Bürgermeister“ studieren. Von erdrückender Wucht ist der erste Eindruck, den du, fleißiges Geyer, dem Zureisenden bietest: wie zwei Denkmäler steigen rechts ein goldenschimmernder Düngerhaufen und links eine vielgeschossige Fabrik auf. Landwirtschaft und Industrie, – wie sich’s halt gehört für ein gesundes Gemeinwesen. Sie mögen spotten über den ersten Haltepunkt, die Dummen, die nie alle werden; wer von ihnen weiß, daß drüben in der großen Fabrik 1812 die erste Baumwollspinnerei Sachsens begründet wurde von Evan Evans? Wie Barbara Uthmann knapp dreihundert Jahre früher wurde dieser englische Spinner, der in Geyer seine zweite Heimat fand, zum Wohltäter des ganzen Gebirges, ja, ganz Sachsens. Wie wenn der Geyersbach, der geschwätzig an dieser ersten sächsischen Baumwollspinnerei vorbeifließt, Botendienste getan hätte, so entstanden in rascher Folge am Laufe der Zschopau, die den Geyersbach aufnimmt, Spinnerei neben Spinnerei, und heute dankt ganz Sachsen seinem Evans Blüte und Weltberühmtheit. Hut ab also vor der Station an Geyers Südende! – Weiter ängstet sich die kurzatmige Lokomotive mit uns bergwärts; halt, da muß ich doch wieder hinabschauen auf die zwei winzigen Häusel, die wie Brüderle und Schwesterle zusammengehockt neben dem Bahndamm sitzen und aus blitzblanken Fensteraugen mir zunicken: da haben meine Voreltern gewohnt! Gewohnt ein bescheidenes, erzgebirgisch-kärgliches Leben! Und sind doch so glückhaft froh gewesen unterm Schindeldach, auf dem Tauben und freche Spatzen so feine, weiße Stuckarabesken malten. Alte, tausendmal gehörte Geschichten werden lebendig vom alten Evans und seinen Sonderheiten und – seiner Freude am Kinderlachen, wenn Osterhasens Segen reichlich in die Schürzen der Spinnerkinder gewandert war. Und vom „Grienertsfang“ und Gimpelstieg singt’s und erzählt’s, während das Zügel wieder hält und den Durchblick auf den Marktplatz frei gibt. Fast zwingen müssen sich die Gedanken, um sich loszureißen von jenen kleinen Hütten, die mir das Beste schenkten, was einem jungen Brausekopf nottut: den Freund und Vater! — Nun aber staunen die Augen und gleiten streichelnd an den schöngeschwungenen Linien des neuen Rathauses auf und ab; welche Stadt gleicher Größe mag sich eines ähnlichen Prunkstückes rühmen? – Wenn auch in alten Straßen und Gäßchen noch holprig Straßenpflaster hier und da buckeln, wenn auch grünmosiges Schindeldach ab und zu die vornehmen Schieferdächer erröten macht ob solcher unstandesgemäßer Nachbarschaft: das Rathaus überglänzt alle Fehler und Schwächen weitstrahlend, und die Geyerschen sind heute auch nicht wenig stolz drauf! Und haben natürlich erst weidlich drüber geschimpft, obwohl der Wald, der gute, immer hilfreiche, große Geyersche Wald vermutlich ein artig Teil der Baukosten auf seine grüne Kappe genommen hat. – Dann stehen wir vorm leider kümmerlichen Ueberrest eines alten Wachtturmes mit Resten eines schönen Renaissanceportals, das verschlafen das vorbeikeuchende Bähnle anguckt. Ein schönes Stück Vergangenheit in prächtigen Ueberresten zeigt noch die Kirche mit Wehrturm und inneren Zeugnissen begrabener Zeit. Schwert und Altar, – sie berühren sich vielfach in Geyers seltsamen Kirchenbollwerk. Ehe wir den Abschiedsblick tun, noch eine, nein zwei bedeutsame Erinnerungen: hier das Bild Evan Evans, der 1844 auf dem Geyerschen Friedhof begraben wurde und das Bild des weitgeehrten Erbauers der Augustusburg und des Leipziger Rathauses, Hieronymus Lotter, der hier 1580 ausruhen ging von mancher Enttäuschung seines äußerlich glänzenden Lebens. –
Doch nun den Abschiedsrundblick von der Bank auf der Binge! Geyer, mittelalterliches Städtel mit dem modernen Ausputz, deine Binge mit dem zweimal zerfurchten Antlitz gibt dir den trefflichsten Hintergrund. Noch einmal schlingen die Bilder durch Jahrhunderte ihren Reigen, dann verglüht hinterm „Gerghennerbüschel“ die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen, u. du gehst schlafen, arbeitsmüde u. vergangenheitsbewegt.-
Walthershöhe.
Früher hast du mit einem lustig-luftigen Ausguckturm deine großen Brüder im Umkreis geneckt und dich gar aufgespielt als Aussichtspunkt von Rang. Aber der Sturm hat dir eines Tages, zornig über das Hindernis, den ganzen stolzen Bau im Augenblick umgeblasen. Nun schaust du verärgert hinüber zu den Greifensteinen, deren Ausguck von dauerhafterem Stoff gebaut ist und überlegst dir es wohl lange, ehe du dem Sturm ein neues Spielzeug hinstellst, gelt, kleine, freundliche Walthershöhe? Wie ein schwarzes Käppchen auf Großvaters Kopf sitzt du zu Geyers Häupten und hilfst mit wachen, daß dem Städtel kein Ungemach zustößt. Vielverschlungen ziehen die Pfade deiner Kuppe zu, und fröhliches Lachen meldet immer neue Gäste. Das Lachen hatte bei dir eine gute Statt, als der wackre, alte Neukirchner Eduard noch lebte und mit immer frischem Humor Leben in seine Gäste brachte. War ein gar vielgereister Herr, der silberhaarige Wirt, und das Land weithin weiß sich zu erinnern seines Marionettentheaters, das er mit Künstlerschaft leitete. Als ihm das Alter die Reiselust verkümmern wollte, holte er die Welt einfach zu sich herauf und sammelte an Merkwürdigkeiten, was die weite Welt sich eben abluchsen ließ. So schuf er ein kleines Museum, dem nur die Raumgedrängtheit Abbruch tut, über weitere Grenzen hinaus bekanntzuwerden. – Nun ist der immer schelmereifrohe Neukirchner Eduard heimgegangen und damit wieder einer weniger geworden vom alten Stamm der echten Erzgebirgler. In den Räumen aber, in denen du wirkest auf deine Art, lebt wehmütiges Erinnern fort, solange die Fichten rauschen, die dich jung sahen! —
Wesentlich älter als Geyer, mag Tannenbergs Rittergut wohl auch seine Gründung der fränkischen Siedlungswelle verdanken, die im Zschopautale vordringend, just in der Aue der Zschopau ein geschütztes Fleckchen zur Niederlassung fand. Eng bedrängt von den Rottannen, die wir Fichten nennen, schmiegen sich die Hänge bergwärts an den grünen Saum. Grund genug, die Ansiedlung „Tannenberg“ zu nennen und den Namen auch nach der Rodung beizubehalten. –
Dort, wo die Lehne am steilsten aufbäumt, horsten gerne die Habichte, die das Volk „Geyer“ nennt. Mit dem katzenschreähnlichen Jagdruf stoßen diese Räuber vom „Geyersberg“ herüber und schlagen manches brave Huhn, das der Hausfrau Stolz ist. Als die Luftpiraten sich aber gar erdreisten, auch im Hühnerhofe des Rittergutes den Zehnten zu fordern, wird das den Junkern zu toll, und sie reiten zur Geyerjagd bergwärts. Bald müssen die jungen Herren aber die Pferde in der Hut der Roßbuben lassen: zu eng wirren sich Jungholz und Brombeergerank in einander und machen es sich zur Lust, der feingekleideten Junker Wams zu zerschleßen und zu zerpflücken. – Ein paar Horste sind gefunden und zerstört; wie weiße Wollknäuel drängen sich fauchend die jungen Raubvögel in den Jagdtaschen. Zur Kurzweil haben die jungen Rittersöhne die kleinen Räuber mit heimgenommen. Vielleicht ist’s auch ein wenig Mitgefühl mit den Raubrittern der Luft: mag doch manch stolzer Ahne, der jetzt brav vom vom Ahnenbildersaal herablächelt, ein gefürchteter Raubritter gewesen sein! Und da ist ein wenig Verwandtschaftsgefühl doch erlaubt, gelt? – Das Mitleid aber wird reich belohnt, denn während die Junker durch die Dickung streiften, scharrten die feurigen Pferde, langen Stehens ungewohnt, das Erdreich vom Felsgrund, und siehe da: lockend winkt im Gestein die segenbringende Zinnader! – Bald ist der „Geyersberg“ berühmt und – besiedelt, und schon 1496 besitzt die Stadt ein stattliches Rathaus! Die Geyer aber haben sich ins Stadtwappen eingenistet und sitzen da mit wesentlich mehr Recht als ihr stolzer Vetter mit Alpenzacken im Geyersdorfer Siegel. –
Ehrenfriedersdorf.
Als eine der ältesten germanischen Bergbausiedelungen in weitem Umkreis ist Ehrenfriedersdorf schon um 1240 angelegt und 1407 mit Geyer und Thum zusammen zur Stadt erhoben worden: Man soll Perlen nicht vor die Säue werfen, – die „Ehr’ndorfer“ aber wissen die Geschichte anders, denn Wildschweine sollen schnüffelnd und stöbernd das zinnhaltige Gestein bloßgelegt und dadurch Harzer Bergleute zum Bergbau gelockt haben. Eine recht hübsche Leistung des sonst nicht gerade kulturfreundlichen Borstentierchens, nicht? Wir verstehen nun auch, warum zum „Städtel“ der immerhin etwas anrüchige „Sauberg“ unbedingt gehört und stolz als einstiger Schatzkasten gezeigt wird. Fein schaut das Städtel aus, wenn im Winter die Halden des Sauberges glitzernd weiß die Sonne zurückstrahlen und im Gestänge und an den Wänden der noch stehenden Zechengebäude Reifspitzenschleier die Stätte emsigen Fleißes in ein verträumtes Erzgebirgsidyll wandeln. Längst schon ruht der Bergbetrieb, von dem nur Straßennamen noch und Pochwerksruinen im Walde Zeugnis geben, und der lange Flößgraben, wohl auch Röhrgraben genannt, räkelt sich jetzt faul durch die Wiesen und Felder, mürrisch ab und zu sein Wasser zum Menschendienst verleihend. Doch braucht es solcher Mühe auch nicht, denn die „Städtler“ kommen ganz munter durchs Leben, schon weil ihnen die Schuhe zur Lebensfahrt tausendweis in großen Fabriken hergestellt werden. Und dazu Strümpfe noch in allen Arten und Posamenten und Spielbälle und Möbel, – wer weiß, was alles noch im „Eh’städtel“ hergestellt wird! Viel Ruhe gibt es da nicht und ’s ist schier zu verwundern, daß bei solcher Betriebsamkeit das Städtel immer so blitzsauber ausschaut. Denn eine Freud‘ ist’s zu sehen, wie der breiträumige Markt so schmuck daliegt vor dem zierlichgemauerten Rathaus. Sogar der Stadtgründer hat voller Hochachtung seinen Trutzhelm abgenommen und hält ihn ehrerweisend in der Hand. Das ist für einen Friedrich den Streitbaren doch immerhin eine Leistung, gelt? Na, die Städtler sind auch arg stolz auf ihren Ort und noch mehr auf ihre Kirche, die einen ganz köstlichen Schatz birgt: den Ehrenfriedersdorfer Hochaltar. Fünf Jahre hindurch stand er in Dresden zur Schau, dann holten sich die Städter ihr Kleinod wieder und jeder, der eine Weihestunde genießen will, darf kommen und sich dies Meisterwerk, in dem Grünewalds göttliches Genie sich ausprägt, anschauen. Wer dies Werk schuf, gilt nicht mehr zu ermitteln, doch die Entstehungszeit fällt in Grünewalds Schaffen. Ob irgend ein seltsamer Zufall dies Werk von Frankfurt hierher verschlug oder ob ein Grünwald ähnlicher begnadeter Künstler in unseren Gauen schuf: wir werden es wohl kaum zweifelsfrei erklären können. Freuen wir uns nur an dem einzigschönen Kunstwerk, dann ehren wir den Meister am würdigsten, hieße er auch immer, wie er möge. —
Als Erinfriedersdorf, Erbersdorf und Ehrenfriedsdorf taucht das Saubergstädtel schon früh, sehr früh in der erzgebirgischen Geschichte auf. Die ältesten Urkunden liegen tief im Sauberg verschüttet, wohin sie ein wohlweiser Rat in den Nöten des Dreißigjährigen Krieges brachte. Statt nun die Truhe treu zu hüten, die seinen Ruhm kündete, ließ der alte Berg gelegentlich eines Stollenrutsches alles verschwinden! Nun ist aus Urkunden anderer Orte immerhin noch zu erfahren, daß Ehrenfriedersdorf schon am Anfang des 13. Jahrhunderts bestand und 1283 bereits in einer Urkunde Einkünfte aus seinem Bergwerk verschenkt werden. Wir schmeicheln den wackeren „Ehrendorfern“ nicht, wenn wir annehmen, daß von diesem Orte aus die bergbauliche Erschließung von Thum und Geyer erfolgte. Der Name „Ehrenfried“ mag wieder hinzeigen auf Waltersdorf, Kunnersdorf und Hermannsdorf, und die langzeilige Siedlungsform stützt die Vermutung der Bauernsiedelung. –
Die Greifensteine.
Aus dem Märchenland gaukeln gespenstisch sieben wirrzerklüftete Felsen empor; Sagen geistern um die Greifensteine, die wie Steinzacken im Stirnreif der drei Greifensteinstädte starren. Aus Schächten und Sxhatzkellern funkelts wie von goldenem Zierat, und des Veilchenmooses lieblicher Duft umspielt zaubergartensüß den Menschen, der neugierig dem Nachtspuk bei Tage nachspürt. Was doch nicht alles raunt von Sagen und Geschichten um diese wunderlichen Felsen! Auch Stülpner-Karl hat hier gehaust und ’s ist fast nicht zu glauben, daß im freundlichen Berggasthaus von ihm kein Gewehr oder Hirschfänger aufgehängt ist. Wo es doch zum guten Ton gehört, daß möglichst jedes Gasthaus ein Stülpner-Schießeisen besitzt. (Wenn allerdings der gute Stülpnerkarl die Gewehre wirklich alle benützt hat, dann hat er aus jedem wohl nur einmal geschossen oder – er hat mit dem Schießeisen nach Hirsch und Reh – geworfen! Da geht natürlich mal eins mit verloren. Wie wäre es übrigens, waidgerechte Herren Sonntagsjäger, mit dieser Jagdart? Vielleicht bleibt da mal etwas liegen?) Also Karl Stülpner ging durch den Wald und Schatzmännlein und Riesen und auch – der „Greifensteekarl“, der „Fürst vom Greifenstein“, der sich einbildete, er müsse die verzauberte Prinzessin im Greifenstein erlösen! Als Fechtbruder durchzog er in möglichst auffälligem Aufputz die Greifensteinorte, sammelte einer Dohle gleich alles, was glänzte, um es sich an seine zerlumpte Jacke zu hängen. Seiner Prinzessin zu Ehren! Und starb im Armenhause zu Drebach im Alter von 67 Jahren als verkommener stromer! – Wie viele sterben nicht und sind schon gestorben gleich ihm im Anklammern an ein Ideal und sei es auch ein Luftgebilde? Ob das die wertlosesten Menschen sind? –
Hinauf nun auf den Felsen zur Schau auf die liebe, fichtengrüne, bergestolze Heimat. Abschiednehmen laßt uns von den großen und kleinen Orten allen mit ihren Besonderheiten und Wunderlichkeiten. Trinken mit durstigen Augen laßt uns noch einmal die bunten Bilder aus dem köstlichen Buch unserer Heimat! Und laßt uns Treue schwören dieser Bergheimat, ihren Bergen und Wäldern und Wässern, Treue, wohin es uns auch treiben mag. Glückauf! —