Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 29 – Sonntag, den 15. Juli 1928, S. 2.
Das sächsische Hochland im Bayrischen Erbfolgekriege 1778/79.
Von Schuldirektor Paul Thomas, Schlettau.
Das Jahr 1778 wird in der Geschichte des Erzgebirges ein ewig denkwürdiges Jahr bleiben. Die 150jährige Wiederkehr jener Zeit gibt uns Veranlassung, uns der Zustände und Begebenheiten zu erinnern, die damals die heimischen Chronisten in die Annalen ihrer Ortsgeschichten als denkwürdig eintragen mußten. Wenn auch die Kriegsschrecken des Bayrischen Erbfolgekrieges — des Einjährigen Krieges, wie er auch genannt wird — bei weitem nicht an die Greuel und das Elend heranreichten, die der Hussitenkrieg und der Dreißigjährige Krieg über den erzgebirgischen Kreis gebracht hatten, so wurden doch die friedlichen Städte und Dörfer des sächsischen Hochlandes durch die kriegerischen Wirren mehr in Mitleidenschaft gezogen als die anderen Gegenden des weitausgedehnten Kriegsschauplatzes.
Ende 1777 war Kurfürst Maximilian Joseph von Bayern gestorben, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen. Sofort erhob Kaiser Joseph II., der Mitregent der Kaiserin Maria Theresia, Ansprüche auf das schöne Bayernland, obgleich andere rechtmäßige Erben vorhanden waren. Zur Nachfolge kamen zunächst in Frage Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, in zweiter Linie aber auch der Kurfürst von Sachsen, weil die Schwester des verstorbenen bayrischen Kurfürsten (Maria Antonia) die Schwiegermutter unseres Landesherren war. Es fiel dem Kaiser nicht schwer, den ebenfalls kinderlos gebliebenen Kurfürsten von der Pfalz zum Rücktritt von seinen Erbansprüchen zu bewegen, zum Nachteil seines Vetters, des Herzogs Maximilian von Zweibrücken, dem der bayrische Kurhut ebenfalls hätte angeboten werden müssen, nachdem der Pfalzfürst auf die Erbfolge verzichtet hatte.
Das sächsische Herrscherhaus war nicht zu bewegen, auf seine berechtigten Erbansprüche zu verzichten. Da auch der alte Fritz nicht zulassen wollte, daß sich Österreich so leichter Hand ein politisches Übergewicht durch die Einverleibung von Bayern sichern konnte, so kam — weil auch Kaiser Joseph II. jede Vermittelung ablehnte — ein Bündnis zustande zwischen dem König von Preußen, dem Kurfürsten von Sachsen und den Herzögen von Zweibrücken und Mecklenburg, und der Krieg war nicht mehr zu vermeiden. Der alte Fritz griff noch einmal zu den Waffen. Er führte selbst ein Heer gegen Österreich, um den Kaiser anzugreifen, der in Böhmen an der Elbe ein festes Lager bezogen hatte. Prinz Heinrich von Preußen, des Königs Bruder, zog mit einem zweiten Heere durch Sachsen, dem sich hier die sächsische Armee unter dem Grafen von Solms anschloß. Im Plauenschen Grunde wurde das Hauptquartier bezogen. Von hier aus brach Prinz Heinrich mit der Hauptmacht über die Lausitz ebenfalls in Böhmen ein, während eine Beobachtungsarmee unter General von Möllendorf zurückgelassen wurde, die das Erzgebirge vor einem eventuellen österreichischen Einfall schützen sollte.
Die Möllendorfsche Armee wurde im Erzgebirge freudig begrüßt. Man fürchtete sich vor den Österreichern, indem man sich der Kriegsschrecken erinnerte, die schon so oft im Laufe der Geschichte über die Pässe des Erzgebirges aus Böhmen herübergetragen worden waren in die Täler des sächsischen Hochlandes. Da Möllendorf aber nirgends etwas vom Feinde spürte, so zog er — voreilig und unverantwortlich genug — seine Truppen aus der hiesigen Gegend zurück und setzte sich in der Freiberger Gegend fest. Wohl hatte Möllendorf einige schwache Beobachtungsposten (sächsische Reiterei) verstreut im Gebirge aufgestellt, diese mußten sich aber zurückziehen, als plötzlich unter dem österreichischen General Sauer und Leutnant Otto eine größere Truppenmacht über das Gebirge im sächsischen Hochland einbrach.
Oberwiesenthal hatte zuerst das zweifelhafte Vergnügen, die plünderungssüchtigen österreichischen Husaren, Dragoner und Kroaten zu begrüßen. Am 10. September 1778 überfielen sie das ahnungslose Städtchen und forderten die ungehörte Summe von 30.000 Thalern Brandschatzung. Oberwiesenthal war natürlich nicht in der Lage, die geforderte Summe zu beschaffen. Deshalb wurden zwei achtbare Bürger, der Viertelsmeister Zierold und der Schichtmeister UIlmann aus Unterwiesenthal als Geiseln mitgenommen.
Am nächsten Tage ging es weiter. Jöhstadt wurde heimgesucht und der Stadt eine Brandschatzung von 15.000 Thalern sowie ein „Douceur” (Geschenk für die Herren Offiziere) von 1000 Gülden auferlegt. Da auch Jöhstadt die Kriegssteuer nicht aufbringen konnte, so wurden hier ebenfalls zwei prominente Einwohner, der Stadtrichter Lorenz und der Stadtschreiber Werner, als Geiseln abgeführt.
Darauf überfielen die zügellosen österreichischen Horden Bärenstein, wo sie 40 Dukaten Douceur und 15.000 Thaler Kontribution verlangten und den Kaufmann Lehmann als Leibbürgen behielten.
Buchholz, Annaberg, Scheibenberg und Schlettau kamen am 11. und 12. September ebenfalls an die Reihe. Auch in den Dörfern wurde nach Herzenslust geplündert. In Walthersdorf beispielsweise wurden 150 Dukaten, 20 Schock Hafer, 20 Fuder Heu, 300 Brote, etliche Faß Bier, eine große Anzahl Kannen Butter, Branntwein, Käse und andere Viktualien erpreßt. Außerdem sollte das damals nur aus 6 Hufen bestehende Dörfchen 300 Hemden für die zerlumpten österreichischen Kroaten beschaffen. In Schlettau requirierten die Feinde Kaffee, Zucker und „Toback”, während andere, die in ihrer Montur heruntergelappt waren, bei den Einwohnern Hemden bettelten. Die Schlettauer gaben, was sie entbehren konnten, damit die feindlichen Dragoner „ihre Blöße bedecken konnten”.