Vom Schiebebock auf alten Straßen und Steigen zum Schiebböcker im Gasthaus.

Von Max Michaelis, Zwickau.

Glückauf. Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. Nr. 2, Februar 1937, S. 13 – 14.

Bei der Einkehr in einem Gasthaus müssen manche Menschen mit angebotener Knappheit im Beutel auf der rechten Seite der Speisekarte meist ganz unten die kleinste Zahl suchen, um dann auf der Zeile nach links zu gleiten und den Namen des Gerichtes festzustellen. Da stoßen sie auf das einfachste und billigste Essen „Käse mit Butter und Brot“ oder auch auf das Wort Schiebböcker, wenn es auch selten richtig geschrieben ist.

Grabmal eines Landfuhrmannes in Burkhardtsdorf.
Aufnahme: Max Böttcher, Burkhardtsdorf.

Das Wort Schiebböcker hat seine kleine Geschichte. Früher hing es einem armen Manne an, der mit dem Schiebebock auf alten Steigen und Straßen fuhr. Das war der Rußbüttler. An ihn erinnert heute noch der Rußbuttensteig von Schönfels nach Lichtentanne am Liebberg vorbei, eigentlich „Lieh- oder Lohberg“, auf dem von der Schutz- und Geleitsburg Schönfels das Feuer entzündet wurde, das dann vom Gasthof „Funkenburg“ auf der Höhe zwischen Mülsen und Lichtenstein weitergegeben wurde, wenn den Kaufgedingen von 30 – 40 Planewagen auf der uralten Handelsstraße Nürnberg – Warschau, dem sogenannten „polnischen Gleis“, Gefahr drohte. Reichenbach an dieser Reichsstraße, die in das Reich hinauslief, konnte mit seinen Gasthöfen am Straßenkreuz, mit „Sonne“, „Lamm“ und „Löwe“, die wohl alle golden waren und seinen vier Schmieden viel erzählen von Fuhr- und Kaufmanns-Herrlichkeit. Auch die Verbindung von Nürnberg nach Leipzig mußte auf der großen Stapelstraße bleiben der Zollstätten wegen und führte über Zwickau, dem bedeutende Einnahmen daraus flossen. Die spätere Straße nach Leipzig, die schon in Neumark abzweigte und über Werdau – Crimmitschau ging, war als Schleichweg mit verfallenem Frachtgut erklärt.

Der Rußbuttensteig überquerte in der Nähe der Schäferei des Rittergutes Schönfels die Stapelstraße und draußen am Forst auch die alte Poststraße, die den versumpften Pleißengrund mied, die oberhalb des Marterholzes von der Handelsstraße abzweigte und in Oberebersbrunn entweder nach Kirchberg und Schneeberg oder immer auf der Wasserscheide zwischen Pleiße und Göltzsch nach Reichenbach führte. In Oberhauptmannsgrün gab es gute Einkehr für die Weber, für Büttler und Bettler in der vom Volksmund genannten „Käsmühle“, die für billiges Geld einen guten Kuhkäse bot. An dieser Stelle mündete der Webersteig von Ebersbrunn in die Poststraße ein und ging mit ihr durch den Brändel an den Brauneisenerzgruben Emma, Thekla, Helene und Isolde, dem heutigen Jägerhof der Herren von Römer, vorüber bis kurz vor der einzigen Postsäule in unserer engeren Heimat, die auf freiem Feld als Wegweiser im Winter 1725 errichtet wurde. Auf einem anderen stillen Steig strebten die Weber von Irfersgrün vorbei an der „fernsuchtigen“ Marienhöhe in Waldkirchen den Faktoreien Reichenbachs zu.

Die Rußbüttler gingen mitten durch die Feld- und Wiesenflur von Ebersbrunn nach dem Gasthof Voigtsgrün an der Lengenfelder Straße bis in die Gegend um Wildenau, Stützengrün in das Kuhberg- und Auersberggebiet. Dort scharrten die Ärmsten der Armen Harz, verarbeiteten es in Pochhütten zu Ruß, füllten damit kleine Butten (Büttler!) oder Fäßchen aus Holzspänen, verschmierten Boden und Decke mit Kuhdreck, um sie dann auf dem Huckreff oder Schiebebock zu verstauen und im Lande im ehrlichen, beschwerlichen Handel abzusetzen. Der Ruß war begehrt als Ofenschwärze vor der Kirmeß und als Stiefelwichse. Eine Butte kostete nur wenige Pfennige. Die meiste Ware aber schafften die Rußbüttler nach Leipzig, wo sie als Druckerschwärze verwendet wurde. Gleich den Webern mit den blauen Bündeln, den „Flockensäcken“ und dem Postillon blieben die Rußbüttler auf dem Höhenrand des Pleißentales bis Werdau. Erst 1834 wurde eine Straße durch Steinpleis, Lichtentanne, Stenn, Ebersbrunn gelegt und damit die vielen Teiche und Tümpel, Büsche und Erlenstauden beseitigt und manche Insel der Kinderseligkeit an der jungen Pleiße zerstört.

Die Spesen auf der „Geschäftsreise“ unserer Rußbüttler mußten ganz gering sein. Manchmal waren die Armen 14 Tage unterwegs und hatten dann nur einen Taler gelöst. Dafür mußte die meist sehr kinderreiche Familie erhalten werden, neues Harz gekauft, neuer Ruß bereitet und auch die Kosten auf dem Handel bestritten werden. Wahrscheinlich erregten die Rußbüttler bei Bauern und Besitzern soviel Mitleid, daß sie geradewegs über die Fluren fahren konnten. Sie taten das sehr schonend auf schmalen Steigen, da ihr Schiebebock nur ein Rad hatte und ihr Ziehhund auch keine breite Spur trat. Freilich einkehren mußte der Rußbüttler im Gasthof oder im Reiheschank auch einmal. Sein Frachtgut war aber nicht so wertvoll wie das der Fuhrleute, die ihre Planwagen in den weiten Hof einlenkten, der mit Mauern manchmal geschützt war und am Abend verschlossen wurde. Auch in der Stube waren die Gäste getrennt. Am großen Tisch saßen immer als bestimmter Stamm aller Gäste die Fuhrmänner in hohen Stiefeln und schwerer Lederschürze beim reichlichen Deichselbrot und hielten getreu den Sinn des Spruches: „Brave Wirtsleut‘ an der Straßen darf der Fuhrmann nicht verlassen“. Der Rußbüttler setzte sich gedrückt an den kleinen Fisch an der Tür, an den Handwerksburschentisch. Er aß meist nur für 2 bis 3 Pfennige Käse und Brot und trank ein Schnäpschen dazu. Manche Einkehrstätten hatten unter Webern, Büttlern und Bettlern einen besonders guten Ruf und wurde des Käses und wohl auch der Behandlung wegen stark begehrt. Unsere Alten in der Heimat werden sich selbst gern der „Käsemühle“ an der Poststraße erinnern! Weil der Rußbüttler oder Schiebböcker immer nur Brot und Käse aß, rief die geschäftige Wirtin in gesteifter Schürze der Magd in der Küche zu: „Einmal für den Schiebböcker!“ Der Auftrag wurde kürzer und bündiger: „Schiebböcker!“ So blieb der Name Schiebböckeram einfachsten und billigsten Mahl im Gasthaus hängen. Es würde die biederen Büttler und Schiebböcker gewiß nur ehren, wenn sich unsere Gastwirte auf ihren Speisekarten und -tafeln zu einer guten Rechtschreibung des angepriesenen Schiebböckers entschließen könnten. Ehre genug hat der arme Büttler schon einmal erfahren. Er ist verherrlicht worden in dem schneidigen Militärmarsch des Inf.-Reg. Nr. 73 in Eger, dessen Trio beginnt: „Bin i nit a schöner Rußbuttenbua.“ Im Egerland freilich wird er jetzt nicht mehr besungen.