Städte der erzgebirgischen Heimat (4)

Guido Wolf Günther.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 21 – Sonntag, den 22. Mai 1927, S. 1

(Fortsetzung.)

Teilansicht von Bärenstein mit Berg.

Bärenstein.

Wie Sesam, der Schatzberg, liegst du am Eingang des Böhmerlandes mit seinen Schätzen. Es ist dein unverdient Schicksal, daß man nicht zu dir kommt, liebes Bärenstein, um deine Reize zu genießen, deren du bestimmt auch ein gut Teil hast, sondern um von dir aus Untersuchungen anzustellen darüber, ob Ruster Ausbruch und Böhmisch Boer wirklich nur innerhalb der böhmischen Grenze schmecken und um die süße Gefahr durchzukosten, mit einer wohlgefüllten Zigarrentasche den gestrengen Herren Finanzern zu begegnen. – Und wärest es doch wahrlich wert, daß man auch dich „studiert“. Zu einer richtigen „Bierreise“ jedenfalls taugst du mit deinen mancherlei Ortsteilen ganz überraschend schön. (Und ein ehemaliger Annaberger Seminarist mus das doch wohl beurteilen können, gelt?) Und was da für ein Kleinod in deinem Berg besitzest, ist leider recht spät erkannt worden. Ob sich dein Schützer im Lenz die schmucke Krawátte des Buchenwaldes vorbindet, um seine kleineren, fichten-dunkel daliegenden Brüder zu ärgern, ob er im Oktober rotes Buchenland wie Rubinen auf sein grünsamtnes Wams streut oder ob er sich im Winter mit der Pracht tausendsternigen Rauhreifes schmückt, – schön, verlockend schön bleibt dein Berg immer! Und statt zwischen winkligen Gassen unter fremdsprechenden Meschen eine Poesie gewaltsam finden zu wollen, die längst verrauschte mit dem alten Habsburgerreiche, sollten die Gäste deinen Mauern treu bleiben oder deinen Berg aufsuchen. Da oben gibt es Poesie! Und für anspruchslosere Gemüter vermutlich auch die Freuden und Genüsse einer böhmischen Bierreise; nur daß sie im eigenen Land genießbar sind. Versuch’s getrost, Bärenstein „zu entdecken“, es wird sich lohnen für alle Ansprüche. Damit es nicht weiterhin heiße für die Böhmenfahrer: „Schirme, Stöcke, Fahrräder, Autos und Kinder sind in Bärenstein abzugeben!“ Erwandert euch zu allererst die Heimat, ihr lieben Leut‘, und der Bärenstein mit den traulich anschmiegenden Häusern zu seinen Füßen ist eines von den feinsten Fleckchen darin! –

Krieger-Ehrenmal in Bärenstein.

Bärenstein mit Stahlberg und Kühberg.

„In Polen brummt ein wilder Bär, ihr Bienen, gebt den Honig her!“ So steht es in den alten Kinderlesebüchern zu lesen. Wir brauchten aber früher gar nicht so weit zu laufen, um Bären brummen zu hören: überall im Gebirge hausten diese Zottelpelze, und noch 1670 fanden ja die Schwarzenberger unweit ihres Ortes zwei Bären im Winter erfroren auf. Besonders mag das Felsgeklüft gelockt haben, das unbewaldet -, gleich dem Pöhl- und Scheibenberg, – an der Grenze wie ein Reichswächter starrte. In den Basaltschluchten und -höhlen muß sich Meister Petz recht wohl befunden haben, denn als am Sonntag vor Martini 1527 der Abt Johannes vom Kloster Grünhain den Hans Rohlingk (Röhling) mit einem Stück Grundbesitz belehnte, war der Felsblock schon als „Bärenstein“ bekannt. Da, wo später das sogenannte „Mannlehngut“ erstand, mag der Ort seine ersten Häuser stehen gehabt haben, die den Namen des Berges annahmen und so der Siedelung ihren Namen gaben. –

Der Basalt-Bruch am Bärenstein.

Wie Stahlbergs Namen entstand, ist urkundlich nicht zu erfahren; man geht wohl nicht fehl, wenn der Name mit dem Bergbau in Verbindung gebracht wird. Denn als von der Grenze her ein neues „Geschrei“ von Erzreichtum in die alten Bergstädte drang, wurden viele Bergleute gelockt, sich dort anzusiedeln. So entstanden ums Jahr 1550 ziemlich gleichzeitig Neugeschrei, Niederschlag und Stahlberg. Der Name „Blechhammer“ gibt unserer Vermutung ja auch recht.

Eine sehr interessante Gründungsgeschichte hat Kühberg aufzuweisen. – Die bequemste Namensdeutung ist die, daß die Kühberger Höhe für eine der Nachbargemeinden als Ortsweide benützt und darnach benannt worden sei. – Kulturgeschichtlich überzeugender ist folgende Siedlungsgeschichte: Bis zum Jahre 1366 (Aufhebung des böhmischen Straßenzwanges) war die uralte Heeresstraße, die von Preßnitz über Kühberg – Obersehma-Cranzahl – Schlettau – Zwönitz nach Leipzig zog, die einzige Fuhrstraße für Fracht- und Postverkehr zwischen Deutschland und Böhmen. Außer dem Paßdurchbruch am Rande des Ratswaldes (hinter dem Blechhammer) und einem zweiten, der etwa in 8 Meter Tiefe und gegen 20 Meter oberer Weite sich nach der Wolfsschmiede hinaufzieht, gibt es noch neun Hohlwege, die dort des Ausweichens halber angelegt sind. Welch ein Zeichen regsten Verkehres an dieser Stelle! Da mag jeder Fuhrmann gern in der „Kiweribi“ (wendisch: Ausspannung) eingekehrt sein, ehe er die Bergfahrt unternahm. Und Schmiede, Schlosser und Fleischer und Bäcker wurden an diesem Knotenpunkt des Grenzverkehres gebraucht und die Siedlung Kurpergk, Kurperge oder Khuperk genannt, wohl in anlehnung an das nicht mehr verstandene „Kiweribi“. Daß Soldaten aus Kaaden einmal das Wirtshaus gestürmt und niedergebrannt haben sollen, weil in der „Kiweribi“ Gäste ermordet und beraubt wurden, dürfte Sage sein, die aus zufälligen Knochenfunden beim Umbau entstanden sind.

Schlettau.

Du nimmst es mir nicht übel, gute „Muhme Schlete“, wenn ich dich auch hier nenne, wie wir dich immer schon als Kinder nannten, nicht wahr? Schlettau klingt unserem Ohr zu fremd, denn wirklich hast du dich ja an der Zschopau hingehockt wie eine gute Kindertante. Trotz des sumpfigen Bodens, der einst den sorbischen Gründern so viel Kopfzerbrechen machte, daß sie dich einfach „Moorboden“ tauften und so mit dem sorbischen Wort dafür (sleta) dir für alle Zeit ein Schildlein anhingen, das sehr bald nicht mehr die Wahrheit sprach. – Besuch hast du genug bekommen, freundliche „Muhme im Zschopautal“, willkommenen, aber öfter noch unwillkommenen. Deine Burg, deren Dach heute aus grünen Wipfeln grüßt, mag scharfe Wacht gehalten haben an der alten Heerstraße, auf der vielleicht schon deutsche Krieger gegen die Böhmen zogen, als unser deutsches Vaterland seine ersten Könige kührte. Und welch Kommen und Gehen auch von Handelsleuten, die auf dem Wege von Leipzig nach dem böhmischen Paß bei Weipert deine Gastfreundschaft nützten. – Dann aber kamen schlimme Gäste, die dich armes Städtel arg heimsuchten! Da halfen Stadtgraben und Mauern nicht; wie ein Bienenschwarm kamen die Hussiten erst und ein paar Jahrhunderte später die Soldateska des dreißigjährigen Krieges zu dir. Sogar Napoleons Heere schickten dir 1813 eine Schar Franzosen zu. Mord und Raub und Brandschatzung gab es da genug und mich hat es immer seltsam durchschauert, wenn ich als grünbemützter, lustiger Schüler am Schwedenkreuz zwischen Schlettau und Scheibenberg vorüberwanderte. Der fröhliche Sang wollte plötzlich nicht mehr recht gelingen, und der immer rege Frohsinn wich erschreckt vorm Grauen des Soldatentodes. –

Schlettau 1925.

Nun ist’s still in dir geworden, und nur der Lärm der Fabriken, in denen deine fleißigen Bürger in allerlei Werktätigkeit sich regen, stört deine Ruhe. Schmuck aber dehnt sich dein Ring immer weiter aus, und wo einst am „Beutengraben“ Plündergesellen fluchend ihre Beute teilten, wächst ein gefällig anzuschauendes Haus nach dem andern aus dem Boden. Und die einst toll schäumende und tosende Zschopau legt sich jetzt als silberne Borte ruhig an den Saum deines Kleides. —

Dort, wo Gneis und Glimmerschiefer sich berühren an der Wasserscheide zwischen Schwarzwasser und Zschopau, dehnte sich tückisch ein Moor. Träge rinnt ein Wasser hindurch, das zu Zeiten ob seines Eisengehaltes blutrot schimmert; just, als hätten Wassermänner blutige Händel ausgefochten um eine blondhaarige Nixe. Der Kiebitz ruft warnend, wenn Menschenfuß den schwankenden Boden betritt, und Schnepfen schwirren meckernd am Abendhimmel hin, gespenstisch leise, grauenweckend. So sieht die Heimat aus, die vor reichlich tausend Jahren den sorbischen Flüchtlingen Zuflucht bieten sollte. Vertrieben aus den gesegneten deutschen Auen des Niederlandes, ziehen die fremdvölkischen Scharen der Südgrenze des ungastlich gewordenen Reiches zu, um beim nächsten Vorstoß der Deutschen zu den Tschechen, den Slavenbrüdern über der Grenze drüben, flüchten zu können. Aber ein ganz wehrloses Volk wollen sie nicht sein; so werden Erdwälle zusammengetragen und Gräben geschachtet, bis eine einfache Wasserbefestigung einem ersten Ueberfall zu trotzen vermag. Ein böses Stück Arbeit war es, denn der Moorboden mußte erst entwässert werden, und die unbändige Sapawa (die Tosende) mußte in ein Flußbett gezwängt werden, das nicht erlaubte, daß über Nacht die armseligen Lehmhütten unter Wasser gerieten. So sind Zschopau und Schlettau (Slatin = Moorboden) recht sprechende Zeugen schweren Ringens um den Heimatboden. Um einen Heimatboden noch dazu, der bald geopfert werden mußte, weil die Heerhaufen der deutschen Könige hier eine steinerne Befestigung als Wasserburg anlegten als Schutz ihrer Heerstraße.

Scheibenberg.

Einen guten Geschmack hat der alte Zwergkönig Oronomossan gehabt, dich zu seiner Residenz zu wählen, das muß man ihm lassen! Daß Berg und Stadt so miteinander verwachsen erscheinen, wie ein Scheibenberg, finden wir selten: In grünragender Höhe der Scheibenberger „Hübel“ und davor, gleichsam lustig von Stufe zu Stufe abwärtsspringend, das Städtel im Schmuck seiner drei Türme. Ein feines Bild besonderen Reizes, vor allem dann, wenn vom Krähenhübel her oder vom Richterberg herüber die untergehende Sonne noch mit den letzten Strahlen die blanken Fenster anleuchtet. Da geht einem das Herz auf in Heimatfreude, und das Auge schaut wohl gar Oronomossans Zwerglein in bunten Röckchen auf den goldenen Strahlen Seil laufen. Obwohl, mit Oronomossan und seinen Goldschätzen -, das ist eine wunderliche Sache! Wenn ich als Bub‘ versuchte, mit unnatürlich bravem Gesicht und viel geheimnisvollem Getue den edlen Zwergkönig zu finden, um ihm ein Zentnerlein gleißenden Goldes abzubetteln, kam mir sicher ein Eichhörnchen in die Quere oder eine junge Amsel, die recht erbärmlich flatterte. Und wenn dann der „Schatzsucher“ erhitzt von natürlich vergeblicher Jagd wieder zum „Zwergloch“ zurückkam, war die Stunde verpaßt und ein zerrissener Hosenboden weckte Mutters Hand zum – Nähen. Freilich, zum Nähen! Wer wird denn gleich -. Einmal allerdings hätte mich der Zwergenkönig beinahe übel genarrt, und heute noch wundere ich mich über meine gesunden Knochen: ein „Schatzkeller“ soll am Scheibenberg versteckt sein, und ein richtiger „Gung“ muß den doch finden können, gelt? So turnte und kletterte ich in der Nähe des früheren Schlettauer steilen Aufstiegs umher, um ein Loch zu finden. Da rutschte plötzlich unter mir der überhängende Boden ab und ich sauste blitzgeschwind „kellerwärts“. ’s war aber gar nichts Schatzkellerhaftes dabei: zerschundene Haut und geplatztes „Sitzfleckel“ waren alles, was ich heimbrachte. – Nun haben klügere Leute das Schatzgraben angefangen und fahren gar noch den ganzen lieben Berg mit der Seilbahn zu Tale und dann auswärts. Oronomossan, alter Silberbart, wie lange schaust du noch zu, wie deine herrlichen Orgelpfeifen stürzen müssen, um zu Geld zu werden? – Mir ist immer, wenn ich die Sprengschüsse vom Berge höre, als wenn der Scheibenberg aufbrüllt gegen menschlichen Unverstand, der sich seine schönsten Naturdenkmäler selbst zerstört. Alles läßt sich wieder aufbauen von Menschenhand, nur Naturschönheit nicht! Verdient der Berg, den viele uns neiden, kein ander Schicksal, als daß seine Steine irgendwo auf Straßen zusammengetreten werden? Dem denket nach, und laßt euch bezwingen vom schönen Bild des Berges, den so prächtige Anlagen zusammenwachsen lassen mit seinem Städtel. Stellt euch im Abendsonnenschein auf’s „Knöchel“ oder auf den „Egerfelsen“ und geniest den unvergleichlich farbigen Anblick: blaue und rote Dächer, grüner Wald, gelber Sand und blaugrau schimmernder Basalt! Und die Essen zeigen verwurfsvoll hinauf zum Berg, der ihren Rauch mit grünen Polstern aufsaugt, um euch reine Luft dafür zu bieten, und rufen euch zu: „Laßt uns arbeiten für Geld und laßt euch dran genügen! Den Alten aber laßt zufrieden in seiner Bergschönheit!“ —

Scheibenberg 1926.

Im Jahre 1522 wurde von den Herren Ernst und Wolf von Schönburg die neue Siedelung „Scheibe am Berg“ gegründet, nachdem sich das am Fuße des Berges liegende Dorf Scheibe als zu klein erwiesen hatte, die aus der Umgegend zusammenströmenden Bergleute zu beherbergen.

Der Name „Scheibe“ läßt sich schwer erklären; vielleicht benannten die Harzer Bergleute, die zuerst im Flurgebiet des Dörfchens nach Eisen suchten, die Siedelung nach ihrem Heimatorte? Steckt ein Wort der Harzer Mundart dahinter? – So ist auch Scheibenbergs Name noch nicht klar gedeutet; wenn im Süddeutschen „scheiben“ statt „schieben“ gesprochen wird, so sind zwar bergbaulich keine Gründe abzusehen, weshalb zwei Siedelungen davon den Namen bekommen sollten, aber vom Feuerrad-Scheiben (Schieben) her läßt sich vielleicht die Lösung finden.

Als Begründer des Silberbergbaues hat Kaspar Klinger aus Elterlein zu gelten, der schon 1515 erfolgreich am Scheibenberg auf Silber schürfte. – Wann in den Dörfern Ober- und Unterscheibe der Eisenbergbau begann, ist nicht genau erkundbar; wir werden mit dem Jahre 1500 ungefähr das richtige treffen.

Dörfel.

Ohne Siegelbild und ohne Gründungssage ist es schwierig, für Dörfel das rechte Bild zu zeichnen.

Alte Chronikblätter weisen bis 1200 zurück als Gründungszeit, während die Ueberreste bergbaulichen Gewerbes der Einwohner natürlich in eine spätere Zeit weisen. Wir entfernen uns wohl nicht allzuweit von der Wahrheit, wenn wir die Ortsgründung ebenfalls deutschen Siedlerbauern zuschreiben, die das Dörfel unweit des Hermannsdorfes bauten, so wie etwa Großrückerswalde und Kleinrückerswalde, Geyer und Geyersdorf ihren Namen erhielten. Daß die ursprünglich kleine Siedelung dann durch Bergleute Zulauf erhielt und die heutigen ortseingesessenen Bauerngeschlechter sich mischen aus bergbaumüden Zuwanderern und altgesiedelten Familien, verraten die verschiedenen Familiennamen.

(Fortsetzung folgt.)