Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 129. Jahrgang, Nr. 53, 29. Dezember 1935, S. 1
Rund um den Kalender.
(Bilder: Wissenschaftliche Nachrichtenzentrale, Leipzig.)
Wenn im Dezember der Blätterblock unseres Wandkalenders immer dünner und unansehnlicher wird, wenn zuletzt nur ein graues Pappstück zurückbleibt – dann kommt uns manchmal ein seltsames Gefühl an, ein wenig wehmütig, ein wenig philosophisch … wieder ist ein Jahr vorbei und dringender als sonst meldet sich in unabgestumpften Gemütern die ewige Frage nach dem Woher – Wohin. Dies seltsame Gefühl überwinden wir erst, wenn die bunten neuen Kalender ankommen mit dem dicken Bauch von 365 unangetasteten Blättern, als erstes das mit der roten Eins des neuen Jahresbeginnes. aber die Frage ist nun einmal aufgeworfen: was ist das eigentlich für ein kurioses Ding, so ein Kalender, auf dessen Seiten außer den Zahlen noch Kochrezepte oder kluge Lebensregeln, Verse oder Sprichworte stehen? Wer war der erste Mensch, der das erfunden hat, unserem Leben so eigenartige Fristen zu setzen, Jahre, die anfangen und abklingen, ja nach unserem Gefühl geradezu abreißen, Monate … Wochen … Tage
Tage, ja! das leuchtet ohne weiteres ein: Sonnenaufgang, Sonnenuntergang stecken sie ab, darum hat es auch einmal Zeiten gegeben, in denen man eine verschiedene Stundenrechnung der Tage für Sommer und Winter hatte, acht Stunden für diese, sechzehn für jene – alles andere war in Dunkel gehüllt und galt nicht. Wer aber mag der Weise gewesen sein, der es verschmähte, in die Zeit hineinzuleben und in ein Stück Holz, in einen Eichenknüttel (clog nannte man ihn in England) nach jedem Verstreichen eine Kerbe einschnitzte? Robinson Crusoe zählte auf diese Art die Tage seiner unfreiwilligen Verbannung: er ritzte Kerbe um Kerbe in die Rinde eines Baumes.
Der Vorläufer des Kalenders.
Aber die uralten Stäbe und Knüttel zum Zählen der Zeit waren schon weiter als Robinson: sie hatten einen Griff zum Halten oder einen Ring, damit man sie an den Kamin hängen konnte und ihre Zeichen sind so vielfältig, daß es eines eingehenden Studiums bedarf, um sie zu enträtseln. Bestimmte Tage haben längere Striche, Kreise, Kreuze. Das sind Festtage. Aber solche Festtage sind nicht willkürlich angesetzt, sondern sie heften sich an bereits bestehende Bräuche und diese erinnern – wie sich unschwer feststellen läßt – an wiederkehrende Naturereignisse. So teilt sich der frühe Kalender – er heißt allerdings noch lange nicht so – fürs erste in zwei Seiten: Sommer und Winter. Sommeranfang, Wintereintritt regulieren das bäuerliche Leben jener Zeit, ihr Beginn bedeutet das wichtigste Ereignis und wird vermerkt: denn Sommer und Winter, beginnend mit der Tag- und Nachtgleiche, kehren regelmäßig wieder. Auch die älteste Zeitrechnung, der sich die römische und eines Tages unsere anschloß, die ägyptische, baut auf ein solches Gerüst. Nur war das wichtigste Ereignis für den Nilbauern die Überschwemmung seiner Felder durch den Nil und das Zurückweichen dieser Gewässer. Der Zusammenhang mit Himmelserscheinungen, mit einem bestimmten Stand der Sonne wurde schon sehr früh ermittelt und weitere Beobachtungen ergaben, daß in gewissen Zeitabständen die Sonne in der Nähe eines bestimmten Sternbildes auftaucht. Zwölf solcher Sternbilder veranlaßten dann die Unterteilung des Sonnenjahres in zwölf Perioden, unsere späteren Monate.
Wie der Kalender entstand.
Andere Völker beobachteten die regelmäßigen Wandlungen des Mondes früher als den Sonnenlauf. Und zwar dürfen wir annehmen, daß es Nomadenvölker waren, für die Mondphasen, Vollmond und Neumond besondere Wichtigkeiten erhielten. Ein wandernder Stamm im heißen Klima brach niemals an einem heißen Tage auf, sondern bevorzugte die Nächte und selbstverständlich jene, die dennoch Licht erhielten, Licht vom „vollen Mondgesicht“. Zur Zeit des Neumondes hielten die Priester Ausschau nach der wiederauftauchenden Mondsichel, und wer sie zuerst entdeckte, der rief das Neulicht feierlich aus. Mit diesem Tage begann dann der neue Monat. Darum heißt noch im alten Rom dieser erste Tag des Monats dies calendae (von calo = ich rufe). Das Mondjahr der Römer hatte lange Zeit hindurch keine festen Grenzen. Es wurde zwar in 12 Monate unterteilt, die abwechselnd 29 und 30 Tage zählten, aber das ergab nur 354 Tage; die Differenz mußte nach jedem sechsten Mondjahr in Form von drei Monaten nachgeholt werden. Die Kalenderrechnung innerhalb dieser großen Periode war also recht umständlich und ungenau, und da die Kalendermacher Roms ihr Werk als priesterliches Geheimnis betrachteten und wahrten, öffnete sich der Willkür Tür und Tor. Es kam z. B. recht häufig vor, daß ein Konsul ein längeres Jahr brauchte, um rasch vor dem Ablauf seiner Amtszeit seine Provinz noch ausbeuten zu können. Er mußte bloß einen hinreichend einflußreichen Mann finden, der bereit war, die Notwendigkeit nachzuweisen, daß gerade dieses Jahr sich für die Einschiebung der fehlenden Monate besonders eignete. Erst Julius Caesar führte dann eine sichere Festlegung des Jahres durch, indem er das Sonnenjahr mit 365 Tagen einführte.
Kalenderreformen – aber sie genügen noch immer nicht.
Nach dem Julianischen Kalender rechnete man auch bei uns bis 1582, obwohl man schon um 1200 gewahr wurde, daß auch er einen Fehler barg. Denn während der Kalender Neumond anzeigte, war schon die neue Mondsichel am Himmel sichtbar — der Mondzyklus war zu kurz angesetzt worden. Der deutsche Gelehrte Clavius fand die wissenschaftliche Formulierung für die notwendige Verbesserung, die sich vor allem auf den Schalttag (unseren 29. Februar) bezog; Papst Gregor XIII führte dann die Kalenderreform durch, nachdem eine Kommission sich dafür ausgesprochen hatte. Um das Jahr 1700 wurde dieser neue Kalender auch für Deutschland allgemein gültig. Bis dahin wurde in mancher Gegend dieser, in mancher jener Kalender geführt, und in etlichen beide nebeneinander. Auch unserem heutigen Kalender haften bekanntlich noch mancherlei Mängel an, und es bestehen vielfache Bestrebungen, ihn weiter zu verbessern — vor allem durch Festlegung des Osterfestes und Einführung gleichlanger Monate. Wenn unser noch durchaus reformbedürftiger Kalender „endgültig” verbessert werden wird, läßt sich heute noch in keiner Weise übersehen.
Als die Wochentage noch keine Namen hatten.
Natürlich wechselte der Kalender, seit wir ihn kennen, oftmals sein Gesicht – auf Holz eingekratzt ist er zu finden, später geschrieben auf Pergament und endlich gedruckt. Als die eigentlichen Wochentagsnamen noch nicht allgemein durchgeführt waren, orientierte man sich nach den — im Kalender festgelegten — Feiertagen, die Christus, Maria oder einem Heiligen galten.. Um sie im Gedächtnis zu behalten, schuf man Gedichte, in denen die Worte ausgezählt den Tag des betreffenden Heiligen geben. Das bekannteste davon geben wir nachstehend wieder:
Alle Heiligen fragen nach guotem Win
Wilbrodus sprach: „Louffent hinin!”
Martin (11) schenkt guoten Most
und hat auch dabi Elisabeth (19) guote kost.
Cäcilia (22) Clemens (23) sagent Katherina (25)
das Bilhild hieß kommen Andreas (30).
Ohne Schwierigkeit ist dem Vers zu entnehmen, daß er für den November gilt und mit Aller Heiligen anfängt. Sind auf diese Weise die Festtage fixiert, so fällt die Kennzeichnung der dazwischenliegenden Tage durch Zählung nicht mehr schwer.
Die Ägypter und die Römer kannten Wochentagsbezeichnungen lange überhaupt nicht. Die Woche liegt aber als Unterteilung der vier Mondphasen ziemlich nahe und wurde schließlich festgelegt, indem man jedem Tag eine bestimmten Planeten zuwies, in folgender Reihenfolge: Sonne, Mond, Mars, Mercur, Jupiter, Venus, Saturn. Der erste Tag der Woche gehört dem Mond, daher heißt dieser Tag Montag; die Bezeichnung der übrigen Tage richtete sich nach der Wichtigkeit, die den einzelnen Planeten damals ihren Platz in der Reihe anwies. Im Französischen ist diese Art der Bezeichnung noch heute erhalten: mardi, mercredi, jeudi, vendredi (Tag des Mars, des Mercur, des Jupiter, der Venus), als Sonn- und Montag auch noch bei uns, als satterday (Saturntag = Sonnabend) im Englischen. Die Germanen setzten anstelle der lateinischen Planeten, die sie einfach als Götter nahmen, die Namen ihrer Gottheiten ein – wir finden sie heute noch in unseren Wochentagsnamen: Ziu (Dienstag), Donar (Donnerstag) und Freya (Freitag).
Für uns ist der Kalender nicht mehr ganz das, was dem 15. Jahrhundert sein „Collender” war, ein Überblick, was in einem guten Haushalt täglich zu beachten ist, oder was die „Praktika” waren: ein Verzeichnis der guten und der verworfenen Tage, das die Termine zum Haareschneiden und zum Aderlaß angab. Aber auch uns ist der Kalender ein wichtiger Behelf, ohne den man kaum mehr auskommen könnte; nur wenn die letzten Blätter von diesem Block fallen, scheint dies auch uns eine merkwürdige sentimentale Mahnung zu sein – die Mahnung an eine unvorstellbare Ewigkeit, darin solch ein Jahr wie ein Herbstblatt im See treibt.
Dr. A. Bernt.