Vom Leben und Wirken M. Christian Melzers (7)

Von Stud.-Rat A. Schuster, Annaberg.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 17 – Sonntag, den 22. April 1928, S. 2 – 3.

(6. Fortsetzung und Schluß.)

Der Grundsatz „Freie Bahn dem Tüchtigen“ war damals noch nicht ausgesprochen, doch handelte man danach. Der Lebenslauf einiger Lehrer Melzers (Seifart, Beyer) bewies das schon, und oft finden wir Leute, die ihren Beruf wechseln oder mehrere Tätigkeiten zugleich ausüben. Ohne moderne Verkehrsmittel kamen die Leute weit in der Welt herum. Man muß staunen, mit welch frischem Wagemut die Leute in die Fremde gingen. Buchholzer Bergleute richteten in Norwegen bergmännische Wasserkünste ein. Erzgebirgische Klöppelmädchen gingen nach Schweden. David Krieg, ein geborener Crottendorfer, war in Frankreich und in Virginien (Amerika), hielt sich dann im Erzgebirge auf und ging als Arzt nach Riga, wo viele Erzgebirgler eine gesegnete Handlung trieben.

1698 stirbt siebzigjährig Michael Kneuper, als sogenannter „Arzt“ in Buchholz und chymicus (Chemiker) weithin bekannt. In seiner Jugend war er ein Betteljunge und schlief oft auf dem Pflaster in Annaberg, er wurde dann Musquetier und Kammerdiener beim Grafen Seréni in Ungarn und geriet in den Türkenkriegen mehrmals in Sklaverey. Er wurde ranzioniert (losgekauft), diente, da er Deutsch, Ungarisch und Kroatisch sprach, eine Zeitlang als Dolmetscher, dann kommt er nach Hessen und an den Rhein, wird pestkrank und heilt sich selbst. Er wird aber dadurch von seinem Herrn getrennt und läßt sich von Kurmainz als Pfeifer anwerben. Nach dem Kriege kommt er nach Buchholz, arbeitet als Bergmann, wird aber dieser Arbeit bald müde und zieht als Komödiant oder Puppenspieler in den nordischen Königreichen und in Deutschland umher. als chymicus kommt er zurück, denn er hat als türkischer Gefangener einem Arzte gedient und dem manches abgelauscht. Er hatte einen guten Ruf als „Arzt“, im Jahre 1680 kurierte er bei einer furchtbaren Pest viel Leute in Marienberg und andern Orten und verdiente sich dadurch ein Vermögen. Zwar mußte er wegen eines Streites mit dem Buchholzer Rate eine ziemliche Summe zahlen, — er hatte bei einer Holzversteigerung das Volk gegen den Rat aufgehetzt — doch wurde er schließlich selbst Ratsherr und Kurfürstlich Sächsischer erster Steuereinnehmer in Buchholz. Das Staatsamt gab er allerdings bald wieder auf, da ihm seine Kunst und sein Malzhandel mehr einbrachten. Sein Sohn studierte und hat als wirklicher Arzt in Buchholz gewirkt.

Neben dem Abenteuer Kneuper mag noch ein tüchtiger, zielbewußter Kaufmann Erwähnung finden. Christoph Schreiber [II, 1721 p. 658] verunglückt als Zimmermann in Ronneburg und geht mit seinem Bruder nach Hause, wo er sich nach anderer Nahrung umsieht. — Er fängt einen „Sonnenkram“ an, „mit einer Butt voller Wirtz Dieten, Safran, Pfeffer und Ingber“, was alles er in Annaberg kauft, zieht er nach Böhmen. Dabei fängt er einen kleinen Handel mit Spitzen an, mit denen er schließlich allein handelt. Er geht bald nach Leipzig zur Messe, noch kann er sich keine eigene Bude mieten, sondern hängt seine Waren an die Seite einer Bude und wird sie bald los. Später mietet er sich eine eigene Bude neben einem Hamburger Kaufmann, der kostbare brabantische Spitzen führt. Der Erzgebirgler singt, betet fleißig und wird bald  alles los, so daß der Hamburger, der seinen rührigen Nachbar bewundert, ihm noch einen Teil seiner Ware zum Verkauf überläßt. Der Norddeutsche bietet schließlich dem Erzgebirgler Consortschaft und seine Schwester als Frau an. Schreiber reist mit nach Hamburg, sie werden handelseinig, und die Ehe wird glücklich geschlossen. Nach dem Tode seines Schwagers wendet sich Schreiber nach Danzig, um seinen Handel allein und vermittelst der Schiffahrt noch besser zu betreiben. Er hinterläßt bei seinem Tode seiner Frau und seinen vier Kindern 204 000 rthl., die er durch Spitzenhandel gewann.

Auch Bilder aus dem bürgerlichen Kleinleben der damaligen Zeit rollen sich vor uns ab. So gedenkt Melzer mit freundlichen Worten des langen Martin Flath aus Tellerhäuser, den man kurz „Teller März“ nannte und der 52 Jahre lang die Orgel in Buchholz schlug. [I, 172] Beim Spiel merkte man nicht, daß er stotterte, es habe aber rührend geklungen, wenn er zu Weihnachten spielte und sang: „Bengt Tollen lein, bengt Tollen lein, die Tollen mecken thut.“ (Bringt Stollen herein, die Stollen schmecken gut.) Er war außerdem Mägdeschullehrer und Lehrer der teutschen Jugend (Bürgerschule). Als die Schweden in Annaberg einzogen, spielte dieser Mann in einem Hause der Buchholzer Straße lustige Lieder auf dem Spinett, sodaß die Soldaten glaubten, ihre Offiziere hielten da ein lustiges Fest. Sie ließen also das Haus beim Plündern unbehelligt.

So bietet sich in bunter Reihe eine Fülle von Bildern, die uns die damalige Zeit lebendig machen. Manchmal können wir mit Stolz auf die Errungenschaften der heutigen Zeit blicken: Pest und Hungersnot sind nicht mehr so gefürchtet, Feuers- und Wassersnot bedrohen den Bürger heute nicht mehr so furchtbar und so oft, einbrechende Stege und morastige Straßen bilden keine Verkehrsgefahren mehr. Aber wenn man von all diesen Nöten der Vergangenheit liest, so bekommt man  doch auch Achtung vor den Menschen, die in all solcher Drangsal, nach Krieg und Not sich den frischen Lebensmut nicht nehmen ließen, sondern mutig und fröhlich schafften und neu aufbauten, was ein widriges Geschick niedergerissen hatte. Darin mag uns die Vergangenheit eine Lehrmeisterin sein.

22) II, 1721. p. 658.

23) I, 172.