Wundersagen des Erzgebirges um die Neujahrsnacht.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 1 – Sonntag, den 3. Januar 1937, S. 6 – 7.

Um die Jahreswende hat die Bevölkerung unseres Erzgebirges in alter Zeit viel nach Zeichen und Wundern ausgeschaut und deshalb wird es interessieren, an dieser Stelle einige dieser alten Sagen und Märchen einmal kennen zu lernen.

Im Jahr 1692 hat beim Jahresschluß ein Köhler eine wunderbare Himmelserscheinung bei Gottesgab gesehen. Er sah über dem Sonnenwirbel am Himmel ein hellglänzendes Schwert. Dieses stand neben einem Stern und leuchtete auch hellauf wie ein Stern. Die Spitze des Schwertes aber habe sich gegen Böhmen und den Egerschen Kreis gewendet. Dieses wundersame Zeichen sah man in jener Zeit als einen Vorboten des Krieges gegen Böhmen an.

Auch die Vögel beobachtet man und grüßt sie am Neujahrsmorgen als Glücks- oder Unglückskünder. In sehr schlechtem Ruf standen sonderlich die Raben, und das ist wohl zum Teil auch noch heute so. Christian Lehmann erzählt, wie man an einem Neujahrsmorgen die Krähen habe um den Kirchturm einer Stadt fliegen sehen. Das Krächzen der Vögel habe man als eine Unglücksbotschaft aufgefaßt und in der Tat seien auch in dem Jahr dann viele Menschen durch eine schwere Seuche hinweggerafft worden. Im Jahre 1664 kamen des Nachts, ehe in Annaberg 400 Häuser in Asche gelegt wurden, etliche Eulen, setzten sich auf des Bürgermeisters Haus und hielten dort ein gar gräßliches Konzert. Weiter wird uns eine Silvestersage erzählt, die allerdings im benachbarten Vogtland sich abspielte, aber doch eben auch typisch ist für den Aberglauben, dem damals unsere Bevölkerung zum großen Teil verfallen war. Es war im vorigen Jahrhundert an einem Silvesterabend, da saß in der Stadt Schöneck ein alter, wackerer Schneider, zugleich Stadtrat und Gemeindeältester, mit seiner getreuen Ehehälfte im rauchgebräunten Stübchen und schneiderte noch für den Festtag. Im großen Kachelofen prasselte ein gemütliches Feuer, und in der Röhre sang der Kaffee gar lustige Liedlein. Auf einmal erhob sich die Hausmutter, kramte herum und suchte und suchte, und machte ein gar verdrießlich Gesicht, vergeblich, sie fand nicht das Kamelgarn zu den Knopflöchern. Die Niederlage war aber oben auf dem Boden; deshalb mußte der Vater hinauf. Oben stand er in der schönen Winternacht an der Dachluke, und es wurde ihm so wunderlich im Herzen und er mußte sein Käppchen abnehmen und ein stilles Vaterunser beten. Wenn man aber zur Neujahrsnacht unter einem Balken steht, dessen eines Ende nach Morgen gerichtet ist, und ein Vaterunser betet, und nicht aus der Linie des Balkens heraustritt, so kann man „horchen“, d. h. einen Blick in die Zukunft tun, die in einzelnen Bildern vorüberzieht. Tritt man aber aus dem Kreise heraus, oder man erzählt jemandem, was man gesehen hat, so sollst einem den Hals umdrehen. Der Alte hatte gar nicht daran gedacht, – aber auf einmal, da fängts an zu läuten, als ob eine Leiche wäre, und den Mühlberg herauf kommt ein langer, langer Leichenzug, immer näher und näher, bis er endlich vor des alten Schneiders Haus anhält. Es dauert auch nicht lange, so kommt die Schule und die Geistlichkeit, mit dem Kreuze voran, stellen sich neben der Bahre auf, singen zwei Lieder und eine Arie, und dann setzte sich der Zug in Bewegung und dem Kirchhofe zu. Der alte kann die Leichenbegleiter alle erkennen, Vettern, Nachbarn, Gevattern, ja sogar sich selbst und seine Ehehälfte darunter, sich selbst dicht hinter dem Sarge und mit weinenden Augen. Da ward´s ihm doch ein wenig bange und er wäre gern fortgegangen; aber es fiel ihm noch zu guter Zeit das Halsumdrehen ein. Wie er nun so recht trübselig dastand und träumerisch hinausblickte, sah er aus einem Hause ein Flämmchen herausfahren, dann aus einem andern, dann wieder eins und wieder eins, und zuletzt kam fast aus jedem Hause ein Flämmchen gefahren, und das, wußte er wohl, bedeutet Feuer. Da konnte er sich denn doch nicht mehr halten, sprang aus dem Kreise, und – es schlug Eins! Als er indessen wieder herunterkam, war seine alte Ehehälfte eingeschlafen; er weckte sie auch nicht erst auf, sondern ließ die Arbeit sein und legte sich nieder, konnte aber nicht schlafen, war früh verstimmt, ging auch nicht in die Metten, sondern saß still und traurig daheim. Als er nach einigen Tagen den Wächter traf, tat dieser sehr geheimnisvoll und beklommen und meinte: „Meister, Meister!“ ´s wird ä schlecht Jahr für Euch und für uns all´! Der liebe Gott behüt‘ uns und die Stadt! Mehr darf ich nit sagen: aber wachet und betet, daß Ihr nicht in Anfechtung fallet!“ Der hatte auch gehorcht, und so noch andere. – Es dauerte auch nur wenige Wochen, da starb des alten Meisters Bruder, der Müller drunten in der Bockmühle. Es wurde zur Leiche gelauten, den Mühlberg herauf kam ein langer Zug, der vor des Alten Haus anhielt. Es kam die Schule und die Geistlichkeit voran, die stellten sich auf, sangen dieselben zwei Lieder und dieselbe Arie, dieselben Leute gingen hinter dem Sarge her, der Alte mit entblößtem Haupte und weinenden Auges. Der alte Wächter aber stand am Kirchhoftore, sah den Alten verständnis- und geheimnisvoll an, und weinte so heftig, daß die Leute gar nicht begreifen konnten, wie ihm der Tod des Bockmüllers so zu Herzen gehen könne. Der hatte aber seinen guten Grund, traurig zu sein, denn er wußte, was geschehen würde. Es geschah auch. In demselben Jahre noch ist fast die ganze Stadt abgebrannt und des Alten Haus dazu. Es war nur gut, daß es gerade Eins schlug, als er aus dem Kreise sprang; sonst wäre es wohl noch schlimmer für ihn geworden.

Zum Schluß sei noch eine alte Sage vom Schwarzen Teich auf Henneberg bei Johanngeorgenstadt erzählt, die zwar nicht zur Neujahrszeit sich abspielt, aber die doch an dieser Stelle vor allem die Leser des Schwarzenberger Bezirkes interessieren wird. Als noch in unseren Gauen und insbesondere auf dem Erzgebirge das Christen- und Heidentum miteinander im Kampfe lagen, wohnte auf einer Burg im Egertale ein böser Ritter. Zwar war derselbe als Christ getauft worden, jedoch hatte er im Herzen noch nicht dem Heidentum entsagt, und Raubzüge und blutige Fehden galten ihm für kein Unrecht. Das Gegenteil von ihm war seine fromme Gemahlin, welche mit Hilfe ihres Bruders, der als Einsiedler in der Nähe der Burg lebte und oft in derselben verkehrte, ihre beiden Kinder, einen Sohn und eine Tochter, christlich erzog. Dem wilden Gemahl aber mißviel die Frömmigkeit von Frau und Kindern, und ganz besonders erzürnte er sich über seinen Sohn, weil derselbe keinen Gefallen an dem wilden Waffenhandwerke fand. Als er nun einst zu einer Fehde gegen den ihm verhaßten Burgherrn von Königsberg auszog und seinen Sohn, obschon derselbe des Königsbergers einzige Tochter innig liebte, zwang, daran teilzunehmen, geschah es, daß der Sohn beim Ritte von der Burg vom Pferde stürzte und verwundet ins Schloß zurückgetragen werden mußte. Ingrimmig gab nun der Vater der Erziehung und dem Einflusse seines Schwagers die Schuld an dem Unglücke, und er nahm sich vor, mit Härte einzugreifen. Sein Sohn genas zwar unter der sorgsamen Pflege von Mutter und Schwager bald wieder, doch um dessen Ruhe war es für immer geschehen. Ja alle fühlten, daß der Vater böse Gedanken sowohl gegen den Sohn als auch Schwager im Herzen hegte und es ward von beiden die Flucht beschlossen. Dieselbe wurde bald darauf nach dem damals unwegsamen Erzgebirge ausgeführt, als der Vater wieder zum Kampfe gegen den Königsberger ausgezogen war und dabei den Sohn nicht mitgenommen hatte. Bei der Rückkehr in seine Burg kannte der Zorn des Ritters keine Grenzen, und da er ganz richtig in Frau und Tochter Mitwisserinnen der Flucht seines Sohnes erblickte, so mußten dieselben von ihm harte Mißhandlungen erdulden. Er veranstaltete zwar sogleich Streifzüge durch das Gebirge, doch konnte er die Flüchtigen nicht auffinden.

Auf dem Kamme des Erzgebirges lag im dichten Walde ein freundlicher See: die Maisonne am blauen Himmel spiegelte sich in demselben. Aus dem Dickichte aber trat schüchtern ein Reh mit zwei weißgefleckten Zicklein, und gegenüber brach aus dem Wald ein weißer Hirsch, welcher sich in dem klaren Wasser des Sees widerspiegelte. Abseits stand eine mit grünem Rasen gedeckte Erdhütte, aus der eine bläuliche Rauchwolke aufstieg. Diese Hütte hatten sich die beiden Flüchtlinge erbaut. Sie traten eben zur Wanderung gerüstet daraus hervor, denn sie wollten versuchen, die duldende Mutter und Tochter heimlich von der Burg des harten Gemahls und Vaters zu entführen und hierher in diese von dem menschlichen Verkehre abgeschlossene Wildnis in Sicherheit zu bringen.

Der Vater aber rüstete sich ungefähr zu derselben Zeit zu einem neuen Fehdezuge gegen den Königsberger. Letzterer aber hatte davon Kunde erhalten und seine Burg wohl verwahrt, während sein Sohn mit einem Häuflein Knechte dem Feinde entgegenzog. Trotz der Vorkehrungen des Königsbergers schien es, als ob der Feind seine Burg gewinnen werde; unaufhaltsam stürmte derselbe vorwärts, unbekümmert um den Steinhagel, welcher ihn unausgesetzt empfing. Schon war er an der Brücke, als dieselbe mit einem furchtbaren Krach zusammenbrach. Als aber der Feind sich anschicken wollte, den Wallgraben mit Steinen und Holz zu füllen, um so in die Burg zu gelangen, kam ein blutender Bote, welcher meldete, daß die eigene Burg von des Königsbergers Sohne eingenommen worden sei und in Flammen aufgehe. Da zogen sich die Feinde von der bedrängten Burg zurück. Die Belagerten hatten jedoch schon Vorbereitungen getroffen, ihnen schnell zu folgen. Es wurde eine Notbrücke niedergelassen und bald sahen sich die Weichenden von vorn und hinten angegriffen. Hinter ihnen kamen die Belagerten und vorn wurden sie von des Königsbergers Sohne mit seinen Mannen bestürmt. Nur durch rasche Flucht war es dem fehdelustigen und hartherzigen Ritter möglich, der Gefangenschaft oder dem Tode zu entgehen. Er überschritt mit den ihm noch übrig gebliebenen Knechten, da er in den Trümmern seiner Burg Frau und Tochter, welche unterdessen geflohen waren, nicht fand, den Kamm des Erzgebirges und baute sich in wilder Gegend eine neue Burg. Von dieser aus durchzog er nun die Wildnis nach Bären, Wölfen und Auerochsen. Eines Tages meldete ihm einer seiner Troßbuben, daß er in einer gewissen Gegend einen weißen Hirsch gesehen habe. Diese Nachricht reizte den Ritter und er zog alsbald aus, die Spur des seltsamen Tieres zu suchen. Bald hatte er dieselbe auch gefunden, und als er darauf des Hirsches ansichtig ward, warf er seinen Jagdspieß nach demselben. Der zu Tode getroffene Hirsch raffte sich wieder auf und floh blutend in das Dickicht. Als nun der Ritter mit seinen Knechten durch dasselbe drang, erreichte er das Ufer eines klaren Sees, an welchem sich eine Erdhütte erhob. Dort lag auch der verwundete weiße Hirsch, über den sich eine Jungfrau beugte; neben ihr standen noch drei Personen. Der Ritter erkannte sie sehr wohl, er eilte hinzu und wurde in seiner Wut der Mörder der Seinen. Da verhüllte eine dunkle Wolke die Sonne, gleichsam als solle dieselbe die Untat nicht sehen. Der klare See aber wurde zu einem unheimlichen Sumpfe und die Fischlein wurden zu Molchen. Noch zeigt man bei den Henneberger Häusern südwestlich von Johanngeorgenstadt die Stelle, wo der See lag.

Als der Himmel so vernehmlich zu dem Ritter und seinen Knechten gesprochen hatte, wollte keiner von ihnen den toten weißen Hirsch mit zur Burg tragen; dem Ritter selbst lag auch nichts daran. In der folgenden Nacht aber erbebte ringsum die Erde und in der Burg des vierfachen Mörders ertönte ein furchtbares Krachen. Die Morgensonne beschien einen gewaltigen Trümmerhaufen, und der Kopf des Ritters schaut noch heutigen Tages von der einen Felskuppe, welche man den Teufelsstein heißt und die sich an der Stelle der ehemaligen Burg erhebt, nach Osten. Der Teufel hatte in der Nacht die Burg zerstört und zum warnenden Zeichen den Kopf des Gottlosen an dem Felsen aufgerichtet.