Wann war das?

Erzgebirgisches Sonntagsblatt 119. Jahrgang, Nr. 25, 20. Juni 1926, S. 6

Ja, liebe Leser, heute frage ich an dieser Stelle einmal „Wann war das?” Denn Du als Annaberger wirst bei dem Betrachten der alten Bilder bald wissen Wo das war. Bei der Frage Wann war das, werden in Dir vielleicht Erinnerungen wach, die Du vielleicht auch an diesen Stellen hattest, als wir noch „Jungens” waren. Also gehe einmal mit mir im Geiste nach dem Pöhlberg von damals, als noch kein großstädtisches Hotel oben war mit seinen prächtigen weißlackierten Gartenmöbeln und noch kein stolzer Turm auf seinem Rücken saß. Du wirst Dich gewiß heute da oben wohlfühlen wie in der verwöhntesten Großstadt. Daß Dich das Auto dorthin schaffen kann auf einer wohlgepflegten Autostraße, die sogar nachts „idillisch” beleuchtet wird, und daß Du da oben Telephon, Grammophon vorfindest, und daß Du da oben durch Radio den rassigen Foxtrott der Großstadt hören kannst, — ist nichts Neues. Doch ich meine unseren Pöhlberg von früher, vielleicht von vor 30 Jahren, wohin Du mit mir jetzt wandern sollst.

Ich gehe also den Weg durch die jetzige Parkstraße durch die Funkefelder, wo links ein großer Gartenzaun war und wo rechts ein gelbes Lehm-Bächlein floß, das nach der Stadtbrauerei zu sich ergoß. Am Waldrand biegen wir durch die Fichtenjugend den schmalen Weg links ab, nach dem Waldhegerhaus zu. Wir gehen schnell vorüber, denn dort sieht der gestrenge Mann immer zu scharf die Jungens an, die dort alleine diese Wege benützen. Wir kommen nun an der ehemaligen „Schinderei” vorbei. Hier blieb man als Junge immer nicht lange stehen, dort war es immer so „eirisch”, und meistens lugte ein scharfer Pluto zu einem Loche heraus, der uns fürchterlich ankläffte. Natürlich wurde da erst einmal hinterrücks des Hundes an die große Holztüre gepocht, und dann „ausgerissen”. Nun ging es den schmalen Pfad zwischen kleinen Fichten und großen „Wacken“ aufwärts nach dem Weg des Rundganges. Unterwegs wurden auch manchmal einige große Wacken, die der Sonne etwas ausgesetzt waren, aufgewuchtet und umgelegt, denn da fand man oftmals eine schöne Blindschleiche, die uns gefiel und wir interessierten uns auch über das Leben und Treiben in dem Ameisenhaufen, der nun sichtbar wurde. Die schöne Blindschleiche wurde natürlich mitgenommen und mit etwas Gras und Erde und einiger Ameiseneier in das „Schnupftüchel” eingebunden, denn den bekannten Zigarrenkasten dazu hatte man doch nicht mit, — sonst hätte uns sicher der Waldheger angehalten. Oftmals begegnete er uns hier und sah uns mißtrauisch an, die wir ihn stets mit einem mechanischen „Tag” grüßten.

1896 Schinderei

Am Rundgange angelangt, gings auf dem Wege nach den „Butterfässern” den steilen Aufstieg hinauf zur romantischen „Stülpner-Höhle”. Was für Romantik lag nicht in dem Worte Stülpner für uns, dem tapferen, mutigen, gutherzigen Menschen. Ich erinnere mich eines Buches, welches in der Schule heimlich unter uns Jungens herumging und eifrig geschwartet wurde. Die schönen, naiven Bildchen darin, und die nötigen „Fettbemmen”. Oft hat dies der Lehrer auf Wochen eingeschlossen, und (selbst gelesen?). Wir wußten genau, wo die Höhle war: etwa am dritten Bogen links ab ca. 20 Meter durch dick und dünn.

1896 Stülpner-Höhle

Hohe Sträucher von „Otterkraut” und „Vugelbeer” verdeckten meist den Eingang zur Höhle. Man ging hinein rückwärts in gebückter Haltung und rutschte so etwa 3 Meter abwärts in einer schiefen Ebene. Das war eine Freude, als man da drinnen stand und laut rief: Hallo! Karl! Hallo! In vielen Windungen durch schmale Basaltgänge konnte man vielleicht 50 Meter eindringen. Es war darin immer im heißesten Sommer furchtbar kalt und man sah, wohl am Ende angelangt, kleine Wassertümpel, deren Tiefe man nicht traute. Oft bin ich an dieser Stelle gewesen und die Phantasie brachte uns dem Leben unseres geliebten Stülpner-Karl in dieser Höhle näher. Man brachte sich sogar manchmal Rotfeuer mit, das man abbrannte, und in diesem Lichte glaubte man bestimmt die Beutekammern, Gewehre und die Pulvernischen des alten Helden gesehen zu haben. Ein tiefes Loch ging links im Dunkeln abwärts und es hieß damals, daß man durch dieses, mit Seilen und Licht bewaffnet, an der Wolfshöhle im Grunde herauskäme. Mein Onkel Fritz aus Venusberg bei Scharfenstein, ein alter biederer Landwirt, der meine Eltern immer zur „Kät” besuchte, mußte mit uns Sonntag früh regelmäßig in die Stülpnerhöhle mit „krakseln”, und er hörte immer gern wieder die Geschichten, die wir von der Höhle erzählten. Trotzdem man von der Höhle bis zum Wege des steilen Aufstieges nicht weit entfernt war, so wußte man sich nicht gleich zurecht, wenn man aus der Höhle kam, und man mußte oft den Rückweg über die hohen Basaltsäulen der Butterfässer antreten. Man wundert sich heute noch, daß da nichts weiter passierte, als daß das Hosenkreuz manchmal arg „ratzte”. Unsere Tüchel mit der Blindschleiche hatten wir meist oben am Eingange zur Höhle noch liegen gelassen, und oft waren inzwischen einige unserer Lieblinge wieder zur Freiheit zurückgekrochen.

Auf dem Heimwege gings abwärts nach Geyersdorfer Seite zu, denn wir hatten kein reines Gewissen und vermuteten, dem Waldheger wieder zu begegnen. Es ging steile Abhänge hinunter bis zu der Halde, die mitten im Fichtendickicht sich befand, wo der Geyersdorfer Meyer-Fleischer einen Bierausschank eingerichtet hatte.

1889 Biergrotte Geyersdorf

Es war ein idyllisches Plätzchen, besonders im heißen Sommer angenehm kühl, und ich bin hier als Kind Sonntags oft mit meinen Eltern gewesen. Es waren zwischen den Fichtenstämmen Bänke und Tische gezimmert. Hier gab es für 11 Pfennig eine Steinflasche Bier, die der Meyer-Gustav aus einem kleinen Schachte, der ins Berginnere führte, holte, und gewöhnlich konnte man noch für 7 Pfennig ein Stück Blutwurst kaufen, das auf einem Stück Papier gereicht wurde. Sonst gab es nichts weiter. An Sommer-Sonntagen frühzeitig schon um 5 Uhr traf man hier an dieser Stelle schon „Gäste”. Es mögen oftmals „Vugelbeerblietnhuler” und „Schwammegieher” oder gar „Vugelsteller” gewesen sein, die um diese Zeit ihre Börse hatten. Von letzteren könnte ich noch eine ganze Reihe von damals nennen. Der Betrieb ging bis zur Kirchzeit, bis man um 9 Uhr das schöne Geläute von Geyersdorf und Mildenau hörte.

Oft wurden zur Zeit „Johanne” kleine Gelage (Picknicks) hier abgehalten und mancher Gesangverein ließ hier das Lied ertönen: „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch dort oben”. Auch der Bürgerverein lagerte oft dort und feierte kleine Waldfeste. Wir Kinder holten da aus der Umgegend vom Waldrande kleine Sträußchen Waldveilchen und wir erhielten von den damaligen Kinder- und Blumenfreunden, wie Weigel-Anton, Wohlgemuth-Traugott und von unserem beliebten Tränkner-Hermann, jedesmal 1 Pfennig für ein Sträußel. Am Abend ging es dann meist unter den Klängen einiger Ziehharmonikas beim Lichte einiger Papierlaternen nach Hause.

Wir Jungens stürmten meistens, wenn wir von unserer Stülpner-Höhle kamen, zurück zur Stadt durch die Lehmfelder der ehemaligen Ziegelscheunen, an Wassertümpeln vorbei, die sich zwischen tiefliegenden großen „Wacken” gebildet hatten, denn in diesen waren die so beliebten „Feuersalamander”. In den umliegenden Schuttlöchern fand man auch noch irgend ein Gefäß und so wurden auch noch einige solche „Krokodile” mitgenommen.

Wie groß war die Enttäuschung als man zu Hause ankam und die Mutter absolut nichts wissen wollte von diesen Reptilien. Manchmal gab es sogar noch die nötigen „Abreibungen”, weil sie uns auf den ersten Blick ansah, wo wir gewesen waren. Die Jahre der Jugend waren aber doch die schönsten und am allerschönsten waren sie am Pöhlberg oben.

Lieber Annaberger Junge von damals — was hast Du dort oben erlebt? Bitte erzähle Deine Geheimnisse und unser Heimatblatt, das Illustrierte Erzgebirgische Sonntagsblatt, wird sicher daraus das nehmen, was die am meisten interessieren wird, die heute nicht mehr hier wohnen, aber dies Blatt an anderen Orten lesen, und es werden wieder Fäden gesponnen von der Heimat zur Fremde, von dort zur alten Heimat zurück, zu Annaberg und dem Pöhlberg.

Erespe.