Streiflichter über erzgebirgische Verhältnisse vor 150 Jahren (2)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 37 – Sonntag, den 25. September 1927, S. 2

(Fortsetzung und Schluß.)

Ich will hier noch der wunderbaren und mit vieler Ersparung des Düngers verbundenen Art des Ackerbaues gedenken, deren man sich hier im Gebirge bedienet: Nachdem man das Feld sehr fett gedünget hat, wird Kraut oder Erdäpfel auf solchem Acker erbauet oder auch Korn und Weizen hineingesäet. Im anderen Jahre wird ungedüngt noch eine Frucht gebauet. Dann bleibt vom 3. Jahre an dieser Acker brach liegen, so daß Gras darauf wächst, welches sehr hoch und dicke gedeihet. Ein solcher Acker, der zum ersten Male Gras trägt, pflegt mit sehr vielen bunten Blumen das Auge zu belustigen. Nun trägt derselbe Acker wohl 5-6 Jahre nacheinander Gras, bis endlich, wenn das Moos überhand nehmen will, der Grasacker wieder aufgerissen, der Rasen umgestürzt und Hafer hineingesäet wird. Nachdem zwei Mal Hafer oder Flachs darein gesäet ist, wird von neuem gedünget, und der ganze Prozeß gehet von vorn wieder an.“

Die gute, alte Zeit.

„Wenn unsere Vorfahren ihr Haupt aus dem Grabe hervorheben könnten und die Moden der itzigen Welt in Kleidungen, die Art zu komplimentieren, die ausgesuchten Kunstgriffe, sich gefällig zu machen, die Gabe zu verschwenden, die große Fertigkeit, ins Angesicht die größten Schmeicheleien und hinter dem Rücken die beißendsten Spottreden zu sagen, die Erfindung in Leckerbissen gewahr werden sollten: sie würden entweder sich oder uns beneiden oder auch bedauern. Wenn die alten gebirgischen Biedermänner in unsere Gesellschaften kämen, wenn sie hören sollten, wie wir uns bei dem Empfang auf das zärtlichste umarmen und doch mancher mit lachender Miene gleich darauf einen verwundernden Spott auf Unkosten seines Freundes, um witzig zu erscheinen, anbringet oder mit Hohngelächter seinen Freund hinter dem Rücken beleidigt; wenn die Alten, bei denen Handschlag, Eidschwur und ein Jawort besser als ein Wechselbrief war, die itzigen Täuschereien gewahr werden sollten; wenn sie unseren Coffeegesellschaften beiwohnen und hören würden, wie der Coffee oft so gesprächige Lästerzungen macht: Sie würden gewiß glauben, daß ein fremdes Volk nach ihnen eingewandert oder daß ihre Nachkommen unglaublich ausgeartet sein müßten.“

Von der gebürgischen Teuerung und Hungers-Not, welche in den Jahren 1771/72 das Gebürge sehr gedrücket hat.

Ursachen der Teuerung: „Es ist an dem, daß in den Jahren 1770/71 ein großer Mißwachs war, der von ungedeihlicher Witterung und Ungeziefer hergekommen ist. Schon im Frühjahre 1771 war es sehr naß, daß man nicht zum Eggen kommen konnte, daher der eingestreute Samen verfaulte. Es sind sogenannte Hungerquellen auch auf hochgelegenen, sonst trockenen Feldern entstanden. Viele Platzregen rissen das gute Land und den Samen fort. Man hat von Ostern bis Michaelis 19 Ueberschwemmungen gehabt. Durch die große Nässe nahmen die Schnecken und Würmer überhand, daß die gewöhnlichen Mittel, als ungelöschter Kalk, Asche, Sand, das Einweichen des Samens in Mistjauche wenig fruchtete. Wegen der nassen Weide ist ein großes Sterben unter die Schafe gekommen, indem in mancher Schäferei auf 200 Stück umgefallen sind, daher der itzige hohe Wollpreis noch kommet, da jetzt ein Stein Wolle 8 Thaler gilt.

Die Versperrung der Nachbarländer ist an der großen Not auch viel Schuld gewesen. Ehemals konnten wir aus dem gesegneten Niederlande, auch aus Böhmen und der Altenburger Gegend Zufuhr haben. Itzt aber waren diese Länder verschlossen, da sie selbst der Mangel drückte und der Zwickauische Kornmarkt war unsere einzige Zuflucht. Unsere gebirgische Ernte ist, wenn sie auch gut ausfällt, doch bei weitem nicht hinlänglich, die zahlreichen Einwohner des Gebirges zu ernähren; denn wegen der vielen Waldungen haben wir weniger Feldbau als anders wo, und unser Boden ist auch nicht so fruchtbar als im Niederlande. Daß aber die Ernte des 1771. Jahres noch schlechter als die übrigen ausgefallen ist, solches lag außer der Ungunst des Wetters auch an dem schlechten Samengetreide. Weil viele den zu Mehl mahlen lassen mußten, blieben dann ganze Felder unbesät. Zudem noch die große Zahl der Leute. Unser Bergvolk, welches sehr zeitig heuratet, zeuget viele Kinder. So wird das Gebirge sehr volkreich und die Teuerung stieg dadurch so, daß ein Dresdner Scheffel Korn 14, Weizen 15, Gerste 9, Hafer 5 Thaler galt.“

Folgen der Teuerung: „Da mußten nun viele unserer Einwohner ihre Kleider, ihr Geschmeide, ihren Hausrat verkaufen. Es fehlte nicht an Leuten, welche sich schwerlich dabei an ihren Nächsten versündigten, da sie den Notleidenden ihre Köstlichkeiten abzwangen und sie um den 10. Teil des wahren Werts an sich brachten. Es bereicherten sich viele unter den Seufzern der Witwen und Armen. Es ist gar viel sündiger Wucher getrieben worden. Eheleute sind wegen der teuren Nahrung mißgünstig gegeneinander geworden und haben Schlägerei getrieben. Die Kinderzucht ist unterblieben. Mancher hat auch sündiges Betteln getrieben, viel Dieberei hat die Not veranlaßt, mancher hat Herz und Hand gegen seine Brüder mit dem Vorwand verschlossen, daß er selbst nicht wisse, was er für sich nötig haben werde. Auch Reiche mußten gar oft darben, weil sie keinen Zins von den ausgeborgten Geldern erhielten. Der Wert der Häuser und Gebäude ist über die Hälfte gefallen. Die alten verborgenen Schätze wurden hervorgesucht, manches Schaustück und Familienerbstück kam in fremde Hände. Die Handwerksleute mußten oft ihr Werkzeug verkaufen, um nur einige Tage Brot für die schreienden Kinder zu erhalten. So kamen ganze Familien an den Bettelstab, die vorher in gesegneter Nahrung gestanden. Unsere Gotteshäuser wurden wenig besucht, weil die Leute wegen des Mangels an Kleidern sich schämten, ans Licht zu kommen. Und die noch kamen, saßen da und weineten. Die fröhlichen Gottesdienste des Herrn wurden in lauter betränte Bußtage verwandelt.

Da an allen Orten das Brot so teuer wurde, so konnte man das Geld nicht für Kleidungsstücke ausgeben. Man behalf sich mit einem alten Kleide und dachte nicht wie manche eitle Stutzer, welche unter einem glänzenden Kleide einen leeren Beutel und noch leereren Magen verbargen. Die Schönen behalfen sich mit den alten Spitzen und Bändern; der Modegeist hatte wenig Eindruck auf ein Herz, welchem die Not den eitlen Geschmack abgewöhnte.

Man mußte zu allerhand ungesunden Speisen seine Zuflucht suchen. Die gröbste Kleie wurde mit Wasser vermengt, in der Ofenröhre zu Kuchen gebacken und mit heißem Hunger verzehrt. Allerlei Kräuter wurden ohne Wahl zusammengesucht und selbst das Gras wurde eine Speise des Menschen. Unter das Brot mischte man die Quecken des Feldes. Die Armen kochten die Knochen, die vor den Türen gefunden wurden, nochmals aus. Ein Krautstrunk und unreife grüne Erdäpfel wurden oft mit heißer Begierde verschlungen.

Die Bettelei nahm sehr überhand, wie denn an manchen Tagen über 400 Arme vor unseren Türen unsere Freigiebigkeit ermüdeten. Viele überließen sich auch ohne Not dem Betteln, weil es Mode geworden war. Die Schulen standen zum größten Teil leer. Den Feldfrüchten wurde allerorts nachgestrebt, die gelegten Samenerdäpfel wieder ausgegraben und Backhäuser und Mühlen mußten Tag und Nacht vor Dieben bewacht werden.

Der Tod hat eine große Ernte unter uns gehalten, denn es entstand ein faules Fieber, welches viele ins Grab stürzte. Unsere Gottesäcker sind angefüllet worden und haben an vielen Orten müssen erweitert werden. Die Leichen konnten auch nicht alle öffentlich begraben werden, sondern die meisten wurden wie zu Pestzeiten des Nachts beerdigt. Es hat die große Gleichgiltigkeit der Leute mich oft in Bewegung gesetzet, mit welcher Weiber den Tod ihrer Männer, und Männer den Tod ihrer Weiber, Eltern den Tod ihrer Kinder und umgekehrt anmeldeten. Sie waren all diese kläglichen Auftritte genugsam gewohnt. Die armen Leute wurden nachts in einen Kasten zur Ruhe gebettet. Manche geschickte, fleißige Hand ist erstarrt, mancher Gottlose ist hinweggerafft, mancher rechtschaffene Prediger, mancher geschickte Arzt ist ein Raub des Todes geworden.

Unser ausgestandenes Elend ist nicht genugsam zu beschreiben. Man sah in diesen Tagen der Angst wandelnde Leichen, verschmachtete Totengerippe in Menge: Jünglinge, welche mit wankenden Knien umherschlichen und sich mit zitternden Händen auf den Bettelstab stützten, Gesichter, welche vom Hunger mit totenblasser Farbe überzogen waren und deren schmachtende Augen und Tränen das noch sagten, was die am Gaumen klebende Zunge nicht mehr aussprechen konnte. Kinder liefen ohne Zucht und Aufsicht fast nackend herdenweise umher und schrien nach Brot. Es haben sich viele dieser Hilflosen gar verirrt und sind auf ihren Bettelgängen in ganz andere Gegenden gekommen. Man fand Leichen, welche auf freiem Felde, an Sträuchern, an kleinen Hügeln, um einige Augenblicke Odem zu schöpfen und auszuruhen, vom Tode ereilt worden waren. Ich selbst bin Augenzeuge dieses so großen Elends gewesen, daß es mit der Feder nicht genugsam geschildert werden kann.“