Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 127. Jahrgang, Nr. 52, 24. Dezember 1933, S. 6
Geheimnisvoll und hold ist das Wunder der Weihnacht. Da steigerte sich das Hasten und Hetzen auf einen Höhepunkt, da siedete Geschäftigkeit auf allen Straßen und Wegen, — überfüllte Bahnen eilige Menschen, besorgte Blicke auf Uhren, die viel zu schnell vorwärts glitten, — und dann auf einmal ist es still geworden, ganz still. Hinter unverhangenen Fenstern brennen die Kerzen der Weihnachtsbäume, die Bescherung ist vorüber, der laute Jubel der Kinder verhallt, die ganz Kleinen schlafen schon mit roten Bäckchen ihren tiefen, befriedigten Schlaf. Weihnachten, das langersehnte, ungeduldig erwartete, nun ist es vorüber.
Und wenn all das Freuen und Jauchzen vorüber ist, dann kommt die Weihnacht der Großen. Dann treten sie an die Fenster und schauen schweigend in die still gewordene Natur hinaus. Manchmal schneit es in dieser Nacht, dann sagen sie leise: Richtiges Weihnachtswetter! — Und doch … eigentlich muß die Weih-Nacht klar und voller Sterne sein und ein Glanz von den ewigen Heerscharen muß strahlend über die Erde hingehen.
Wege und Stege sind verlassen und still, aber in der heiligen Stunde, da beginnen die Glocken zu hallen und rufen zur Christmette. Seltsam und schön ist die Christmette im Gotteshause. Anders als sonst klingt die Orgel, singen die Stimmen, tönen die Worte des Geistlichen. Es ist so weihevoll, wenn die Kerzen der großen Tanne brennen und die schönen alten Weihnachtslieder durch den Raum tönen. Wir finden zu uns selbst zurück, es ist wie ein Wiedersehen mit einem lange entbehrten Freund. Still wird es in uns, wie es um uns her still ist, und wenn wir heimgehen durch die Christnacht, ruht unser Auge auf den Sternen, die unwandelbar ihre Bahnen ziehen. Wieviele, viele Generationen sind unter ihnen dahingegangen und haben die gleichen Gedanken emporgeschickt, Hoffnungen und Wünsche, und immer wieder ist das Glänzen von dort oben gekommen und hat ihnen Antwort gegeben.
Dies ist die Nascht der wundersamen Sagen. Um die Mitternachtsstunde sollen die Tiere menschliche Sprache bekommen und ihre Gefühle und Empfindungen aussprechen können, und wer ein begnadetes Menschenkind ist, vermag diese Unmündigen zu hören und zu verstehen.
Auch sonst gibt es mancherlei Gebräuche und Sitten, an die sich allerlei Glaube knüpft. Eine windige Weihnacht gilt als Vorzeichen für ein gutes Jahr. Regnet es während der zwölf Tage nach der Weihnacht, so wird ein nasses Jahr folgen. Wenn man das Haus mit Stechlorbeer schmückt, so darf man Beeren und Blätter, die dabei abfallen, nicht verbrennen, sondern muß sie sorgfältig aufheben bis zum Epiphaniastag, wo man sie mit allem übrigen Tannenschmuck zusammen verbrennt. Dann kann man Glück und Freude erwarten. Wenn man aber auch nur ein einziges Stechlorbeerblatt vorher verbrennt, so braucht man sich nach dem Volksglauben nicht zu wundern, wenn allerlei Mißgeschick einen verfolgt. Wenn am Weihnachtstage das Feuer im Ofen lustig brennt, so ist das ein Zeichen zum Wohlergehen. Wenn es aber nur schwelt und glimmt, werden Mißerfolge nicht ausbleiben.
Wenn irgend möglich, soll man am Weihnachtstage etwas Neues anziehen, das bringt Glück. Dagegen darf man kein Kleid anziehen, das irgend ein Loch hat, denn das bedeutet Geldverlust, ebenso ist es, wenn man das Pech hat, ein Loch hineinzureißen. Man soll auch darauf achten, daß man als erstes Wort am Weihnachtstage etwas Fröhliches und Heiteres sagt, denn ein mürrisches Wort kündigt Pech und Unglück an.
Allerlei bunter Aberglaube, aus den verschiedensten Gegenden zusammengetragen. Und sieht man tiefer hinein, so hat doch fast jede dieser Prophezeiungen einen vernünftigen Sinn, so daß wir sie uns ruhig gefallen lassen können. Die beste Prophezeiung ist aber: wer mit heiterem, sonnigem Herzen Weihnachten feiert, dem wird auch das neue Jahre Frieden, Glück und Harmonie bringen. Und in diesem Sinne: Frohe, gesegnete Weihnacht!