Wie der „Entenschnabel” entstand.

(Abtretung von Platten und Gottesgab an Böhmen 1549 – 1558)

Von Dr. W. Fröbe, Schwarzenberg.

Glückauf. Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. 59. Jahrgang. Nr 8/1939. S. 171 – 173.

Adolf Hitlers Tat, das Sudetenland ins Reich heimzuholen, hat eine Grenze ausgelöscht, die von Rechtswegen nichts weiter war als der Rainungssaum zwischen zwei deutschen Siedlerstämmen, die sich — jeder von einer anderen Basis aus — das ehedem unbewohnte Gebiet des Erzgebirges nutzbar und anbaufähig gemacht hatten. Ein ununterbrochener Strom von Wanderern und KdF.-Fahrern flutet jetzt hinüber in eine deutsche Landschaft, die nur zu lange uns verschlossen war.

Oberrittersgrün
Oberrittersgrün.
Links: Straße nach Tellerhäuser; Mitte: Pöhlwasser; Rechts: Grenzstück am Entenschnabel
(Foto: Glückauf-Archiv)

Mancher wird sich auf der Karte die nun für immer getilgte Grenze betrachten und dabei wird ihm jenes Stück Grenzziehung in der Nähe des Fichtelberges in die Augen fallen, das seiner Gestalt wegen der „Entenschnabel” genannt wurde. Es ist allerhand darüber gefabelt worden. Manche machten sogar die hohe Strategie dafür verantwortlich. In Wahrheit ist alles so oder ähnlich Erzähltes pure Phantasie. Wir kennen heute die Entstehung dieses „Entenschnabels” ganz genau. Drum soll im folgenden hier einmal über diese Gestaltung der ehemaligen Grenze kurz berichtet werden.

Als der damalige Herzog Moritz von Sachsen 1546 mit dem Bruder des Kaisers Karl V., Ferdinand von Böhmen, seine ersten Abmachungen traf, die ihn von der Seite der im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen evangelischen Fürsten hinwegführten und die beiden Partner sich wegen des Preises einig wurden, der gewissermaßen an Moritz zu zahlen sei dafür, daß er die Politik des Kaisers unterstützte, da spielte auch die alte Herrschaft Schwarzenberg eine große Rolle. Sie gehörte damals den Ernestinern. Johann Friedrich hatte sie 1533 aus einem Nachlaßstreit von der Familie von Tettau erworben, sicherlich, um dadurch eine Verbindung zwischen Schneeberg und Buchholz zu schaffen, beides wegen ihres Erz- und Grubenreichtums besonders begehrte Orte. Ganz unvermutet hatte sich nach dem Ankauf der südliche Teil der Herrschaft, deren Rainung noch südlich des Schwarzwassers verlief — maßgebend für die alte Grenzziehung war die Wasserscheide gewesen — als besonders fündig auf Zinn erwiesen. Sozusagen in unmittelbarer Nähe von Joachimsthal waren Gottesgab und Platten als neue sehr höffliche Erzvorkommen aufgetaucht und hatten die beiden Städte da oben mitten im Kammgebiet entstehen lassen. Sicherlich ist es Moritz gewesen, der die Herrschaft Schwarzenberg als einen Teil der Beute vom Besitz seines ernestinischen Vetters forderte. Möglich, daß ihn vor allem ihr Wald- und Wildreichtum dabei reizte. Ebenso gewiß ist aber auch, daß Ferdinand mit begehrlichen Augen die neuentdeckten Erzlager in unmittelbarer Nähe von Joachimsthal betrachtete und deshalb Anspruch auf einen und zwar diesen Teil der Herrschaft erhob.

Das Widerspiel beider Fürsten um die Herrschaft fand seinen Niederschlag im Prager Vertrag vom 14. Oktober 1546, der — natürlich gänzlich geheim — bestimmte, daß Ferdinand einen der „beiden gleichen Teile” der Herrschaft erhalten solle und zwar den an Böhmen grenzenden Strich mit Platten und Gottesgab. Erst nach dem Sieg über die Schmalkaldner und damit über Johann Friedrich sollte die endgültige Teilung durchgeführt werden. Wohl keiner der beiden Vertragspartner sah damals voraus, daß diese Abrainung sich über zehn Jahre hinziehen und die größten Mühen und Verhandlungen nach sich ziehen würde.

Erst 1549, also zwei Jahre nach der Besiegung der Schmalkaldner – Moritz hatte die Herrschaft Schwarzenberg längst in Besitz genommen – begannen auf Drängen Ferdinands von Böhmen die Verhandlungen. Den ersten der böhmischen Unterhändler, nach dem die Grenze den Mückenbach aufwärts, dann dem Streitseifen bis nach Breitenbach folgend verlaufen sollte, lehnten die Sachsen ab. Moritz glaubte – wie übrigens auch Ferdinand – diesen südlichen, noch dicht bewaldeten Grenzstrich mit den höfflichen Revieren von Platten und Gottesgab für den wertvollsten Teil der Beute und berief sich nun auf den Wortlaut des Vertrags, der eine Teilung zu gleichen Teilen vorsah. „Nach Güte und Wert gleich”, so forderte er.

Das aber bedingte eine genaue Kenntnis der zu teilenden Herrschaft. Der Kurfürst verlangte von seinen dazu abgeordneten Räten eine genaue Vermessung „nach der Ruten und Kompaß”. Trotz Hinzuziehung von Sachverständigen, Ortskundigen und Förstern war eine solche Vermessung nicht zu beschaffen. So mußte die im Herbst 1549 angesetzte Tagung in Schwarzenberg verschoben werden.

Gesandte gingen von Dresden nach Prag, von Prag nach Dresden, der Bischof Melchior von Würzburg wurde von beiden Parteien als Schiedsrichter gewählt. Allein, die Sache kam zu keinem Ergebnis. Dafür wurden aber diejenigen lebendig, die teils die mittelbaren oder unmittelbaren Objekte der beabsichtigten Teilung waren. Schneeberg und Zwickau reichten ihre Gutachten ein und baten den Kurfürsten flehentlich, ja kein Stück der Herrschaft, von der sie wirtschaftlich abhingen, preiszugeben. Inzwischen hatte dieser eine Reihe von Sachverständigen zur Berichterstattung aufgefordert. Sie sollten ihm, als Ergänzung für die zu erwartende genaue Vermessung, Ratschläge für die bevorstehenden neuen Verhandlungen erteilen.

Die drei Gutachten, von denen das erste von zwei führenden Bergbeamten und einem Hammerherrn aus dem Annaberger Gebiet, das zweite von leitenden Beamten der Schwarzenberger Herrschaft und das dritte vom Rate der Stadt Zwickau abgegeben wurde, waren sich — für uns heute unverständlich — alle darin einig, daß der südliche Grenzstrich mit Platten, Gottesgab, Hengst und Kaff der bei weitem wertvollste des Gebietes sei! Wenn er schon an Ferdinand fallen sollte, so müsse man ihn so schmal wie möglich sein lassen. Alles nördlich davon gelegene Gebiet — wenn es auch viel mehr „Wirtschaft” habe, sei „der Gehulz und Bergwerke fast gar”; es blieben dem Kurfürsten nur „die armen elenden Dörflein”. Wenn die Gutachten darin nicht etwa bestellte Arbeit waren, so sah man damals nur die Erzvorkommen und die Waldungen als wertvollen Besitz an. Der Zwickauer Rat spricht es offen aus, daß das bischen Gewerbe im nördlichen Teil der Herrschaft „nichts als sauer Handarbeit” sei und der Ackerbau „sehr gering”.

Am 1. Mai 1550 sollte in Schwarzenberg abermals eine Tagung sein. Die kursächsischen Abgeordneten erhielten erneut die Aufgabe, die Herrschaft zu vermessen; nicht nur in ihrem Gesamtumfang, sondern auch „wie lang und breit ein jeder Berg, wie weit ein Berg oder Wald von dem andern gelegen, auch wo Täler, wo Wasser, wo Holz, wo Bloßen, Flecken und Dörfer sein”. Der Mathematiker Johann Humelius und der Markscheider Nicol Platschke sollten dieses Wunderwerk einer „Mappen” vollbringen. Sie werden sich beide in unbewachtem Augenblick schön hinterm Ohr gekratzt haben! Sie brachten zwar einen „Abriß” zustande, aber nicht in dem vom Kurfürsten gewünschtem Umfang. Dazu benötigten sie, so gaben sie an, mindestens 4 Monate Zeit, was wir ihnen gern glauben wollen. Da auch die von den Böhmen mitgebrachte Karte schwere Mängel aufwies, die Sachsen hielten sie für absichtlich falsch gezeichnet, verschob man die Tagung auf den August. In der Tat lag dann eine Karte vor, die beiden Teilen als Grundlage gefiel. Als die böhmischen Unterhändler „eine Linie durch die Mappen ziehen” wollten, um so zu teilen, machten die Sachsen nicht mit. Sie verlangten, daß man den Privatbesitz — „die erblichen Güter”, deren es im nördlichen Zipfel viel mehr gab — berücksichtigte, d. h. also daß man nicht schlechthin halbierte. So flog auch diese zweite Tagung ergebnislos auf.

Als Moritz von Sachsen drei Jahre darnach bei Sievershausen fiel, war die Frage der „Teilung” der Schwarzenberger Herrschaft noch keinen Schritt weiter gediehen. Dafür wurden die Verhältnisse an der Grenze immer unhaltbarer. Jede der beiden Parteien betrachtete sich als Herr des umstrittenen Grenzraumes. Eine Strafexpedition von drüben löste eine Vergeltungsmaßnahme diesseits aus. Von Bewaffneten begleitet hob der Plattner Bergmeister gewaltsam Steuern und Büchsenpfennig von den Gruben am Rabenberg und in Breitenbrunn ein. Der Schwarzenberger Amtmann Wolf von Schönburg antwortete mit einem Überfall auf Platten und Festnahme der Schuldigen. So wurde Mitte des Jahres 1555 die Sache erneut verhandlungsreif. Kurfürst August, der zunächst versuchte, den strittigen Teil der Herrschaft durch Kauf an sich zu bringen, griff bei den neu einsetzenden Verhandlungen auf das „erste Mittel” zurück. Im Oktober 1556 saßen die beiderseitigen Bevollmächtigten in Schneeberg nach fast sechsjähriger Pause wieder zusammen. Die Böhmen schlugen diesmal eine ganz neue Verhandlungsgrundlage vor und zwar die alten von den Ernestinern nach dem Fündigwerden von Platten und Gottesgab eingerichteten Bergamtsreviere von Platten und Gottesgab. Sie waren 1537 vom ehemals Schwarzenberger Revier abgetrennt worden, weil bei dem rasch sich entwickelnden Bergbau in jener Gegend um das obere Schwarzwasser eine Erledigung der Bergmeistergeschäfte von Schwarzenberg aus nicht mehr möglich gewesen war. Die Böhmen rühmten jener Bergamtsabrainung eine geradezu unparteiische Gleichheit nach. In der Tat kam man damit dem sogenannten „1. Mittel”, das zu Anfang der Verhandlungen eine Rolle gespielt hatte, nahe. Es galt nur noch, das Gebiet der beiden Rabenberge, das die Sachsen unbedingt sich erhalten wollten, weil sie hier besonders höffiche Erzvorkommen vermuteten, gegen ein anderes auszutauschen. Die Lösung wurde dadurch gefunden, daß das Gebiet um Lauterseifen und Breitenbach, also gewissermaßen das Hinterland von Platten, dafür den Böhmen zugestanden wurde.

Zeichnung
Die frühere sächsisch-böhmische Grenzlinie mit dem „Entenschnabel”

Von 1557 bis 1558 ist dann die Grenze in der Landschaft abgemessen und abgeraint worden. Vom Einfall des Mückenbaches in die Pöhla ging man aus; den Punkt 193 der heutigen Generalstabskarte fand man nach einiger Mühe als Quellgebiet des Ortbaches. Schon begannen die Markscheider die Grenzlinien zwischen Punkt 193 und der Mückenbachquelle und dem Einfall des Breitenbachs in das Schwarzwasser abzustecken, als man wegen einer geringfügigen Differenz erneut auseinanderging. Im Sommer nahm man die Abrainung wieder auf; am 4. Juli 1558 war der letzte Rainstein gesetzt. Der „Entenschnabel” war also dadurch entstanden, daß man sich auf die drei Bezugspunkte geeinigt hatte: Quell des Mückenbaches, Quell des Ortbachs und Mündung des Breitenbachs in das Schwarzwasser. Dadurch, daß man diese Punkte sozusagen mit dem Linial verband, war jenes Stück Grenze entstanden, das wegen seiner Eigenart schon immer das Interesse erweckt und zu allerhand seltsamen Deutungen Anlaß gegeben hatte.1

  1. Anmerkung: Nach W. Fröbe, Herrschaft und Stadt Schwarzenberg bis zum 16. Jahrhundert. 1937 Seite 62 f. ↩︎
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