Guido Wolf Günther
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 20 – Sonntag, den 15. Mai 1927, S. 1
(Fortsetzung.)
Thum.
Mit besonderen Sehenswürdigkeiten kannst du wohl zwar nicht aufwarten, schlichtgemütliches Thum; es sei denn, du wolltest mit deinem Marktplatz Aufsehen erwecken, dessen Pflastersteine neugierig-possierlich herausschauen aus ihrem Lager nach den vielen Autos, die täglich vorüberjagen. (Sei beruhigt, wir lachen nicht drüber und finden, daß sich’s im Winter ganz sanft auf deinem Marktplatze geht, und – wozu sind denn auch die Bürgersteige da?) Doch, eine Denkwürdigkeit hast du doch: „Elendswiesen“ an der Annaberger Straße, auf denen das letzte Gefecht des unglücklichen, dreißigjährigen Krieges stattfand: am 25. Januar 1648 stießen streifende kaiserliche Soldaten mit der aus Annaberg vorstoßenden sächsischen Besatzung zusammen und lieferten sich ein blutiges Gefecht, das letzte auf sächsischem Boden. – Wie du deinen Namen erhieltst, davon weiß die Sage mehrerlei Bericht: nach dem einen soll deine Kirche (Dom) dir den Namen gegeben haben, nach dem anderen soll der böhmische Ausdruck für Straßengasthaus (Dum) Ursache deines Namens sein. Deute sich’s jeder nach seinem Belieben! – Was dich, bescheidenes schaffendes Thum, stolz machen kann, ist die Bedeutung und Geschichte deiner Strumpfindustrie und anderer Wirk- und Strickerzeugnisse. Wenn ich dein Bild malen sollte, dann müßte im Hintergrunde neben der Kirche, die dir den Namen gab, der „Hof“ gemalt sein, der dir zuerst Brot schaffte und Berühmtheit dazu. Der „Hof“, der kleinste Anfänge sah zu einem jetzt weitläufigen und weitspannenden Unternehmen, der „Hof“, in dem eine von den vielen Hofmann-Familien seit Menschengeschlechtern wohnt und wirkt in immer größerem Kreis. Und dann schossen hier und da noch Fabrikessen aus dem Häusergiebel, und der versagende Bergsegen war bald vergessen in neuer Arbeitsstätte. Nach Herold hinab, nach Jahnsbach hinaus zweigt die Industrie der Baumwolle immer neue triebe ab; wie lange wird es währen und die Dörfer begegnen in gleichem Ausbreitungsdrang der Stadt und ein Ort wird sein, wo vor Jahrhunderten in kleinen Hütten Bergleute und Waldläufer verstreut siedelten. Auch das nüchterne Leben in Arbeit ohne Schimmer der Romantik vermag zu trösten, denn es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern wie man es tut! —
Eine Urkunde vom 16. Oktober 1407 berichtet von dem „Thumb, welches ein Zinnbergwerk bei einer halben Meile Wegs von Ernfriedersdorff, item des Wolkensteins und Tschopa, welche neben dem Geyer als Gold- und Silberbergwerk außerhalb der geringen Metallen sein geachtet worden.“ Eine andere Urkunde nennt gar schon am 13. Juni 1377 Thum unter den „Städtlein und Flecklein, die durch das Bergwerk aufgekommen und sehr bewohnet sein“, und 1445 beginnen die Thumer Gerichtsbücher. So hat wohl kurze Zeit nach Ehrenfriedersdorfs Gründung hier und an der Wilisch ein fleißig Schürfen und „Seifen“ angehoben und das Städtlein hat sich bald um seine Kirche geschart wie die Küchlein um die Glucke. Um die Kirche, die als Kapelle „Thum“ oder „Dom“ genannt wurde und in der ein „Thumherr“ regelmäßig Gottesdienst hielt. Die Kapelle verschwand und machte anderen Gotteshäusern Platz, – der Name aber prägte sich dem Städtchen auf und hat heute landein, landaus guten Ruf ob seiner Strick- und Wirkwaren. —
Gelenau.
Sprudelnd hüpft die flinke Wilisch der Zschopau zu, der sie heute viel zu erzählen hat. Sind doch in diesen Ausläufern des Miriquidi-Waldes die Erlebnisse so kärglich, daß alles an Bedeutung gewinnt, was in der Niederung niemand beachten würde. – Vier sorbische Eheleute ritten heute talauf und verschwanden dann im Walde. Bald drang der Hetzruf durch den stillen, grünen Forst, und weidwund sprang ein stattlicher Hirsch ans Wasser, um die Wunde zu kühlen, die slavischer Pfeil ihm schlug. Aber zu tief sitzt das Mordholz, zu stark strömt das rote Blut, – bald brechen die Knie, und mit seltsam erschrockenen Augen schaut das edle Tier seinen Verfolgern entgegen, die beutefroh durchs Dickicht brechen, um dem Hirsch den Gnadenstoß zu geben. –
Bald sind der Wilisch die slavischen Jäger keine Fremdlinge mehr; mit Weib und Kind und Volksgenossen haben sie sich angesiedelt in der Senke, aus der ein Bächlein behend seine Wellen der Wilisch zuführt. Vier Edelsitze sind um’s Jahr 950 hier entstanden, als der deutsche Kaiser mächtige Hand den Sorben schwer auflag, so daß sie sich bergwärts zurückzogen, wo die kaiserlichen Fronboten nicht gerne Zins und Steuern fordern kamen. Hier im hirschreichen Jagdgrund siedelten sich bald noch andere an, Hörige und Freie, und der Hirsch (sorbisch jelen) gab den Namen zur Siedelung und steht auch stolz und stattlich im Ortssiegel als Wappentier. –
Die Deutung, nach der Gelenau herrühren soll von der „geilen“, d. h. fruchtbaren Aue, ist wohl nur entstanden aus dem Wunsche, die sorbische Gründung jelenau in eine deutsche zu verwandeln. Landwirtschaftlich mindestens hat Gelenau nichts voraus, was diese Deutung rechtfertigen könnte. Lassen wir es also lieber beim „Hirschgrund“; Karl Stülpner ist Kronzeuge dafür, daß der Name nicht ohne Grund gewählt war! —
Herold.
Dieser Ort im Tale der Wilisch bietet dem Heimatforscher nichts an Auskünften weiter, als daß er 1386 in einer Schenkungsurkunde erwähnt wird, in der Markgraf Wilhelm zu Meißen einer Frau von Waldenburg das Haus Scharfenstein verschreibt. Zu dem Besitz Scharfenstein aber zählte auch Herold. Der Kirchfahrt nach gehörte der Ort bis 1864 nach Drebach. Da Drebach (aus althochdeutsch draete = schnell fließend) nach Siedelungsbild und Namen eine deutsche Siedelung der Frankensiedelungszeit ist, wird sicher Herold, das langgestreckte Dorf, auch so entstanden sin und seinen Namen vielleicht einem heralt (der Heerwalter) oder Heriold verdanken. Möglich ist auch die Ableitung von herrenod (Herrenbesitz) in Hinsicht auf die Untertänigkeit nach Scharfenstein. – Jedenfalls hat der biedere Heerrufer, der jetzt das 1915 eingeführte Ortswappen schmückt, nur sehr, sehr mittelbar etwas mit dem Dörfchen zu tun.
Jahnsbach.
Vielleicht schon im 13. Jahrhundert als Klostersiedelung gegründet und zu Ehren eines Meißener Bischofs „Johannisbach“ genannt, hat das Dorf am Greifenstein ursprünglich einer Familie Rabe gehört und ist 1442 für „zwölf Gulden Zehens und dreißg Schock Groschen“ von einem Hans Kayerer gekauft worden. So besagt wenigstens ein Lehensbrief aus dem Jahre 1442.
Aus den älteren Ortswappen, von denen das alte Gerichtssiegel sowohl, als auch ein Siegel von 1487 Werkzeuge des Bergbaues zeigen, ist abgeleitet worden, daß Jahnsbach eine bergbauliche Gründung sei. Die Sage vom wandernden Bergmann Jahn, der dem Ort seinen Namen gegeben haben soll, will diese Ansicht unterstützen. Doch ist der Ort sicher schon vor dem Bergbau bekannt gewesen, wie eben aus dem Lehensbrief sich ergibt, und die auch heute noch erkundbaren Reste des Bergbaues sind nicht Gründungszeugen.
Jöhstadt.
Dich müßte man malen können mit den Farben der alten Meister; soviel klingt von Altarbildglanz und Heiligenehrung in deinem Namen, ehrwürdiges Jöhstadt! Wie Heiligenbilder bunt flügeln in dämmrigen Kirchenhallen, so leuchtest du mir heute nieder vom Bergeshang im Abendsonnenstrahl, kleine Josephsstadt! „Gottstadt“ nennt dich eine alte Urkunde von 1540 gar, und es ist auch stets etwas Merkwürdiges um solche Städte an der Grenze, wo zwei Konfessionen sich berühren und im Berühren sich austauschen im Brauchtum. – Wo einst des Bergmanns Fäustel in der Tiefe Erz brach und knarrende Förderkünste den Segen zu Tage brachten, plagt sich jetzt dein fleißig Völklein mit allerlei Industrie, und deine Söhne ziehen hinaus in die Fremde, die Erzeugnisse heimatlichen Schaffens zu verkaufen. Und kehren immer heimatsehnsüchtig zurück, wie sehr auch die Ferne sie lockte. Brand und Krieg sind über dich dahingefahren und haben den Glanz deines Bildes gedunkelt, wie die Farben alter Meister tieftoniger geworden sind. Wenn aber die Sonne in deine Fenster springt mit tausend Funkelblitzen, dann lachst du plötzlich hellauf, daß es im Konduppelbachtal sich wiederfängt, das goldene Lachen, und die Forellen glitzernd aufschrecken aus dem Gewirr der Sonnenkringel am Bachesgrund. –
Ein paar Tage Bahnfahrt von Jöhstadt entfernt liegen im Fränkischen die Orte Buttenstein und Goßweinstein. – Was soll uns das? Gemach, lieber Leser, freundliche Leserin! Weißt du schon, daß in einer Urkunde vom 13. April 1386 Jöhstadt „Goßwynsdorf“ genannt wird und an der Stelle, wo heute Fladers Fabriken sich erstrecken, eine Siedlung „Bottendorf“ gelegen hat? Auch Jöhstadt verdankt wohl seine Gründung zunächst fränkischen Ansiedlern, die die Namen ihrer Heimat übertrugen auf die neue Heimat, wie im fernen Amerika etwa deutsche Ortsnamen uns anheimeln.
Irgend ein Landesherr oder ein besonders kirchentreuer Ortsbewohner mag dann dem Kirchlein des Ortes Reliquien (heiligverehrte Andenken) von Joseph, dem Manne der Gottesmutter verschafft haben: um 1540 wird Jöhstadt „Gottstadt“ genannt und 1610 tritt uns inUrkunden der heutige Stadtnamen entgegen. 1518 zur Stadt erhoben, vom Bergsegen beschenkt, war das Städtel ein gern besuchter Wallfahrtsort geworden, bis wohl ums Jahr 1530 die Lutherlehre dem Heiligendienst ein Ende machte und das Andenken an Joseph, – es soll eins seiner Werkzeuge gewesen sein, – von den Mönchen des Wolkensteiner Klosters, die hier Messe lasen, mit fortgenommen wurde. So erzählt die Chronik aus dem Jahre 1549, die sich übrigens um die entrissene Reliquie nicht sonderlich zu grämen scheint.
Durst haben die biederen Josephstädter scheinbar nicht viel gehabt oder aber sie sind in’s „böhmische Bier“ gegangen: Erst am 14. August 1655 erhielt der Bürger Daniel Grotzsch sen. die Erlaubnis, ein öffentliches Wirts- und Gasthaus zu errichten.
Und am 20. März 1657 begann man mit dem Bau eines Rathauses. Knapp dreihundert Jahre haben die wackeren Gemeindeväter ohne Rathaus Rat gesucht und gefunden; heutzutage stehen meist zuerst die prächtigen Rathäuser, dann kommt der gute Rat und die Erleuchtung – noch lange nicht!