Guido Wolf Günther.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 25 – Sonntag, den 19. Juni 1927, S. 1
(Fortsetzung.)
Mittweida-Markersbach.
Wie doch das Brombeergestrüpp mit herbstbunten Blättern sich um den alten Ebereschenstamm rankt in zierlichem Geflecht! Just, wie wenn ein Maler lustige Arabesken auf silbernem Grund malte. Und ich sitze am Waldrande und schaue in’s Tal hinab, wo Häuslein neben Häuslein in langer Ranke sich hineinschmiegt in die enge Niederung. Hier und da ein Seitenzweiglein, wenn ein Bächlein freundlich einlud zur Siedlung; nie aber das Gewimmel von Dächern, wie es das Stadtbild bietet. Sind ja auch nur bescheidene Dörflein, die sich da unten langzeilig strecken: Ober- und Unterscheibe, Mittweida und Markersbach. Kaum, daß die Landkarte sie nennt und doch sind sie in ihrer Art auch wert, daß ihrer gedacht wird. Sieht es nicht aus, als hätte der biedere, alte Scheibenberg da an seinem Fuße ein paar lustigschlängelnde Bänder hängen, die dem alten Burschen den Anschein geben, als sei er in jungen Jahren zu Tanz gewesen und habe vergessen, den einen Tanzschuh auszuziehen? Und die im Herbstsonnenstrahl sich stählern spiegelnde hohe Eisenbahnbrücke sei eine schmucke Schnalle, die flatternden Bänder zu halten? – Hinter mir hebt sich surrenden Fluges ein Volk Birkhühner aus dem Heidekraut und streicht talwärts dem Rande zu, dessen Vogelbeergesträuch wohl ungestörtere Weide geben mag. Da formt sich mir ein anderes Bild: der Scheibenberg und sein Städtel als Glucke und die kleinen Dörflein im Grunde die Küchlein, die vorwitzig den schützenden Flügeln entronnen sind, um im „Miepner“ Tal sich zu freuen an Waldluft und Wildwasser. Aber nicht in beschaulicher Ruhe verträumen die Dörflein ihre Zeit; dort, wo der Hang sonnenbeschienen sich weitet, mühen sich fleißige Bauern um kärglichen Ertrag. Unten aber, wo im engen Tal die Kinder des Fichtelberges und die Gewässer alter Stollen zischend und gurgelnd über Mühlräder springen müssen, sägt und knarrt und rattert es tagaus, tagein in Fabriken und Schneidemühlen, als ob die weite Welt allein aus dem „Miepner Grund“ versorgt sein wollte. – Ein lustig‘ Bild von zerstreuten Spielzeughäuslein scheint’s – und ist doch eine Stätte fleißiger Arbeit. –
Frohnau.
Wem gehörst du eigentlich zueigen, kleines Frohnau mit dem großen Ruf? Zieht es dich über den Schottenberg hinüber zu St. Katharinen, oder hältst du dich lieber fest an St. Annens Mantelsaum? Beiden wäre es eine Ehre, dich zu besitzen, denn ehrwürdigen Alters bist du beiden Bergstädten voraus, und in deinen Fluren knistern und knacken allenthalben die Schacht- und Stollenzimmerungen aus längstbegrabenen Zeiten, die den Bürgern der größeren Nachbarorte Wohlstand und Ruhm brachten. Einer bescheidenen Magd gleich, hast du zugesehen, wie in der Tiefe deiner Gemarkung edles Erz gebrochen wurde, und doch der Reichtum den anderen zugute kam. Nun liegen beide groß und stattlich da aus deiner Kraft, und du selbst schmiegst dich schier ängstlich zwischen Schreckenberg und Kätchenstein, als wolltest du den beiden vornehmen Schwestern nicht zur Last fallen. – Und birgst doch neben den vielen, altschindeligen Huthäuschen das Kleinod des Hammers, der breitlastend die Sehmaaue mit schwerem Gezäh‘ und wuchtigen Hämmern drückt. Der liebe, alte Hammer! In dessen Halbdunkel die Umrißlinien alle so märchenhaft verdämmern und auf dessen werkmüdem Gerät die liebe Sonne durch Luken und Schindelschlitzen so wunderliche Kringel zu malen weiß. Wie oft saß ich nicht und träumte dem Raunen des Wassers nach, das außenhineilend im alten Fludergraben müßiges Spiel treibt. Und sollte doch deine Schönheit auf Papier zeichnen oder malen; – als ob es für solches Werk nicht des Griffels eines Meisters bedürfte! Als ob man solches Geheimnis nicht am besten in einen Holzschnitt bannte, wie die alten Meister es taten. – Manchmal freilich, – der kunstbegeisterte, wackere Lehrer wird es unserer Jugend verzeihen, – schlich der eine oder der andere aus dem kühlen Halbdunkel, um andere „Vorlagen“ zu suchen, und – fand sie drüben in der Hammerschenke bei Freund Martins schäumendem Biere. Schnell hinabgetrunken, entdeckungsgefahrbange und doch so köstlich mundend, weil’s verbotener Genuß! — Thronend über grünmoosigen Dächern, fast protzend in neuem Gewand, zeigt sich im alten Bilde die „Bäuerin“. Herblinig wachsen aus dem dunklen Holzschnitt die Häuerfrauen, die Greise und Kinder heraus, die in gedrängter Menge vor der reichen Bäuerin Haus harren des Weines, der ihnen in frevelndem Hochmut gespendet wird und doch nichts anderes bedeutet, als das – Badewasser einer größenwahnsinnigen Berggewerkin. – Dann geistert Teufelsspuk und fahrender Schüler Schatzgräbersucht durch das Bild, und die Sage vom „letzten Heller“ und der „Teufelskanzel“ wird lebendig und spielt um Hütten und Hain. – Oder des frommen Steigers Günzer Töchterchen schreitet betend um den „Kätchenstein“, und im Gewirr der Linien enträtselt sich uns die wunderliche Geschichte vom Teufel, dessen Künste an der Frömmigkeit der beiden Frohnauer zerschellten. – So blättere ich gern in alten, strenglinigen und doch so sprechenden Bildern, wenn ich dich, bescheidenes Frohnau, von den umliegenden Höhen aus erschaue. Im Herrenzimmer deines ehrwürdigen Hammerwerkes beriet man am 21. September 1496 die Gründung der „Neustadt am Schreckenberg“, der nachmals die Kirche den geltenden Namen gab. Und heute will dich die Tochter aufnehmen ins Gewirr ihrer Häuser, wie ein altes Weiblein, dem man das Auszugstüblein einräumt. Wir aber vergessen dich nicht, Hammerdörflein voll reicher Erinnerung, und geben dir herzgefühlten Glückwunsch mit, wenn künftig dein Geschick aufgehen sollte im Ergehen der größeren Stadt!
Mildenau.
Ob Mildenau wirklich schon 1270 bestanden hat, wie eine Urkunde aus alter Zeit erzählt? Dann sind es wahrscheinlich Siedlerbauern gewesen, die die „Mildenau“ in eine „Reichenau“ oder in eine „Milde Aue“ verwandelt haben. Alle drei Lesarten finden wir in alten Schriften, und es ist auffällig, daß bergbauliche Erwähnung bei der Siedlungsgeschichte fehlen. So ergibt sich Ackerbau, vielleicht auch Forstwirtschaft als Gründungsursache, und der Bergbau mag dem Orte dann weitere Ausdehnung gebracht haben.
Königswalde.
Ein töricht Bildlein laßt mich noch malen: ein gar stattliche Dame führt ein kleinwinzig Hündlein an einer sehr, sehr langen Leine. Und die stattliche Dame ist Annaberg, und das Hündlein ist – Königswalde, das von der Kette der Ueberlandleitung am Halsbändchen gehalten wird! Toll, gelt! Und doch – kuschelt sich nicht Königswalde heute wie ein gutgepflegter Seidenpinscher schneeweiß an den Pöhlberg, und hüpfen seine Häuser nicht im Sommer wie eine lustige Schar kläffender, brauner Teckel mit dem Pöhlbach talwärts, mühsam vom Pöhlberg an der Leine gehalten? So sehe ich immer das kleine, freundliche Bauerndörfel, und mir scheint es kein Schimpf, sondern ein Freude, es so fest mit St. Annen verbunden zu wissen! –
Zwei Siedlungen, getrennt durch ein dünnfließendes Wässerlein, strecken sich langgestreckt im Pöhlatal. Heute ein Dorf, das kaum noch auf den trennenden Wasserlauf achtet, waren früher Königswalde (nach einem böhmischen König genannt) auf der linken Seite und Lichtenhain (Grenzort) auf der rechten Seite des Pöhlbaches nach Gründung und Herrenuntertänigkeit verschieden. – Wohl durch fränkische Bauern gegründet (man denke an die langzeilige Bauart und die kennzeichnenden gleichlaufenden Steinwälle auf den Flurstreifen), wird das Jahr 1250 als Gründungszeit richtig angegeben sein. 1367 urkundlich zuerst erwähnt, wechselte Königswalde sehr oft seinen Herrn, bis es schließlich ins Amt Grünhain gehört und den Namen „Amtssteite“ behält, als auch schon beide Siedelungen vereinigt waren und unter einem Staate standen.
Von Wolkenstein aus wurde um 1200 schon die nachmalige „Ratsseite“, bezw. Lichtenhain gegründet. Einmal sogar ans Kloster Buch bei Leisnig verschenkt, kam dieser Ortsteil 1492 an Heinrich von Einsiedel, der ihn an Paul Thumshirn aus Annaberg verkaufte. Im gleichen Jahre noch, – 1512, – verkaufte Thumshirn „das halbe Dorf Königswald mitsamt den Wäldern und aller Zugehörungen um 3035 Gulden“ an die Stadt Annaberg.
Schmalzgrube.
Wandermüde sitze ich am Feldrain, der sich ins grüne Gewirr der nahen Fichtenjugend verliert. Säuselnd weht der Wind, und die Grillen zirpen ein Schlummerlied, das mich nur allzurasch einwiegt. – Da glutet am Abendhimmel eine Feuergarbe auf, und düster-prächtig zeichnet sich gegen das Schieferblau des Firmamentes der Umriß eines Hochofens ab. Rußschwarze Männer wimmeln um das Bauwerk. Da – zischend schießt eine feuerglutende Schlange aus dem Zapfloch; aber Menschenwille weist dem glühenden Strom den rechten Weg zur „Schmelzgrube“, in der sich formloses Durcheinander aufgeschmolzener Atome binden muß zu sinnvoller Form. – Die kleinen Hütten und Häuschen aber, die sich an die Schmelzgrube hingekuschelt haben, sind gut Freund mit dem Ungetüm von Hochofen und haschen gern den Flackerschein des feuerspeienden Gesellen. Ist’s doch der Brotvater aller derer, die in den Hütten hausen, und die Glut seines steinernen Leibes ist notwendig, wie das liebe, warme Blut im eigenen Leibe! – Ein fürwitzig Ameislein hat mich aus meinen Träumen wachgekitzelt, und verwundert schaue ich das Dörfel ohne Hochofen und Schmelzgrube an, das um 1580 schon ein bekannter Schmelzort war. Drüben in Westfalen und am Rhein fackeln jetzt, ins Riesenhafte vergrößert, die Hochöfen und spotten der winzigen Brüder, die an der anderen Grenze einst sich wichtig taten mit glühendem Drohen und Zischen. Und ist’s nicht ein wunderlich Spiel des Zufalles, daß unsere Hochöfen wie Wächter an den Grenzen stehen und standen? O, daß sie doch in ihren Gluten alles vergehen ließen, was mit frechgieriger Hand nach deutschem Gut und Blut greift!
Schönfeld.
Wenn auch erst vom 15. Jahrhundert an Urkunden vorliegen, so dürfte die Siedelung wesentlich eher entstanden sein. Wohl aus gleicher Urkunde wie Wiesa leitet sich der Name her: Bergleute, die in dieser Gegend auf Eisen bauten, fanden das „schöne Feld“ zur Siedelung wie geschaffen und erweiterten die wenigen Bauernhäuschen bald zum Dorf. Mit rund einem Dutzend Schönfeld, Schönbach, Schönberg, Schöneck, Schönheide, Schönbrunn usw. lockt das freundliche Bauerndorf, seine ländliche Schönheit zu genießen, und läßt es vergessen, daß keine geschichtliche „Besonderheit“ es sehenswert macht.
Neundorf.
Wohl als Abzweigung Wiesas sind „neue Häuser“ an der Berglehne gebaut worden, die sich schließlich zum „neu(e)n Dorf“ entwickelten. Mit der Zahl „neun“ hat vermutlich die Ortsbezeichnis nichts zu tun; die Meinung, daß neun Güter der Siedelung den Namen gegeben haben, ist urkundlich nicht zu stützen. Um 1800 hat das Dorf „80 Feuerstätten und teilt sich in Ritterguts- und Amtsseite“. 1571 werden Hans Christoph und Nicol Stange zuerst als Gutsherren erwähnt. Wo jetzt die neue Straße die Talstraße trifft (Graupner), hat bis 1637 die „Stangenmühle“ gestanden und die Erinnerung an die ersten Herren von Neundorf wachgehalten. – Ein Bergamt hat Neundorf im 17. und 18. Jahrhundert auch besessen; so dürften Forst- und Landwirtschaft den Grund der Siedelung gelegt haben, und durch den Bergbau ist der Ort zur jetzigen Größe gelangt.